Hans Jürgen Syberberg, der heute in Nossendorf in Brandenburg lebt, bei der Montage seines Gesamtwerks in der Kunsthalle Wien: "Ich bringe den Wienern sozusagen ihren Oskar Werner zurück!"

Foto: Heribert Corn
DER STANDARD: Die Installation in der Kunsthalle rückt nicht nur die beiden monumentalen Edith-Clever-Monologe "Die Nacht" und "Ein Traum, was sonst?" in den Blick, die Schau ermöglicht die lückenlose Auseinandersetzung mit Ihrem filmischen Gesamtwerk. Was bedeutet eine solche archivarische Anstrengung für Sie?

Syberberg: Gerald Matt kam im vergangenen Sommer zu mir nach Nossendorf, auf mein Gut in Pommern. Er machte mir den überraschenden Vorschlag, Die Nacht im großen Raum zu zeigen, allein und über sechs Wochen. Das erregte sofort meine Aufmerksamkeit. Nach einigem Misstrauen habe ich mir überlegt: Es ist doch wichtig, dass ich das tue und nicht jemand anderer.

DER STANDARD: Aus Misstrauen gegen das Kuratorenwesen?

Syberberg: Obwohl ich eher zurückgelehnt im Verborgenen bleiben wollte. Nein, wenn ich alle die Filme gemacht habe, muss ich auch dafür sorgen, dass sie unter meinem Zeichen erscheinen.

DER STANDARD: Im Sinne einer Sicherstellung Ihres Werks?

Syberberg: Wir zeigen die Filme auch hier im Treppenhaus. Mit der Präsentation im Raum wird das Gesamtoeuvre zeitgleich auf kleinen Platten angeboten. Ich musste zum ersten Mal alles noch einmal durcharbeiten, bis nach vorne: zurück an den Anfang, 1953 bei Bertolt Brecht.

Ich musste mir vergegenwärtigen, wie alles miteinander zusammenhängt, um es auch anbieten zu können. Nicht der kommerzielle Aspekt ist wichtig, sondern das zusammenfassende Präsentieren. Bei den frühen Filmen, denjenigen über Brecht und Kortner, auf 8 mm gedreht, erkläre ich ein bisschen, um was es geht. Der Regisseur und Schauspieler Fritz Kortner ist Ausländern nicht bekannt, und den Deutschen weniger und weniger. Durch die Herausgabe seiner Proben, seiner Monologe wurde mir wieder deutlich, wie prägend er war.

DER STANDARD: Wichtig für Sie?

Syberberg: Edith Clever hat Kortner ja noch live auf den Proben gesehen, und ich eben auch. Die Jungen haben dazu kein Verhältnis mehr – man sieht es ja auf dem Theater! Peter Stein hat die Kortner-Erfahrung in der Schaubühne zwar materialisiert, doch ganz anders. Beide Aspekte, die eher virtuelle Sache der DVDs und die Gegenstände im Raum, waren natürlich schon eine Einladung wert!

DER STANDARD: Welche Gefühle entwickeln Sie beim Wiedersehen eigener Werke? Immerhin haben einige, gerade auch "Hitler, ein Film aus Deutschland", in den 1970er-Jahren wahre Entrüstungsstürme ausgelöst.

Syberberg: Mich beschäftigen Motive, warum etwas gemacht wird. Brecht war wesentlich dadurch motiviert, Urfaust zu inszenieren, weil er Käthe Reichel adorierte, die sein Gretchen war. Dieses Mädchen kam nun aus der Vorstadt – kein ländliches Mädchen. Für mich ein Schock, weil ich stand unter dem Eindruck von Goethes Sesenheim. Bei Kortner habe ich entdeckt, wie ungeheuer die Amplitude zwischen der Realität ist, der "niedrig gesetzten" Klassik, und dem entschiedenen Blick nach oben, zu Gott. Wenn man diesen Blick nicht drin hat, hat man Schiller nicht.

DER STANDARD: Sie haben den offenen Dissens mit dem zeitgenössischen Kinobetrieb gesucht. Sind Ihre Arbeiten ein Angebot an Nachgeborene, unter Ausblendung der alten Polemiken?

Syberberg: Jenseits aller "Botschaftstriebe" herrscht die Freude vor, die Nacht im großen Raum zu sehen! Wobei ich an den Reaktionen der Leute bemerke, dass sie nicht achtlos sind, sondern stehenbleiben, und das aus verschiedensten Gründen. Für Menschen, die suchen, gibt es offenbar etwas zu entdecken.

Auch ein Kortner hatte es doch nicht leicht. Er bekam Spiegel-Titel, weil man ihn bekämpfte. Oskar Werner, der in der Ausstellung als "Gast" auftritt, wurde zu einem Problem seiner Zeit. Ich freue mich, ihn den Wienern wiederbringen zu können. Es wäre doch eine überlegende Arbeit wert: Woher rühren diese Gegnerschaften? Aus welchem Grunde hatten alle Hochbegabten diese Schwierigkeiten?

Es hat meistens mit Ästhetik zu tun. Auch die Angriffe auf mich waren zumeist ästhetisch motiviert. Meine Reaktion war eine Gegenaggressivität – worauf die anderen sich bemühten, das politisch zu deuten. Aber auch Brecht wurde doch in der DDR politisch regelrecht verboten. So gesehen war mein Brecht-Film ein regelrechtes Untergrund-Produkt. Das war bei Brecht angelegt, dem großen Meister des Ostens. Warum? Weil er etwas anders gemacht hat. Das Andersmachen ist zumeist der Hauptpunkt der Aggression. Denken Sie an die ungeheuren Vorwürfe gegen Oskar Werner: ein Theater, das man nicht wollte. Dann wurde es auf der Documenta gezeigt, in meinen Mitschnitten – und plötzlich sagten bedeutende Kritiker: "Oh Gott, was für ein Ton!" Das waren doch vorher blutige Angriffe, bis auf den Tod. Interessant in Zeiten, in denen es eine Kritik gibt, aber keine Zensur.

DER STANDARD: Würden Sie Ihre Arbeit in diesem Felde sehen: Brechts episches Theater, als Werkzeug gebraucht, um den Geist Richard Wagners wachzurufen?

Syberberg: Beide haben Energie aufgebracht, um diejenigen Orte zu finden, wo sie machen konnten, was sie wollten. Wagner hat Bayreuth geschaffen, Brecht das "Berliner Ensemble". Beide sind Labels geworden. Das finde ich ganz ungeheuerlich: als Tat. Welches Label kann ich meinen Sachen geben? Da habe ich dieses heruntergekommene Dorf in Pommern genommen, um von dort aus zu wirken.

DER STANDARD: Mit Blick auf die Nachkriegszeit werden Jubiläen wachgerufen: Stichwort 1968. Verfolgen Sie dergleichen? Man könnte sagen: Sie hätten mit "Hitler" ’77 viele Diskussionen mit angestoßen ...

Syberberg: Die Hitler-Geschichte ist eine derart eingreifende ... Da sind wir an einem Kern dran, der uns heute noch umtreibt, selbst wenn die Themen gewechselt haben. Wenn wir jetzt in Amerika demnächst einen schwarzen Chef bekommen, dann werden die Karten sowieso neu gemischt – weil Obama eine andere Geschichte hat. Was sehr schön ist, weil wir andere Möglichkeiten an die Hand bekommen, mit Chinesen, Indern, Islamisten umzugehen. Vielleicht kann dann die westliche Kultur noch einmal neu beginnen ...

DER STANDARD: Zugleich gibt es doch bereits eine größere "Unbefangenheit". Wenn Bruno Ganz in "Der Untergang" Hitler als zauseligen, aber höflichen älteren Herren spielt ...

Syberberg: Zur Zeit meines "Hitler"-Films hätten sie den verhauen. 25 Jahre später wurde es gemacht. André Hellers Traudl-Junge-Film ist eine Nacharbeit zu meinem Winifred-Wagner-Film. Winifred war die Queen von allen Sekretärinnen ... Ich bin nicht so kritisch mit Der Untergang. Ich hätte nur einen anderen Titel gewählt: "Der Untergang des deutsch-römischen Reiches".

(Ronald Pohl, DER STANDARD/Printausgabe, 16./17.02.2008)

Adel und Untergang Syberberg und seine Kunsthallen-Schau

Adel und Untergang

Wien – Hans Jürgen Syberberg (72), Schöpfer mehrerer filmischer Werkblöcke, die sich auf die Wachrufung eines spezifisch "deutschen" Mythenvorrats konzentrieren, verbrachte seine Jugend in Ostdeutschland. Früh, als filmender Schüler noch, mit Brechts Theaterarbeit am Berliner Ensemble konfrontiert, übersiedelte der Sohn märkischer Großgrundbesitzer 1953 nach München.

Er errichtete vor allem in den 1970er-Jahren mit vielstündigen, assoziationsreichen Filmen (wie Ludwig – Requiem für einen jungfräulichen König oder eben Hitler, ein Film aus Deutschland) Monumente der "Trauer": über den Hingang der preußisch-deutschen, abendländischen Kunst und Kultur.

Die Kunsthalle Wien legt den Fokus auf spätere Phasen: In den von Edith Clever zum Leben erweckten Textcollagen wie Die Nacht (1984, sechs Stunden) kreist Syberbergs Denken noch einmal um Preußens Glanz und Gloria – um der zeitgenössischen Kultur der Aufklärung die Stirn zu bieten. Neben der Filminstallation kann man in der Kunsthalle nicht nur sämtliche Filme rezipieren, sondern bekommt auch neues Material – etwa von Oskar Werners Homburg-Versuchen – geboten. Syberberg, seit Jahren mit der Dokumentation seines Anwesens in Nossendorf beschäftigt, kommentiert die Schau auf seiner Webpage. (poh, DER STANDARD/Printausgabe, 16./17.02.2008)