Nun kommt, wie einst schon Alfred Hitchcock – ebenfalls ausgehend von Kussszenen – behauptete, im Kino das, was am leichtesten und natürlichsten wirken soll, nicht selten unter den verquersten Verrenkungen, dem merkwürdigsten Aufwand zustande. Und natürlich ist besagte Szene in My Blueberry Nights eine der wahrhaft lyrischen, eine meisterliche Komposition an Ausleuchtung, Farbe, körperlicher Sinnlichkeit. Einem lange nicht eingelösten Begehren, das die beiden Protagonisten, einen romantischen Coffeeshop-Besitzer und seiner melancholischen Stammkundin, zuerst fast wie erfroren innehalten macht, schließlich die Frau auf eine längere Reise durch Amerika verfallen lässt, und gleichzeitig den Mann zu schmerzlichstem (oder vielleicht eher doch: köstlichem) Warten treibt.
Wie immer bei Wong Kar-Wai ist es auch hier nicht notwendig, mehr an "Inhalt" nachzuerzählen. Wie zuletzt etwa seine Meisterwerke In the Mood for Love und 2046 ist auch My Blueberry Nights weniger bestimmt durch Handlung(en) als durch sinnliche Reize und Erinnerungskonstruktionen.
Jukebox-Amerika
Welche Chemie kommt da ins Spiel, wenn einen ein Stück Blaubeerkuchen, sein Geschmack, seine Konsistenz vergangene Augenblicke ins Gedächtnis zurückruft? Welche Farben, Gerüche, Wetterstimmungen verbinden wir mit lange nicht gehörten Songs? Und, in diesem Fall ganz wesentlich: Was für ein "Amerika" beschwört ein aus Hongkong stammender Regisseur wie Wong Kar-Wai eigentlich, wenn er erstmals Gelegenheit hat, in den USA zu drehen? Eher ein Jukebox-Amerika oder Edward-Hopper-Amerika, außerhalb der Zeit und gleichzeitig ganz spezifisch mit Jugendassoziationen verbunden.