Die Betreiber des spanischen Atomkraftwerks Ascó verheimlichten fünf Monate lang einen schweren Störfall, bei dem Radioaktivität an die Umwelt abgegeben wurde. Dies machte am Wochenende Greenpeace öffentlich. "Wir bekamen Hinweise aus dem Werk selbst", erklärt der Anti-AKW-Experte der Umweltschutzorganisation, Carlos Bravo.

Mindestens fünf Curie Strahlung gehe von dem aus dem AKW unweit der katalanischen Stadt Tarragona entwichenen Kobalt aus. Die Betreiberfirma, die den beiden großen spanischen Energieerzeugern Endesa und Iberdrola gehört, versucht den Vorfall herunterzuspielen. Die freigesetzte Strahlung belaufe sich auf 0,00001 Curie. "Das ist lächerlich", hält Bravo dagegen. Ein Gramm Kobalt strahlt mit 50 Curie. Die von Greenpeace beklagte Menge von fünf Curie entspricht damit einem Zehntel Gramm. "Doch was die Betreiber angeben, wäre eine so geringe Menge, dass sie kaum aufzufinden wäre", sagt Bravo.

Radioaktiv

Die spanische Aufsichtsbehörde, der Rat für Nuklearenergie (CSN), schickte nach der Pressemitteilung von Greenpeace überstürzt ein Team zu dem Werk. An 150 Stellen des mehrere Quadratkilometer großen AKW-Geländes wurde Radioaktivität festgestellt. Aus dem Gelände sei das Kobalt jedoch nicht entwichen. Auch das bezweifelt Bravo. "Der Wind hat die Kontamination sicher kilometerweit verbreitet", beschwert sich der Greenpeace-Spezialist.

Inzwischen geben die Betreiber zu, dass es im November beim Wechseln der Brennstäbe zu einem Zwischenfall gekommen sei. Die Luftfilter hätten 99,95 Prozent der "Verunreinigung" zurückgehalten. Der CSN sei rechtzeitig informiert worden. Greenpeace wundert sich, warum die Messtrupps des CSN dann erst jetzt angerückt sind. "Dafür gibt es nur zwei Erklärungen. Entweder sie haben den Vorfall wissentlich verheimlicht, oder sämtliche Kontrollmechanismen haben versagt." Beides sei "ein kriminelles Vorgehen". Sollte der Vorfall wirklich das von Greenpeace genannte Ausmaß haben, hätte ein Voralarm ausgelöst werden müssen. Die Greenpeace-Anwälte erwägen eine Anzeige.

Bisher schweigt sich das zuständige Industrieministerium aus. In der vergangenen Legislaturperiode hatten Umweltschützer zusammen mit kleineren Linksparteien einen Gesetzesentwurf ausgearbeitet, der vorsah, AKW-Betreiber, die Vorfälle verheimlichen, mit einer Strafe zu belegen, die doppelt so hoch ist wie die im fraglichen Zeitraum erzielten Gewinne. Die sozialistische Regierungspartei PSOE von José Luis Rodríguez Zapatero und die konservative Partido Popular stimmten das Projekt nieder. (Reiner Wandler aus Madrid/DER STANDARD-Printausgabe, 08.04.2007)