Zur Person

Christian Lampl (45 ) ist Leiter der Abteilung für Allgemeine Neurologie und Schmerzmedizin am Konventhospital der Barmherzigen Brüder Linz. Unter anderem hat er auch die Stroke Unit am AKh Linz aufgebaut und geleitet. Er leitet auch die Schmerzambulanz am AKh Linz. Lampl ist außerdem Vizepräsident der Österreichischen Kopfschmerzgesellschaft.

Foto: Lampl

Linksseitiger Kopfschmerz: Hirnstammaktivierung bei linksseitiger Migräne

Foto: Österreichische Kopfschmerzgesellschaft

Rechtsseitiger Kopfschmerz: Hirnstammaktivierung bei rechtsseitiger Migräne

Foto: Österreichische Kopfschmerzgesellschaft
derStandard.at: Die Meinung Migräniker seien Hypochonder oder hysterisch war früher weit verbreitet. Warum eigentlich?

Lampl: Mittlerweile haben sich die Mythen und die Voreingenommenheit rund um die Migräne gebessert. Viele haben früher wegen Kopfschmerzen nicht den Arzt aufgesucht, weil sie als hypochondrisch bezeichnet worden sind. Der Grund: Kopfschmerz ist ein Symptom, das nicht messbar ist und auch nicht sichtbar gemacht werden kann.

Man unterscheidet zirka 240 Kopfschmerzformen. Die Hauptformen wie Migräne, Spannungs- und Clusterkopfschmerz kann man apparativ nicht wirklich diagnostizieren.

derStandard.at: Was sind die ersten Anzeichen dafür, dass man Migräne haben könnte?

Lampl: Die Frage ist nicht, wann es beginnt. Man muss einfach auf die Symptome achten. Dass man sich nicht übergibt oder der Schmerz nicht einseitig ist, heißt noch lange nicht, dass man nicht Migräne hat. Denn sie kann auch beidseitig lokalisiert sein und auch vorne oder hinten im Kopf auftreten. Bei Kindern kennt man auch die Bauchmigräne mit Bauchschmerzen und Erbrechen.

derStandard.at: Was sind denn die wesentlichen Symptome?

Lampl: Migräne kristallisiert sich in drei wesentlichen Punkten. Erstens der pulsierende Charakter vom Kopfschmerz. Zweitens haben die Patienten ein enormes Ruhebedürfnis: den Kopf still halten, den Körper nicht anstrengen (nicht Stiegen steigen). Drittens: Migräne kommt in Attacken, ist in Stunden oder Tagen wieder weg und kommt nach einer gewissen Zeit wieder. Die anderen Symptome wie Licht-, Lärmempfindlichkeit oder Übelkeit können dabei sein, müssen aber nicht.

derStandard.at: Gibt es die so genannte Wochenend-Migräne?

Lampl: Ja, die gibt es. Das Extrembeispiel eines Workaholics: Das Gehirn ist bei ihm unter der Woche immer auf 180. Dann kommt das Wochenende - vielleicht mit Vogelgezwitscher, Bacherlrauschen und die Relaxtheit ist plötzlich da. Das Gehirn schaltet dann zurück und das ist Auslöser dafür, dass eine Migräne auftreten kann. Der Grund: das Gehirn nimmt den ständigen Anspannungszustand als Schutzmechanismus her. Sackt das ab, kommt es zu einem Anfall.

derStandard.at: Besteht ein Zusammenhang zwischen Migräne und Wetter?

Lampl: Wenn ein Migränepatient hoch sensibel auf Blutdruckunterschiede reagiert, können diese das Gehirn so verändern, dass es zu einem Migräneanfall kommt. Wissenschaftlich ist das aber nicht hundertprozentig bewiesen.

derStandard.at: Welche Rolle spielt die Ernährung? Glutamat war ja immer wieder im Gespräch Migräne auszulösen.

Lampl: Aber auch das ist wissenschaftlich nicht bewiesen. Klar ist aber, dass Schokolade kein Auslöser ist. Bei den Nahrungsmitteln kommt es wieder auf die Sensibilisierung des Einzelnen für Histamine, Glutamat und Geschmacksverstärker an, ob Migräneanfälle dadurch ausgelöst werden können.

derStandard.at: Laut einer kürzlich veröffentlichten Studie leiden jene Menschen besonders häufig an Migräne, die ihren Ärger hinunter schlucken.

Lampl: Da treffen Subgruppen zufällig aufeinander – mit Wissenschaft hat das nichts zu tun. Das geht in Richtung der Frage ob es eine Migräne-Persönlichkeit gibt. Die gibt es aber nicht, wesentlich mehr Studien sprechen dagegen. Andere Vorurteile sind beispielsweise, dass Migräniker überproportional pingelig oder Lehrer besonders häufig betroffen seien. Von solchen Annahmen muss man sich aber wirklich distanzieren.

derStandard.at: In einem schwedischen Kindergarten hat man zu einer ungewöhnlichen Maßnahme gegriffen: Weil eine Betreuerin unter schwerer Migräne litt, durften die Kinder keine bunt gestreiften oder -gepunkteten Kleider mehr tragen.

Lampl: Mir ist nicht bekannt, dass gemusterte Kleidung ein Trigger sein kann. Da wäre das Gehirn einem zu geringen Trigger ausgesetzt.

derStandard.at: Ein niederländisches Pharmaunternehmen will in einigen Jahren Tabletten mit dem Cannabinoid Tetrahydrocannabinol (THC) auf den Markt bringen, die unter anderem auch bei Migräne eingesetzt werden sollen.

Lampl: THC-Tabletten sind in der Migränetherapie nicht zulässig. Genauso wenig wie viele Ergotermine. Sie führen leicht in die Abhängigkeit, die dann wieder Kopfschmerzen auslöst - Kopfschmerz durch Schmerzmittelübergebrauch. Diesen Effekt befürchte ich bei THC auch. Medikamente gegen Kopfschmerzen oder Migräne sollten überhaupt nicht häufiger als zehn Mal im Monat und nicht länger als drei Tage in Folge eingenommen werden.

derStandard.at: Botox soll gegen Migräne wirken. Stimmt das?

Lampl: Botox ist bei Migräne sowohl am Beginn einer Attacke als auch vorbeugend unwirksam. Derzeit gibt es keine Evidenz für die Wirksamkeit.

derStandard.at: Welche Medikamente nimmt man denn heute in der Migränetherapie?

Lampl: Die Triptane sind derzeit gängige Arzneimittel. Man muss aber jede Migräne eigenständig betrachten - das Um und Auf ist also die interindividuelle Therapie. Ein Beispiel: Wenn ich jemandem Triptane in Tablettenform gebe, der sich ständig übergeben muss, können die Medikamente nicht wirken. Man muss daher schauen, welche Alternativen es gibt, wie Nasensprays oder Zäpfchen. Auch hoch dosiertes Aspirin wirkt nachweislich gut.

derStandard.at: Was sind die Vorteile der Triptane?

Lampl: Wir wissen wie und wo sie wirken – nämlich dem Entzündungsmechanismus, der in den Gehirnkranzgefäßen entsteht, entgegen. Außerdem wirken sie auf die Begleitsymptome, die über den Hirnstamm ausgelöst werden, sehr gut und relativ schnell.

derStandard.at: Und nicht-medikamentöse Vorbeugungsmaßnahmen?

Lampl: Jede Art von Entspannungstechnik ist sinnvoll und bringt zusätzlich eine Erleichterung. Außerdem sollte man die individuell bekannten Trigger versuchen zu vermeiden, vor allem auch Stress. Ausdauersportarten wirken auch relaxierend, weil man abschalten kann. Körpereigene Endorphine werden ausgeschüttet und Serotonin stimuliert, das bei der Migräne zumindest eine Randrolle spielt.

derStandard.at: Ist Migräne heilbar?

Lampl: Migräne ist eine biologische Erkrankung des Gehirns, die zwar nicht heilbar, aber gut behandelbar ist. Wichtig ist die richtige und schnelle Therapie – Migräne sollte man nicht auf die lange Bank schieben, weil die Lebensqualität extrem darunter leidet. (Marietta Türk, derStandard.at, 1.4.2008)