Musik zum Überleben
Seit Jahren dokumentiert die Fotografin, Regisseurin und Autorin Kveta Schubert Roma-StraßenmusikerInnen. Im Sommer 2007 gestaltete sie unter dem Titel "Musik zum Überleben" einen Film zum Thema. In der circa halbstündigen Dokumentation beleuchtet sie die Gründe, aus denen Roma sich mit Straßenmusik und Betteln über Wasser halten müssen und hielt die Reaktionen österreichischer Passanten fest. Mit Hilfe des "Verein Exil" veranstaltet sie regelmäßig Workshops für SchülerInnen und Erwachsene.

Foto: derStandard.at/ Julia Schilly

Keine Banden
In ihrem Film stellt Kveta Schubert Szenen aneinander, die sie auf den Straßen Wiens gefilmt hat. Für jedes Bild und Interview haben Schubert und der Verein Exil die Roma bezahlt. "Wie kommen die da her? Die sind doch alle organisiert", sagt eine ältere Dame am Anfang des Films in Richtung Kamera.

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Schubert sprach mit vielen Roma und entdeckte dabei keineswegs organisierte "Banden-Strukturen". Vielmehr reisen Verwandte miteinander und passen aufeinander auf: Wie zum Beispiel Sofia, die unter einer zugigen Brücke Akkordeon spielt. Sie sei 80 Jahre alt und habe sieben Kinder, erzählt ihr Sohn, ebenfalls Straßenmusiker, der sie überall hin begleitet. Das Geld bringen sie regelmäßig zur Familie nach Bukarest und fahren danach gleich weiter. "Ich muss spielen, was soll ich machen?", fragt er.

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Mit den Wurzeln auseinander setzen
Schubert kommt aus Tschechien und ist Romni. Mit ihren Wurzeln begann sie sich erst relativ spät zu beschäftigen, wie sie der Schulklasse offen erzählt. Zwar wurde sie schon früh mit Rassismus konfrontiert, ihre Eltern waren jedoch wohlhabend und sie kannte die große Armut und das Elend nicht, in dem viele Roma leben. Im Zuge eines Projektes sah sie in der Slowakei erstmals ein Roma-Ghetto und lebte einige Tage dort.

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Ghettos und Arbeitslosigkeit
"Nur 300 bis 400 Kilometer von Wien entfernt leben die Menschen in Lehmhütten. Als es in dem Ghetto eine Flußüber- schwemmung gab, ertranken 50 Menschen, da ihre ärmlichen Hütten einfach weg geschwemmt wurden", erzählt Schubert. Dieses Erlebnis rüttelte sie wach und sie zeigte bald darauf ihre erste Ausstellung, in der sie sich mit dem Begriff "Zigeuner" beschäftigte. "Zigeuner" entstand vermutlich aus dem altgriechischen Wort "atsínganoi" und bedeutet "Unberührbare".

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Der Wert eines Menschen
"Warum suchen sich die Roma nicht einfach Arbeit? Mein Vater sagt immer, wenn man eine Arbeit haben will, findet man eine", fragt ein Schüler nach. "In der Slowakei sind 98 Prozent der Roma arbeitslos, hauptsächlich aus rassistischen Gründen - niemand will sie anstellen", erklärt Schubert. "Du hast starke Eltern, die dich zu einem selbstbewussten Menschen erzogen haben", sagt Schubert zu dem Schüler. Den Roma werde jedoch früh vermittelt, dass sie wertlos seien und oft fügen sie sich auch diesem Schicksal.

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Aussterbende Berufsbilder
Wichtig ist Christina Stippinger, vom Verein Exil, in diesem Zusammenhang darauf hinzuweisen, dass es unter den Roma verschiedene Gruppen gibt, in denen traditionelle Berufe weitergegeben werden. Viele Berufsbilder und damit die oftmals einzige Ausbildung, wurden mit der Zeit überflüssig: Kaum jemand brauche heute noch einen Kesselschmied, Korbflechter oder Lehmziegelhersteller. Die Berufsgruppen gerieten in große Armut und versuchen sich nun mit Betteln über Wasser zu halten.

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Schwangere Bettlerin
Eine andere Begegnung hatte Kveta Schubert im Zuge der Dreharbeiten mit Nina. Die 20-jährige Slowakin hatte bereits zwei Kinder und war im siebten Monat schwanger. Sie kniete auf dem harten Asphalt der Mariahilfer Straße und bettelte. Als Romni bekomme sie keine Arbeit in der Slowakei, sagte Nina. Ein Priester kam dazu und erklärte, wie Nina aus ihrer Lage herauskommen könne: Sie müsse sparsamer mit ihrem Geld umgehen und es sich gut einteilen. Sie könne nicht nur von heute auf morgen leben.

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Im Anschluss an Film und Diskussionsrunde reflektierten die SchülerInnen ihre Eindrücke in Collagen aus Fotos von Kveta Schubert. "Jeder Mensch hat das Recht frei zu sein", schrieb eine Schülerin über einen bettelnden Roma. "Ist das wirklich Glück?", fragte eine andere unter der schwangeren Nina. "Jeder von euch hat positive und negative Erfahrungen hinter sich. Wichtig ist, wie ihr damit umgeht und zu welcher Art Mensch ihr werden wollt. Auszusprechen was ihr fühlt, ist dabei eine Form von Heilung", meint Schubert zum Abschluss.

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Welt-Roma-Tag am achten April
Am achten April ist Welt-Roma-Tag. Kveta Schubert und der Verein Exil laden ab 19 Uhr ins Amerlinghaus zur Filmvorführung "Straßenkunst - Kunst zum Überleben" (edition exil, 2007), mit anschließender Diskussion. Danach werden Roma Live-Musik spielen, darunter auch Akteure aus dem Film. (jus, derStandard.at, 7. April 2008)

Mehr Informationen:
Amerlinghaus oder Verein Exil

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