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Gesellschaftlich wie sportlich eine fixe Größe: Die Hakoah Redoute in den Sofiensälen zählte zu den beliebtesten Tanzveranstaltungen in Wien.

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Wien - Dass der österreichische Fußball in seiner Glanzzeit nicht nur zu einem guten, sondern zu einem entscheidenden Teil von Juden geprägt, ja erfunden wurde, sollte eigentlich keiner besondern Betonung bedürfen. Zu sehr liegt dieser Umstand auf der Hand. Andererseits neigt man gerade in Österreich so hartnäckig zu einer schmerzhaft selektiven Vergesslichkeit, dass einem die Neueröffnung des Hakoah-Sportzentrums in der Krieau am Dienstag Anlass genug bietet, die Gefahr in Kauf zu nehmen, den geneigten Leser, die geneigte Leserin mit einem Rückblick zu langweilen.

Der SC Hakoah Wien - wie auch seine Brüder in Graz, Innsbruck und Eisenstadt - war ja weit mehr als bloß ein Sportverein. Sie waren Teil jener Welt, die Friedrich Torberg in seinem besten Werk, den zwei Tante-Jolesch-Bänden, so eindrucksvoll wie verzweifelt beschworen hat. Eine Welt, die 1938 aus dem Gebilde, das Österreich war, herausgesprengt worden ist und dem Land bis heute spürbar fehlt. Nicht nur, aber auch im Fußball, der zwar eine Nische sein mag, aber keine in sich geschlossene Eigenwelt.

Am 13. März 1938, am Tag nach dem "Anschluss", wurde mit der Hakoah jener Allround-Verein zerschlagen, der zum Wiener Fußball gehörte wie das Scheiberlspiel. In der Mitte der 1920er-Jahre, als die Wiener darangingen, sich zum Wunderteam zu formieren, zählte die Hakoah mit Rapid, Austria und Vienna zu den "großen vier" der Stadt. Sie war immerhin Meister in der Saison 1924/25, als in Wien die erste Profiliga des europäischen Kontinents den endgültigen Startschuss zum Erfolgslauf des mitteleuropäischen Fußballs, des "calcio danubiano" gegeben hat.

Dass der längst schon beschlossene Sache war, zeigte die Hakoah am 19. Mai 1923. Als erste Gastmannschaft gelang ihr ein Sieg auf der Insel. Der fiel gegen West Ham United mit 5:0 so deutlich aus, dass er durchaus als Fingerzeig genommen werden darf. Nicht nur, aber selbstverständlich auch für das 6:3 der ungarischen Nationalmannschaft genau 30 Jahre später, dem ersten Sieg einer kontinentalen Nationalmannschaft in England.

Denn die Stärke der Hakoah war, wie die des gesamten Wiener Fußballs, kein bloßes Verdienst der Stadt. Sie verdankte sich Budapest. Drei der fünf Tore wurden West Ham von einem gewissen Alexander Neufeld zugefügt. Der aber erblickte als Nemes Sándor in Budapest das Licht der Welt.

Budapester Kind

Auch die Hakoah selbst ist eine Art Budapester Kind. Im Mai 1909 gastierte im Prater bei den Cricketern der Budapester Vívo és Atlétikai Club, ein ausdrücklich jüdischer Verein. Das war der Anstoß, die physische Kraft - das bedeutet das hebräische Hakoah - auch in Wien in jüdische Hände zu nehmen. Zumal viele Sportvereine damals ihre Statuten um einen "Arierparagraphen" ergänzten.

Dessen Hintergrund war nicht bloß der wie eine Grippewelle grassierende Antisemitismus, sondern die dahinterstehende Merkwürdigkeit, "Juden" eigneten sich, im Gegensatz zu "Ariern", nicht für physische Hochleistungen. Dieser erstaunlichen Einstellung ein aus Tatsachen gemaltes Bild entgegenzusetzen war eine der ideologischen Grundlagen der Hakoah.

Die zweite war der Zionismus. In der Stadt des Theodor Herzl keine wirkliche Überraschung, die aber die sportliche Ausbildung mit einem praktischen Zweck versah: die jungen Menschen auf das Pionierdasein vorzubereiten.

In Wien selbst hatte das eine sehr schillernde Konsequenz, die Friedrich Torberg genüsslich schildert. Denn wenn auf dem Fußballplatz die Austria auf die Hakoah traf - was ja oft genug der Fall gewesen ist -, dann hieß es lakonisch, es kickten die "Juden" gegen die "Israeliten". Eine Gegnerschaft, die zuweilen mitten durch die Familien ging. Torberg schildert das Entscheidungsmatch in Hakoahs Meistersaison. Austria führte um einen Punkt, hatte ihr letztes Spiel schon absolviert, Hakoah musste noch gegen den Sportclub antreten, was natürlich auch den Austria-Anhang mobilisierte. Da erzielte der verletzte und quasi als Halbinvalide dennoch im Sturm mittuende Hakoah-Tormann Fabian - für den Stürmer Nemes ins Tor gewechselt war - das 3:2. Vor Torberg und seinen Begleitern - "kampferprobte Raufbolde" - stürzte sich ein Austria-Fan auf einen der Hakoah. Die Torberg-Partie wollte eingreifen, da rief der auf dem Boden liegende Hakoahner: "Ich bitt' Sie, lassen Sie ihn in Ruh'. Er ist mein Cousin."

Torberg war zeitlebens ein Hakoahner, auch dann noch, als ihm klar geworden war, dass die Austria den weit schöneren Fußball spielte. Aber die Austria und ihr Vorläufer, die Amateure, repräsentierten die liberalen, urbanen Juden, was dem Heranwachsenden als Identifikationsangebot keineswegs reichte.

Meisterschwimmer

Torberg war selbst auch aktiver Hakoahner. Fürs Kicken, beklagte er selbst einmal, reichte es nicht ganz. Aber er war ein hervorragender Wasserballer, später sogar tschechoslowakischer Meister, und somit ein Vertreter der Schwimmsektion, aus der Serienmeister kamen. Zum Beispiel Fritzi Löwy und Hedy Bienenfeld, die 1927 jeweils auch EM-Bronze holten. Mit ein guter Grund, dass Österreichs diesbezüglich aktuell Bester, Markus Rogan, sich stark macht für ein Hakoah-Schwimmzentrum.

Dass sportliche Erfolge in einer Welt, die ihren Verstand verloren hat, keineswegs genügten fürs Renommee eines Vereins, zeigten dann die Dreißigerjahre. Judith Deutsch, österreichische Kraulmeisterin und 1935 Sportlerin des Jahres, weigerte sich aus einsichtigen Gründen, an den Olympischen Spielen 1936 in Berlin teilzunehmen, worauf der Verband sie für zwei Jahre sperrte.

Bei den vorangegangenen Spielen in Los Angeles schob sich in Nikolaus Hirschl die Ringersektion in den Vordergrund. Im Schwergewicht holte er sowohl im Freistil als auch im griechisch-römischen Stil Bronze. Aber auch in dieser Sektion kam das Prekäre der verrückt gewordenen Zeit durch. Arthur Baar, ein Hakoahner der ersten Stunde, der 1959 in Israel die erste Geschichte der Hakoah Wien schrieb, verweist darin auch auf die Security-Aufgaben der Ringer. Die antisemitischen Angreifer seien oft und oft "mit blutigen Schädeln" heimgeschickt worden.

Hakoah Wien war der größte jüdische Sportverein der Welt. Nach der Katastrophe wurde er am 10. Juni 1945 in einer gänzlich veränderten Welt reaktiviert. Die Fußballer aber mussten schon 1950 ihren Betrieb einstellen.Von den einst 200.000 Juden Wiens überlebten 6000. Selbst die Öffnung des Kaders für Nichtjuden - unter anderem spielte hier auch der spätere Trainer Karl Schlechta - half nichts.

Violette Erinnerung

Jene, denen die Flucht vor den Barbaren gelungen ist, nahmen die Erinnerung an die Hakoah mit. Sie formierten sich als Hakoah Tel Aviv. Die "Israeliten" erhielten diesbezüglich Hilfe von den "Juden". Die Austria schickte Dressen. Und deshalb spielt der zweifache israelische Meister nicht im traditionellen Blau-Weiß, sondern in Violett. 1959 fusionierte Hakoah Tel Aviv mit Maccabi Ramat Gan zur Hakoah Ramat Gan, die mit ihren Heimdressen immer noch an die Austria erinnert.

Anders als Wien es mit der Hakoah getan hat, die heute aus den Sektionen Basketball, Karate, Schwimmen, Touristik & Skiclub, Tennis, Tischtennis und Wandern besteht. Das 1923 bezogene Areal, auf dem am Dienstag das neue Sportzentrum eröffnet wird, wurde dem Verein erst im Jahr 2002 zurückgegeben. Und erst ein Grundstückstausch zwischen Stadt Wien und Bund 2004 schuf die Voraussetzung für den Neubau. (Wolfgang Weisgram - DER STANDARD PRINTAUSGABE 10.3. 2008)