Wie man nicht bekommt, was man zu brauchen meint: Johannes Krisch und Ursula Strauss in "Revanche".

Foto: Panorama
Mit ihrer atemlosen Performance in "Julia" empfiehlt sich Tilda Swinton bei der Berlinale sogar für Preis-Würden.


Die Berlinale ist viele Welten in einer, und deren Berührungspunkte sind oft marginal: Die Berlinale der großen Bollywood-Fangemeinde, die ihrem Idol, dem Inder Shah Rukh Khan, kürzlich einen legendär turbulenten Empfang bereitet hat, ist beispielsweise schon wieder zu Ende. Die Berlinale der zahlenden Besucher beginnt immer noch täglich frühmorgens, wenn sich vor den Verkaufsschaltern die Schlangen bilden.

Ewiger Kreislauf

Die Berlinale der sogenannten Fachbesucher läuft dagegen wie auf Schiene: Wer etwa die Pressevorführungen der Sektion "Forum" besuchen will, muss sich nur um zehn Uhr vormittags vor dem entsprechenden Saal einfinden und kann sich für die nächsten zehn, zwölf Stunden immer wieder aufs Neue durch den Kreislauf aus Einlass, Vorführung, Verlassen des Kinos und neuerlichem Einlass treiben lassen.

Dann gibt es noch die, die hier gar keine Filme sehen: Stattdessen gehen die Verhandlungsprofis, die sich in den Luxushotels um den Potsdamer Platz eingemietet haben, dort ihrem Geschäft mit Beteiligungen und Filmrechten nach. Ob sich die zum Teil millionenschweren Investitionen in noch zu realisierende Projekte rechnen werden, entscheidet sich endgültig erst, wenn der fertige Film sein Publikum findet - oder nicht. Vielleicht auf einer zukünftigen Berlinale.

Alex (Johannes Krisch) und seine Freundin Tamara (Irina Potapenko) wären schon mit kleineren Beträgen zufrieden. Sie hat "Schulden" beim Bordellbesitzer, für den sie arbeitet; er ist dort der Mann fürs Grobe, würde sich aber viel lieber in Ibiza an einer Bar beteiligen - die benötigten Mittel lassen sich auf legalem Wege nicht verdienen. Also beschließt Alex, "eine Bank zu machen", Tamara versucht zuerst, ihm die Sache auszureden. Als sich ihre Lage gefährlich zuspitzt, gibt sie nach.

Alles scheint ganz einfach zu gehen, aber der Plan von Alex hat einen Fehler, für den Tamara den höchsten Preis zu zahlen hat. Die anderen Beteiligten kommen zwar mit dem Leben davon, aber nicht ohne Blessuren.

"Revanche" heißt der jüngste Film des österreichischen Autors und Regisseurs Götz Spielmann, der in der Sektion "Panorama" seine Uraufführung hatte. Die Geschichte von Alex und Tamara beginnt im Wiener Rotlichtmilieu. Entfalten wird sie sich allerdings erst im spätsommerlichen Waldviertel, wo Alex' verwitweter Großvater (Hannes Thanheiser) einen kleinen Hof bewirtschaftet. Dort wird die generische Erzählung von Delinquenz, Schuld und Rache mit einem kleinbürgerlichen österreichischen Alltag konfrontiert, der ihr langsam die dramatische Spitze nimmt. Dafür rücken in dem präzise konstruierten Film nun die unterschiedlichen Figuren, ihre Verhältnisse, die Räume, die sie bewohnen, und die Routinen, denen sie folgen, in den Vordergrund.

Während es bei "Revanche" unter anderem darum geht, wie sich nach einem anfänglichen Knalleffekt Dinge verlagern, Kreise ziehen, aber auch langsam verebben, kommt Eric Zonckas "Julia" kaum einmal zur Ruhe: Auch Julia Harris (Tilda Swinton) hat Geldprobleme, und sie wählt einen nicht minder riskanten Weg, um an Geld zu kommen. Sie kidnappt den Enkel eines Multimillionärs und verlangt zwei Millionen Dollar für die Freigabe des Achtjährigen. Was sich, so zusammengefasst, sehr kühl kalkuliert anhört, ist de facto ein wilder Zickzackkurs. Denn Julia trinkt fortwährend mehr, als ihr gut tut. Der Film beginnt im Zwielicht und Lärm einer Bar, auf einer Party, wo sich Julia durch die Nacht säuft, tanzt und Männerbekanntschaften macht. Am nächsten Morgen wacht sie bei gleißendem Sonnenlicht zerknittert in einem fremden Auto auf, stakst auf ihren hohen Hacken gefährlich unsicher zum eigenen Wagen und fährt nach Hause.

Schon in diesen ersten beiden Sequenzen wird man in Bann gezogen von der Frau, die sich zwischen Nacht und Tag, zwischen Vollrausch und Riesenkater, tatsächlich auch körperlich zu verwandeln scheint. Tilda Swinton liefert mit ihrer Darstellung dieser Figur nach Daniel Day-Lewis gleich die zweite kraftvolle Schauspielerperformance im diesjährigen Wettbewerb. Und sie navigiert den 138-minütigen Film irgendwie auch über manch gröberes, dramaturgisches Schlagloch. Ob sie für ihre Leistung einen Preis erhält, wird sich am Samstag entscheiden. (Isabella Reicher aus Berlin / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 11.2.2008)