Aber Herr Kenan hatte eben andere Prioritäten. Und so zückte der lokale Reiseleiter schon auf der Fahrt vom Flughafen zum Hotel nach ein paar Minuten türkischen Honig aus seiner Reiseführertasche und verteilte ihn an die Gruppe, die er da im Bus sitzen hatte: "Das ist der beste türkische Honig, den sie in und um Istanbul kaufen können. Mein Cousin macht ihn. Ich kann Ihnen einen Sonderpreis machen. Aber beeilen Sie sich, denn Sie sind eine große Gruppe - und ich habe nicht mehr viel übrig."
In der Gruppe - es war der Betriebsausflug zum Jubiläum eines kleinen Wiener Verlages - machte sich zuerst Unmut breit. Aber als Herr Kenan sich von "Muss das echt sein?"- und "Geh bitte!"-Rufen unbeeindruckt seiner Tasche zuwandte und Schals, Fächer und ein Kaffeeservice herauszauberte, fügte die Gruppe sich in ihr Schicksal. Man beschloss, das Unvermeidliche nicht nur mit Fassung, sondern mit Amüsement hinzunehmen.
Auftrag im Hinterland
Ein bisserl Kaffeefahrt tut niemandem weh - und wer zur günstigen All-inclusive-Reise Ja sagt, der kann sich schon auch Designer-Fake-Outletcenter, Manufakturtour, folkloristische Souvenirshops in Hotel- und Clubanlagen oder garantiert authentische Teppichknüpfverkaufsveranstaltungen im Hinterland gönnen. Schließlich erfüllt Reisen einen Bildungsauftrag. Und man muss ja nicht kaufen. Oder so ähnlich.
In der Urlaubswirklichkeit trifft aber dann meist doch "so ähnlich" zu. Beim sich überlegen gebenden Journalisten- und Verlagsklüngel ebenso wie beim Luxus-Cluburlauber oder dem Supermarkturlaubschnäppchentourist. Einzig die Bekennerquote zur Inanspruchnahme all der günstigen Touren mit Shoppingmöglichkeit variiert.
Nur der Destinationsgefährte aus dem Billighotel neben dem eigenen bekennt sich offen dazu, Trips zu den in die Pampa hinter den All-inclusive-Clubs bei Antalya gepfropften "Designeroutlets" fix in den Urlaub eingeplant zu haben. Er freut sich schon an der Haltestelle der Gratis-Shuttle-Pseudoeisenbahn, die im Stundentakt von den Clubs ins Designerparadies zuckelt, auf beinahe echtes Versace- und Hilfiger-Zeug.
Mit lauten "Heasd, Tschenifaaa, kumm endlich!"-Rufen werden die gesetzteren Herrschaften, die im lockeren Golferoutfit (Markenware, vermutlich echt) neben dem exklusiven Kempinski zusteigen, übertönt. Die wiederum setzen sich dann lieber in die Nähe der Teilnehmer einer Maturagruppenreise, welche hier natürlich auch nichts verloren haben. Die Kids tun also überlegen: Sie versichern einander eins ums andere Mal, dass sie primär aus konsumsoziologischen Gründen mitfahren. Man selbst brauche nix. Höchstens ein Handtuch. Oder neue Flip-Flops. Und natürlich sind es immer nur die anderen, die mit gefälschten Markenartikeln Eindruck schinden wollen.
Doch von dieser Zurückhaltung merken die Händler, die da in drei oder vier Dutzend aus dem Boden rund um einen künstlichen Wasserfall gestampften Läden ausschließlich gefälschte Designerware anbieten, nichts. Angebot, Preise und verhandelbare Margen sind genormt - und die Spielregeln kennt jeder: "Na klar, alles echt - lauter echte Kopien," heißt es, wenn doch einmal jemand die Frage nach der Authentizität stellt.
Dass es hier alles, nur keine "No Name"- oder "No Logo"-Ware gibt, macht es dann den soignierten Golfern und den zynisch-überlegenen Youngstern leichter, zu rechtfertigen, warum auch sie schwer beladen mit Fake-Gucci und Nicht-Prada den Weg zurück in den Club antreten: Gern hätte man einen dezenten Bikini oder eine bescheidene Kappe gekauft - aber es gab nur Vuitton und Billabong. So ein Pech aber auch.
Zurückhaltende Ringmappe
Freilich erklärt das noch immer nicht, wieso auch die "besseren" Clubs und teureren Hotels die Trash-Kaffeefahrten ("Tagestrip: Antike und Kunsthandwerk - 5 Euro, Mittagessen inklusive. Mit Bootsausfahrt: 10 Euro") in jenen Ringmappen aufliegen haben, mit denen Reiseveranstalter ihre Kunden über Zusatzangebote informieren: Angebote, die nicht ausreichend angenommen werden, verschwinden rasch wieder aus diesen Mappen. Dem Vorwurf, Gäste mit Unerwünschtem zu belästigen, setzt sich aber kein Reiseanbieter freiwillig aus. Es gibt eben einen Unterschied zwischen Tun und dem Bekenntnis dazu: Schließlich kauft und sieht auch niemand Pornos.
Mitunter kann der Besuch von Veranstaltungen, die Reiseleiter wie Herr Kenan auf der Firmenreise des kleinen Verlages anpreisen, aber dann tatsächlich spannend, wenn nicht sogar abenteuerlich werden: Beim obligaten Basarbesuch in Istanbul schleuste Herr Kenan jenen Teil der Gruppe, der es nicht schaffte, rechtzeitig verlorenzugehen, in ein Teppichgeschäft. Natürlich gehörte es seinem Cousin.
Dort wurde dem Publikum anhand der ausgelegten Ware ausführlich und detailreich die hohe und allerhöchste Kunst des Teppichknüpfens dargelegt: Qualität, Knoten, Muster - nichts blieb unerwähnt, unbeschrieben und ungelobt. Und - "aber selbstverständlich, dazu sind wir ja da!" - man war bereit, "alle Fragen jederzeit" zu beantworten.
Zu Wort meldete sich ein Verlagsmitarbeiter. In Wien war er für Post und Reparaturen zuständig - hier und an diesem Tag für das äußerst kunstvolle Zerlegen einer "Zunft". Sein legeres Erscheinungsbild verbarg die eigentliche Herkunft: Der Mann entstammte der Pahlewi-Dynastie und war nach einem politisch bedingten Zerwürfnis mit seiner Familie lange vor dem Sturz des Schahs aus Teheran geflüchtet.
Seine umfassende Bildung hatte er aber mitgenommen und packte sie nun aus: Viersprachig (deutsch und türkisch, dann lauter: arabisch und persisch) zerlegte er gewandt Knoten für Knoten Teppiche und referierte über die Minderwertigkeit der Ware. Um ein Haar wäre es zu Tätlichkeiten gekommen.