Am 19. März veröffentlichte Bayer im "Magyar Hírlap" eine Schmäh-Schrift gegen die "Budapester jüdischen Journalisten", ein gern gepflegter Topos der antisemitischen Propaganda der ungarischen Zwischenkriegszeit. Ein Novum in der ungarischen rechten Publizistik seit 1945 ist, dass sich Bayer nunmehr selbst als Antisemit bekennt. Am Dienstag veröffentlichten nun hundert ungarische Intellektuelle, unter ihnen der Philosoph Mihály Vajda, der Historiker Krisztián Ungváry und der Politologe Péter Kende, im Internet einen Offenen Brief an den Magyar Hírlap-Eigentümer Széles (siehe unten stehende Dokumentation).
Am Mittwoch gab der Budapester Oberbürgermeister Gábor Demszky bekannt, dass sein Amt die Zeitung wegen der antisemitischen Ergüsse Bayers abbestellen werde und er selbst ihr keine Interviews mehr geben werde. (gma)
"Eine Grenzlinie der Publizistik überschritten"
Der offene Brief der Intellektuellen im Wortlaut: "Sehr geehrter Gábor Széles! In einem Ihrer Interviews haben Sie betont, dass es die moralische Pflicht der Großindustriellen unserer Ära sei, in die Presse zu investieren. Sie haben investiert. Und Sie haben auch kein Geheimnis daraus gemacht, bei der Ausgestaltung des Auftritts Ihrer Organe Ihre Maßstäbe zur Geltung bringen zu wollen.
Zsolt Bayer schreibt in der Ausgabe vom 18. März (Datum der Online-Version, Anm.d.Red.) der in Ihrem Besitz befindlichen Tageszeitung "Magyar Hírlap" unter anderen folgendes: "1967 haben die Budapester jüdischen Journalisten noch Israel geschmäht. Dieselben Budapester jüdischen Journalisten schmähen heute die Araber. Und den (rechts-populistischen, Anm.d. Red.) Fidesz. Und uns. Weil sie uns mehr hassen als wir sie. Sie sind unsere Rechtfertigungsjuden - sprich: ihre schiere Existenz rechtfertigt den Antisemitismus."
Mit Zsolt Bayers Argumentation hat "Magyar Hírlap" eine wichtige Grenzlinie in der ungarischen Publizistik seit 1945 überschritten: Denn bislang haben jene Vertreter der ungarischen Presse und des öffentlichen Lebens, die von ihren Kritikern als Antisemiten bezeichnet wurden, dies umgehend zurückgewiesen. Zsolt Bayer hingegen bekennt sich nun bewusst dazu, wobei er ausdrücklich betont, dass Erklärungen, die von als jüdisch verbuchten Personen stammen und die einzelne oder auch mehrere als problematisch betrachten, zu Recht ein antisemitisches Verhalten begründen würden.
Zsolt Bayers Gedankengang ist Teil der klassischen antisemitischen Argumentation. In Hinblick auf Organe, die auch im öffentlichen Leben Relevanz haben, kennen wir eine solche nur aus der rechtsextremen Publizistik der 30er- und 40er-Jahre.
Der besagte Beitrag im "Magyar Hírlap" wirft mehrer Fragen auf. Einige davon wären folgende:
Bekennt sich die Mitarbeiter-Garde des Blattes zur kollegialen Zusammenarbeit mit Zsolt Bayer und erwartet sie diese auch von Ihnen?
Betrachten Sie, der in "Magyar Hírlap" nicht nur investiert hat, sondern - im Gegensatz zu vielen anderen, in die Medien investierenden Unternehmern - eine angesehene Persönlichkeit des öffentlichen Lebens ist, es als eine wirtschaftlich und moralisch zu rechtfertigende Tat, ein solches Blatt zu finanzieren, in dem sich ein führender Publizist zum ersten Mal in einer landesweit erscheinenden Tageszeitung offen als Antisemit bekennt?
Insofern der Beitrag von Zsolt Bayer mit dem redaktionellen Konzept der "Magyar Hírlap" in Einklang steht, könnten Sie vor aller Öffentlichkeit skizzieren, in welchem Ausmaß Sie es als den Interessen des Landes dienende, moralische Pflicht empfinden, dem Geist des Antisemitismus zu publizistischem Rang zu verhelfen und ihn im öffentlichen Denken und Diskurs zu legitimieren?