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Am Idjoch auf knapp 2800 Metern Seehöhe liegt Europas höchstgelegene Zollstation. Rechts geht es in die Schweiz, links nach Tirol. Dazwischen wacht - bei jedem Wetter - das Auge des Gesetzes

Foto: dpa/Stefan Thomas
Ischgl - "Zollkontrolle. Öffnen Sie bitte Ihren Rucksack und zeigen Sie mir Ihre Uhr." Das junge Pärchen in den eleganten Skidresses glaubt, sich verhört zu haben. Vom Schneesturm umpeitscht stapfen die zwei verdutzt in den Zollcontainer. Nur schemenhaft löst sich das Schild mit der Aufschrift "Staatsgrenze" aus dem dichten Nebel. Inspektor Helmut Gstreid lässt sich den Inhalt ihrer Taschen und Geldbörsen vorlegen: Eine Uhr kommt zutage, eine Hose, jede Menge Rechnungen. Allein die jodelnde Kuh als Schlüsselanhänger entlockt Gstreid ein Lächeln. Die zwei haben Glück: Ihr steuerfreier Einkauf ist unter dem erlaubten Wert von 175 Euro.

Der Sessellift aufs Tiroler Idjoch auf fast 2800 Metern Seehöhe treibt Zöllner Gstreid und seinem Kollegen Hans Walzthöni Schmuggler quasi in die Arme. Es ist der höchste Grenzübergang Europas. Am Fuße der einen Bergflanke liegt Ischgl, der Ballermann der Alpen. Abends schieben sich hier Skifahrer von Bar zu Bar. An die andere steile Flanke schmiegt sich das Schweizer Dorf Samnaun. Stallgeruch zieht durch die Nase. Doch die Beschaulichkeit täuscht.

Rolex, Breitling, Ebel

Gewaltige Plakatwände locken mit Rolex, Breitling und Ebel. Kein Haus, das nicht mit billigen Zigaretten, Spirituosen und Kosmetik wirbt. Wo andere Kartoffeln einlagern, verkaufen die Samnauner Schmuck und Uhren. Alles um 15 bis 20 Prozent günstiger als in der EU. Auf die 800 Einwohner des Dorfes kommen 50 Duty-free-Läden und vier riesige Tankstellen. Bis zu 2000 Autos quälen sich an Spitzentagen über die Grenzstation Spiss nach Samnaun. Kaum ein Urlauber, der nicht zumindest einmal durch die zollfreie Enklave flaniert. Und nicht wenige nutzen die Skischaukel, um mit 20.000-Euro-Uhren und in teure Skianzüge gehüllt am Gesetz vorbei in die EU zu wedeln.

Gstreid und Walzthöni haben dafür ein feines Gespür. Beide arbeiten seit rund 25 Jahre beim Tiroler Zoll. Seit zehn Jahren patrouillieren sie in zivilen Skianzügen auf der Piste und setzen mitunter zu rasanten Verfolgungsjagden an. "Entkommen ist mir noch keiner", sagt Walzthöni und lacht. Es sei die Art, wie ein Skifahrer den Sessellift verlasse, wie er um sich blicke, seine ausgebeulten Taschen prüfe, sagen sie. Vor allem die Russen gehen den Beamten immer öfter ins Netz. Manche zückten dann gern die 100er-Scheine und wollten partout nicht verstehen, warum sich das kleine Problem nicht schwarz lösen ließe. Allein über Weihnachten urlaubten 8000 Russen in Ischgl. Auf 2400 m Seehöhe auf dem Dach eines Restaurants soll für sie ein Whirlpool gebaut werden, wird in Tirol gemunkelt.

Feines Gespür für Schnee

Wer beim Schmuggeln auf der Piste erwischt wird, zahlt doppelte Abgaben. Im Extremfall wird die Rolex beschlagnahmt. Auch wenn sich viele Skifahrer bei der Kontrolle erst einmal nach versteckten Kameras umsehen, erzählt Walzthöni. "Wir müssen meistens etliche Male erklären, dass es uns wirklich ernst ist." Pech hatten einst drei Snowboarder, die es sich mit Joints auf der kleinen Holzbank am Joch gemütlich gemacht hatten. In ihrem Handgepäck: ein Kilo Rauschgift. Der süßliche Geruch zog bis ins nahe Zollhäuschen - der Arm des Gesetzes packte zu. Welche Warenmengen der Zoll am Ende der Saison beschlagnahmt, verraten die Beamten nicht. Nur so viel: Die Einnahmen durch Strafzölle steigen stärker als die Nächtigungszahlen in Ischgl.

Die Samnauner profitieren seit 1892 vom zollfreien Status. Das Bergdorf war damals nur über einen Ochsenkarrenweg von Tirol aus zu erreichen. Um die Siedler im Tal zu halten, wurde der Ort bis zum Bau der ersten Straße in die Schweiz zur Freihandelszone erklärt. Die Straße gibt es seit 1913, geblieben ist dennoch alles beim Alten. Noch, denn vielen ist die Billig-Enklave ein Dorn im Auge. Samnaun sei schließlich kein Notstandsgebiet mehr, sondern ein florierendes Tourismuszentrum, heißt es. Da könne ja jedes abgelegene Tal auf Duty-free-Rechte pochen.

Alte Schmugglerpfade

Franz Salner kennt die Schmugglerpfade übers Idjoch wie seine Westentasche. Zu Kriegsende habe ihn seine Mutter des Nachts über die Berge geschickt, um Mehl, Kaffee und Zucker für die Familie zu holen. "Obwohl, als Schmuggeln kann man das nicht bezeichnen. Wir handelten aus einer Not heraus", sagt der heute 71-Jährige. Die alten Zollbeamten hätten mit ihren Holzbretteln keine Chance gegen die Buben gehabt. Salner lacht verschmitzt. "Wir waren gute Skiläufer, erwischt haben sie uns nie."

Heute ist der Ischgler Hotelier. Das Haar ist weiß, die Haut von der Sonne tief gegerbt, und in seinem schmucken Betrieb kokettieren alte Bauernmöbel mit Marmorsäulen. Gibt es in Ischgl heute noch, wie in Internetforen spekuliert wird, einen Schmuggelverein? Salner winkt ab. In Kappl aber, da existiere noch eine "Saccharin-Siedlung". Sie wurde nach dem Krieg erbaut, mit den Einnahmen aus dem Schmuggel mit Zuckerersatz.

Gstreid schaufelt noch einmal den Weg durch den Schnee zum Zollcontainer frei. Kollege Walzthöni stoppt derweil einen stämmigen Deutschen. "Gestern waren wir noch einkaufen in Samnaun und haben über die Zollkontrollen gescherzt", gibt er freimütig zu. "Und jetzt stehen Sie tatsächlich hier vor mir." Nach einem Blick in den Rucksack darf er weiter. (Verena Kainrath, DER STANDARD Printausgabe, 29./30.3.2008)