In der Vorwoche präsentierten spanische Wissenschafter Knochen von einem Urahn des Menschen. Sie versichern, dass die Gebeine 1,2 Millionen Jahre alt wären. Woher wissen die das so genau?

Laien können damit wenig anfangen: Kieferknochen, Zähne, Reste von zurechtgeklopften Werkzeugsteinen. Doch die Forscher, die das Ensemble in der Elefantenhöhle im spanischen Atapuerca entdeckt haben, sind euphorisiert: Gleich zwei Superlative tauchen in ihrer Beschreibung der Knochen auf. Sie seien erstens die ältesten und zweitens die am besten datierten Spuren menschlicher Besiedelung Europas.

Tatsächlich haben die Wissenschafter neben klassischen Methoden (die exakte Vermessung von Knochen und Werkzeugen, genauer Vergleich mit ähnlich gelagerten Funden) zwei weitere Verfahren genutzt, um die versteinerten Relikte auf einer Zeitskala einordnen zu können: Die erste grobe Einordnung brachte das Magnetfeld der Erde. Wenn Sand oder Lehm - etwa unter einer urzeitlichen Feuerstelle - extrem erhitzt sind, dann richten sich die Bestandteile nach dem Magnetfeld der Erde aus. Beim Erkalten speichern sie diese Richtung als Momentaufnahme. Interessant für die Datierung wird dieser Effekt durch die Wanderungen des Nordpols. Die sorgen dafür, dass die Nadel eines Magnetkompasses im Verlauf von Jahrtausenden am selben Ort mal ein wenig nach Osten, mal ein wenig nach Westen abweicht.

Die Geologen haben einen Datenschatz angehäuft. Aus gut datierten Funden wissen sie von vielen Regionen der Erde, wann die Magnetfeldlinien in welche Richtung zeigten. Umgekehrt können sie nun allein aus der Richtung der Magnetfeldlinien Auskunft über das Alter eines Fundes geben. Das funktioniert gut für die vergangenen 4000 Jahre. Über die weiter zurückliegende Vergangenheit gibt es aber immer noch einen - ziemlich groben - Anhaltspunkt. Geologen wissen, dass sich das Magnetfeld der Erde immer wieder umkehrt. Untersuchungen der Höhlensedimente haben ergeben: Die Knochen wurden zu einer Zeit verschüttet, als das Magnetfeld gerade Kopf stand. Also irgendwann vor 0,78 bis 1,78 Millionen Jahren in der Vergangenheit.

Himmlische Hinweise

Genauere Resultate brachten Hinweise vom Himmel. Von dort dringt ständig kosmische Strahlung auf die Erde. In Bodennähe löst das eine Sekundärstrahlung aus, und die lässt in Quarzbestandteilen des Bodens die Radionuklide Aluminium und Beryllium entstehen. Glück für die Forscher: Sie wissen, welche Mengen von welcher der beiden Substanzen während der Bestrahlung entstehen. Der Quarz, den sie in der Höhle fanden, war offenbar lange an der Erdoberfläche gelegen und hier der kosmischen Strahlung ausgesetzt, sodass sich im Inneren die Nuklide bildeten. Dann spülten Wind und Wetter das Material tief in die Höhle, wo es vor den Strahlen sicher war und die menschlichen Überreste unter sich begrub.

Seither bilden sich im Quarz keine neuen Nukleotide mehr, im Gegenteil, sie zerfallen und das mit bekannter Geschwindigkeit: Die Halbwertszeit der Aluminiumteile beträgt 0,717 Millionen Jahre, Beryllium ist stabiler, da vergehen schon 1,34 Millionen Jahre, bis die Hälfte davon verschwunden ist. In Teilchenbeschleunigern lässt sich nun das aktuelle Mengenverhältnis der Aluminium- und Berylliumteile ermitteln.

Daraus errechneten die Wissenschafter, dass die Knochen vor 1,22 Millionen Jahren verschüttet worden sein müssen - plus/minus einer Kleinigkeit von 160.000 Jahren. Im Prinzip beruht das geniale Verfahren auf der Idee des amerikanischen Physikers Williard Libby. Der hat bereits vor fast 60 Jahren begonnen, den Gehalt von Kohlenstoff-Isotopen in organischen Fundstücken zu analysieren. Diese Substanz wird von jedem lebenden Organismus aufgenommen. Sobald der Stoffwechsel endet, beginnt der Abbau von C14 mit bekannter Geschwindigkeit.

Die Erfindung löste zu ihrer Zeit ein regelrechtes Zeitbeben aus: Der Beginn der Jungsteinzeit etwa musste von 3000 vor Christus auf 6000 vor Christus rückdatiert werden. Auch das Gewebe des berühmten Turiner Grabtuch wurde mit dieser Methode auf ein Alter von rund 800 Jahren datiert. Und dank Libby konnte das Alter der Eismumie Ötzi mit 5200 Jahren angegeben werden. Ohne diese Methoden hätte sich die Annahme, wonach die Eismumie rund 400 Jahre alt wäre, wohl noch länger gehalten. (Gottfried Derka/DER STANDARD, Printausgabe, 2.4.2008)