In der Dauerausstellung der Wiener Stadthalle führen Blinde Sehende durch ihren Alltag und schaffen so einen "Dialog im Dunkeln".

Foto: Standard/Eva-Maria Griese
Wien - Alles ist dunkel. Alles schwarz. Wir bekommen einen Stock in die Hand gedrückt, der nun für uns sehen soll. An einer Wand entlangtastend dringen wir weiter in die Tiefen des Labyrinths vor.

Vogelgezwitscher, das Rauschen eines Baches und der weiche, moosige Weg lassen auf einen Wald schließen. Die Durchdringung dieses Geästs fällt schwer, und auch die Überquerung der Großstadtstraße ist fast unmöglich. Raumgefühl und Orientierungssinn sind mit dem Licht entschwunden.

Die Ausstellung "Dialog im Dunkeln", die seit 26. Jänner 2006 in der Wiener Stadthalle gastiert, simuliert den Alltag eines Blinden. Sie ist schon durch 140 Städte und 20 Länder Europas getourt.

"Wenn jemand 'die Schwarzen' sagt, was ist das überhaupt? Ich weiß nicht, ob jemand schwarz ist oder nicht", sagt der Mathias Schmuckerschlag des Bundes-Blindenerziehungsinstituts in Wien. Der Schüler ist von Geburt an blind gewesen. Er und sein Mitschüler Dino Banjanovic, die für das Interview während ihrer Ferien in die Schule gekommen sind, zeigen, wie viel in Bezug auf Vorurteile von ihnen gelernt werden kann.

Für sie existieren keine Schönheitsideale oder Rassismus, wie wir sie kennen. Für sie spielt es keine Rolle, wie ihre Partnerinnen aussehen. Sie definieren Schönheit anders, nämlich durch die Stimme, Berührungen und den Charakter. Doch das heißt nicht, dass ihnen ihr eigenes Aussehen nicht wichtig ist. Von den "Sehenden" werden sie ja nach diesem beurteilt.

"Ich schminke mich nie. Meine Augenbrauen zupft mir meine Schwester." Mit einem Lächeln begegnet uns die 23-jährige türkischstämmige Cigdem Cam. Sie kam mit zwölf Jahren nach Österreich und besucht seitdem das Bundes-Blindenerziehungsinstitut.

Ab ihrem siebenten Lebensjahr war sie nach und nach aufgrund einer Erbkrankheit erblindet. Sie konnte die örtliche Schule deshalb nicht mehr besuchen, und Blindenschulen waren zu teuer und zu weit weg. Erst als sie ihr Vater nach Wien holte, konnte sie in eine Blindenschule gehen.

Heute arbeitet die 23-jährige Cigdem als Ausstellungsführerin bei "Dialog im Dunkeln". Sie macht derzeit neben der Arbeit die Matura. Die Brailleschrift ist eines der ersten Dinge, die einem in der Blindenschule gelehrt wird. Auch der Zugang zum Computer wird durch die Braillezeile, mit der man den Text sieht, der am Bildschirm steht, erleichtert.

Cigdem lebt seit kurzem in ihrer eigenen Wohnung. Kaum vorstellbar, wie sie den Haushalt bewältigt. Zur Sortierung ihrer Schmutzwäsche benutzt sie beispielsweise ein speziell für Blinde entwickelte Farberkennungsgerät. "Man muss nur lernen, wie man einen Haushalt führt", erzählt sie.

Seltene Bilder

Im Gespräch erzählt Cigdem auch von ihren Träumen. "Am meisten höre und fühle ich", schildert sie. Nur manchmal sieht sie noch Bilder. Etwas, das für Erich Schmid, Lehrer des Bundes-Blindenerziehungsinstituts anders ist: Er hat keine Vorstellung von Farben, sondern träumt nur mit Geräuschen in völliger Dunkelheit. (Christine Drechsler, Sofie Duffek, Rosa Steininger/DER STANDARD Printausgabe, 19. Februar 2008)