Treffen der Generationen: Clemens Wenger, Wolfgang Puschnig und Clemens Salesny (v.li.).

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Wien – "Ich weiß nicht, ob die Widerstände heute geringer sind als damals. Es war damals alles unbebautes Gebiet. Das war der Vorteil. Heute ist ja musikalisch schon alles ziemlich abgesteckt. Da noch einen Bereich zu finden ist wohl schwieriger, obwohl die technischen Möglichkeiten dafür vielleicht einfacher sind", so grübelt Wolfgang Puschnig, und sein "damals" bezieht sich auf die Gründung des Vienna Art Orchestra (VAO), an der er im Jahr 1977 an der Seite Mathias Rüeggs beteiligt war und dem er bis 1989 angehörte.

Sein "heute" ist hingegen auf die JazzWerkstatt Wien gemünzt, unter deren Namen sich seit 2005 die junge Wiener Szene erfolgreich organisiert und hörbar macht.

Pianist Clemens Wenger (26) und Saxofonist Clemens Salesny (28), zwei aus dem sechsköpfigen Gründungs- und Leitungskollektiv der JazzWerkstatt, die soeben zum dritten Mal im Wiener WUK ihre Zelte aufgeschlagen hat, sitzen dem bald 52-Jährigen österreichischen Paradesaxofonisten gegenüber, und sie können aus ihrer Sicht das Gesagte zumindest teilweise bestätigen.

Bebautes Gebiet

Ihre eigene Nische zu finden im Rahmen einer Szene, in der Musikerinnen- und Musikerdichte sowie Informationsangebot in den letzten 30Jahren extrem gewachsen sind, das sei gelungen, indem "wir uns von diesem bebauten Gebiet ferngehalten haben. Wir sind ja jetzt nicht zu einem Veranstalter gegangen, sondern haben gesagt, wir probieren selbst, etwas aufzubauen – aus eigener Kraft. Dort, wo noch niemand war und seinen Stempel draufgegeben hat", so Clemens Wenger.

Hohe Professionalität

Während man die Kräfte schon vor der ersten Veranstaltung über eine Vereinsgründung bündelte, um Subventionsgelder ansuchen zu können: ein Faktum, das sowohl etwas über eine höhere Professionalisierung junger Musiker aussagt als auch über ein verändertes kulturpolitisches Umfeld, wie Puschnig meint.

Die Gründung des VAO hätte bekanntlich unter völlig anderen, chaotischeren, zufälligeren Bedingungen stattgefunden. Förderungen wären damals undenkbar gewesen: "Wir wollten alle spielen! Es war ja damals nichts los, es hat ja keine Clubs gegeben, außer dem Jazz-Freddy und dem Jazzland – und da wären wir sowieso nicht untergekommen. Es war alles fest in der Hand der ORF-Bigband und einiger weniger Musiker."

Und: "Für junge Musiker wie uns gab es in Wien damals nichts. Alles, was da von Seite junger Musiker kam, wurde abgeschmettert und abgelehnt", so Puschnig – der als eine der Ausnahmen indessen auf Hans Koller, den verstorbenen großen österreichischen Saxofonisten, verweisen kann, der ihn in den 80er-Jahren zu einem bevorzugten Duopartner machte – und den man auch in der JazzWerkstatt sehr hoch schätzt.

Frecher Witz

Von Reibepunkten mit älteren Kollegen hat man indessen auch aus dieser Richtung gehört. 2005 zeigt die JazzWerkstatt dem Szene-Establishment – vor allem in Gestalt des Vienna Art Orchestra – mit Clemens Wengers gewitzt-frechem Jazz-Rap Die Jazzmafia die Zunge. Dort wurden den Altvorderen eher frech Worte wie "Tut’s nichts Teppert’s ausprobieren / das ist der falsche Weg / schaut’s euch’s bei den Amis ab / die zeigen euch, wie’s geht" in den etablierten Mund gelegt.

Heute relativiert Clemens Wenger ein bisschen: "Unter den Jungen gibt es auch ‚ältere‘ Musiker." Und Clemens Salesny sekundiert gleich: "Das ist eine Haltung, die man nicht an Generationen festmachen kann – das gibt es immer wieder."

Neues Finden

Welche Änderungen "der Jazz" selbst (in einer theoretischen Annahme eines homogenen Ganzen) in jenen 30 Jahren erfahren habe? Wolfgang Puschnig grübelt wieder: "Jazz ist heute nicht mehr nur ein Stil – obwohl es natürlich die ganz klassische Einstellung, wie etwas zu klingen hat, damit es ‚Jazz‘ ist, noch immer gibt. Für mich selbst war der Jazz immer eher eine Lebenshaltung."

Und Clemens Wenger stimmt zu: "Der Jazz hat für mich sehr viel mit Improvisation zu tun, aber nicht nur in der Musik, durchaus auch im Leben – etwa, wie man etwas organisiert, wie man auf Dinge reagiert und wie man denkt. Jazz heißt für mich also in jedem Fall viel, viel mehr als nur Swing." (Andreas Felber, DER STANDARD/Printausgabe, 03.04.2008)