Akkordeonist und Komponist Otto Lechner: "Ich war und bin noch immer auf der Suche nach einer Art des Musizierens, bei der ich mir nichts verbieten muss."

Foto: Newald
Wien - Ein 20-minütiges Stück für rund zehn Musiker solle er schreiben, so lauteten die Kriterien für den Kompositionsauftrag von Peter Burwik, dem Leiter des Ensemble XX. Jahrhundert. Ein Stück über sein Refugium in der Treustraße in Wien-Brigittenau, aktuell durch einen möglichen Lifteinbau bedroht, ist es geworden. Und damit eine Reflexion jener 20 Jahre, die Otto Lechner dort verbracht hat.

"Da geht es einerseits um räumliche Befindlichkeiten", so der 44-Jährige, "andrerseits etwa darum, wie ich Anne Bennent kennengelernt habe. Oder um Besuche von interessanten Menschen. Sainkho Namtchylak war hier, die Obertonsängerin. Oder Joe Zawinul. Der hat mir gesagt, dass mein Fender-Rhodes-Piano so schlecht ist, dass ich mit ihm gar nicht spielen soll." Der Kosmopolit

Es sind jene 20 Jahre, in denen ein blinder Akkordeonist und Pianist aus Niederösterreich zu einem kosmopolitischen Musikanten gereift ist, zu jenem Otto Lechner, der heute bei weitem nicht nur in Wien weltberühmt ist. Trotz aller schon früher erfahrenen Prägungen, etwa durch jenen Kommilitonen am Melker Gymnasium, der ihm die Welt des kauzigen Jazz-Pianisten Thelonious Monk erschloss und ihm in den zweieinhalb Jahren, in denen Lechner dessen Kabarettauftritte begleitete, vermittelte, "ein Werk zu schaffen, dass auf verschiedenen Ebenen betretbar ist - für die, die sich nicht tiefer einlassen können oder wollen, und für die, die unter der Oberfläche etwas entdecken wollen". Der Kollege war Josef Hader. Aus dem Nichts

"Ich bin eher einer, der verarbeitet, was sich um ihn herum abspielt. Ich kann nicht aus dem Nichts schöpfen", so resümiert Otto Lechner seine Entwicklung. "Das multikulturelle Flair des 20. Bezirks hat mich ganz sicher geprägt. Hier bin ich plötzlich in einem türkischen Lokal herumgehangen. Hier habe ich mit Ljubinka Jokic kroatische und serbische Lieder zu spielen begonnen. Viele Dinge, die ich an sich nicht kann. Ich bin eigentlich für nichts Experte, aber ich kann überall mitspielen."

Und noch etwas hat sich in den rund 20 Jahren verändert. Ein damals für junge Menschen gänzlich unhippes Instrument namens Akkordeon erlebte eine ungeahnte Renaissance, bis hin zur Gründung eines heuer zum neunten Mal stattfindenden, von Friedl Preisl nicht zuletzt aufgrund des Phänomens Otto Lechner initiierten Akkordeonfestivals.

"Ich habe diesen Aufschwung immer mit einem lachenden und einem weinenden Auge beobachtet", meint dieser. "Denn die Gefahr, die mit dem Auftreten einer Ziehharmonika immer verbunden ist, ist eine seltsame Behaglichkeit. Es lauert da schon immer etwas Sich-Anbiederndes. Mittels einer Mode kommt man ja recht schnell wieder dorthin, von wo man eigentlich weg wollte. Ich versuche deshalb auch, beim Akkordeonfestival Dinge einzubringen, die eine Art Irritation darstellen können."

Wobei Lechners Vielseitigkeit, seine Vielgesichtigkeit, ihn mitunter auch selbst irritiert. Trashig-folkige Weihnachtslieder mit Klaus Trabitsch, avancierte Improvisationsdialoge mit Max Nagl, Tourneen mit dem von Guy Klucevsek initiierten "Accordion Tribe", dann wieder Martin-Walser- und Thomas-Bernhard-Lesungen mit Burgschauspielerin und Lebenspartnerin Anne Bennent oder die Gestaltung eines Franz-Kafka-Hörbuchs (soeben in der Mandelbaum-"Bibliothek der Töne" erschienen) - Otto Lechners Aktionsradius ist ein verwirrend breiter. Ohne Grenzen

"Wer ich musikalisch bin, weiß ich selbst nicht", sagt er. "Was mir schon immer wichtig war, was gleichzeitig natürlich auch eine Schwäche meiner Musik ist, ist dieses Nichts-ausgrenzen-Wollen. Ich mag keine Energie darauf verwenden, in meinem Kopf Dinge blockieren zu müssen, weil sie nicht dazupassen oder nicht angesagt sind. Ich war und bin noch immer auf der Suche nach einer Art des Musizierens, bei der ich mir nichts verbieten muss." (Andreas Felber, DER STANDARD/Printausgabe, 23./24.02.2008)