Dem Schoße eines Außerirdischen entschlüpft: Tsui House in Berkely, ein hybrides Ding aus Massiv- und Holzleichtbauweise. Baukosten 250.000 US-Dollar. In der Watsu School (oben) werden Alltagsgeplagte massiert und verwöhnt. Die Baukosten dafür belaufen sich auf 4,5 Millionen Dollar. Lediglich ein Traum ist die Verbindung von Europa nach Afrika. Die Regierungen von Spanien und Marokko wollen von Tsuis Plänen nichtswissen.

Fotos: Tsui Design & Research
Die heiße Sonne Kaliforniens animiert zu bizarren Kreationen. Immer wieder tauchen in den Suburbs der Großstädte, manchmal auch in der Einöde des Hinterlandes, Häuser auf, die aus Glasscherben, aus Reifen, aus Altmetall und Schrott erbaut sind. Rechter Winkel? Vonwegen. Bisweilen erwecken die mörtelbedeckten Ungetüme den Eindruck, als seien sie den Becken weiblicher Aliens entschlüpft oder aus den Tiefen der Meere herausgefischt. Die hohe Schule der Architektur wird geflissentlich umgangen, hier regiert die ästhetische Formensprache von Mutter Natur, überzogen mit einem Zuckerguss aus Esoterik und Feng-Shui.

"Häuser sind wie Kleidung. Sie eignen sich perfekt als Ausdruck der eigenen Individualität", sagt Eugene Tsui, "hat man sich einer Bauaufgabe erst einmal vollends hingegeben, dann merkt man bald, wie viele unterschiedliche Resultate ein Mensch aus immer gleichen Ziegeln und Steinen hervorbringen kann. Die Norm interessiert mich nicht." Mit Elan und Überzeugungskraft hat der 53-jährige Einzelkämpfer mitsamt doppeltem Doktortitel sogar schon Architekten von Rang und Namen dazu gebracht, in höchsten Tönen von ihm zu schwärmen. "Er macht Gebäude, die aussehen wie die Kreuzung einer weichen Qualle mit einem aggressiven Haifisch", sagt etwa der britische Architekturhistoriker Charles Jencks, "es ist erstaunlich, was Tsui aus toter Materie alles machen kann." Und Frei Otto, Stuttgarts Meister der freihängenden Gitterschalen: "Tsuis Ideen sind fantastisch. Er hat ein umfangreiches Werk hervorgebracht, das dem eines Architekten entspricht, der bereits seit 60 Jahren oder mehr im Berufsleben steckt. Und doch ist er noch relativ jung."

Berkeley, mitten in der malerischen San Francisco Bay Area: Hier ist die Dichte an amorpher Architektur aus der Feder von Eugene Tsui besonders hoch. Zahlreiche Einfamilienhäuser entstanden im Laufe der vergangenen Jahrzehnte nach dem Vorbild der Natur – für Eltern, für Freunde, für Experimentierfreudige aller Altersklassen und sozialen Schichten. Unverwechselbar ist die Architektur von runden Formen geprägt, in reptilienartige Häute gekleidet und mit verschwenderischer Ornamentik übersät. An den Säulen ranken architektonische Äste und Zweige aus Putz und Mörtel empor. Über den Eingängen ragen Vordächer wie die Flügel einer Fliege vor – transparent und von eisernen Adern durchzogen. "Ich hasse Kompromisse", sagt Tsui, "wenn man als Architekt nicht etwas Charakteristisches und Markantes schaffen will, wozu dann überhaupt noch bauen?"

Häuser, die atmen

In Middletown, etwas weiter im Norden, wo die San Francisco Bucht bereits hinterm Horizont verschwunden ist, steht eines seiner bisher größten Projekte. Die Watsu School at Harbin Hot Springs ist ein Dorado für Körper, Geist und Seele. Im Innern der an brutwarme Dinosaurier-Eier erinnernden Kugeln – sandfarben, was sonst – befindet sich ein Wellness-Zentrum, in dem Alltagsgeplagte im Wasserbad schweben oder in einem der Seminarräume eine Massage über sich ergehen lassen. Unweigerlich muss man an die felsigen Behausungen von Fred Feuerstein und Barney Geröllheimer denken. Nimmt Tsui die Architektur denn ernst?

"Ich beherrsche die Spielregeln der Natur sicherlich besser als viele andere. Meine Gebäude orientieren sich daran – und zwar nicht nur im Formalen, wie dies auf den ersten Blick vielleicht scheinen mag, sondern auch bei genauerer Betrachtung." Will heißen: "Die Häuser atmen, sie sind ein Beitrag an die Ökologie und ans Klima." Etwas anderes kann sich der überzeugte Außenseiter gar nicht vorstellen. "Ich verstehe einfach nicht, wie manche Architekten und Bauherren für sich verantworten können, in Häusern aus Stahl, Aluminium und Glas zu wohnen. So ein Wohnen kann niemals im Einklang mit der Natur sein. Das ist wider unsere Geschichte."

Heizung, Wärmedämmung, Lüftung? Darüber braucht man sich in kalifornischen Gefilden nicht so sehr den Kopf zermartern wie bei uns. Und das kommt Tsui nur gelegen. "Ich entwerfe Gebäude, die völlig ohne Mechanik und Technik auskommen. Noch energieschonender als das kann Architektur nicht sein." Wichtiger als Hightech in den Wänden sei es, die Architektur aerodynamisch zu formen. Nur dann könne die Energie den Bau von allen Seiten umfließen. Im Falle einer Schachtel, wie dies vielerorts der Fall ist, bleiben die Energieressourcen in den Ecken stecken und gehen dem Menschen auf diese Weise verloren."

Von Europa nach Afrika

Tsui schmiedete in den vergangenen Jahren – allen Vorwürfen der Lächerlichkeit zum Trotz – große Pläne. Er träumt von einer Verbindung der Kontinente Europa und Afrika. Schon seit 20 Jahren wird über eine mögliche Untertunnelung oder Überbrückung der Straße von Gibraltar nachgedacht. Die Landesverwaltung der südspanischen Provinz Cadiz wurde ungeduldig und ergriff ihrerseits vor einigen Jahren die Initiative. Sie beauftragte Tsui mit der Erstellung von Entwürfen für eine verkehrstechnische Verbindung.

Dieser kam bereits einige Male mit Planrollen und farbenfrohen Modellen nach Spanien und Marokko angereist – und präsentierte seine Idee einer schwimmenden Brücke. Auf einer Länge von insgesamt 14 Kilometern, die es zu überqueren gilt, wird das schwimmende Stahlbeton-Ponton in den beiden Küstenbereichen abgesenkt, wohingegen es in der Mitte der Meeresenge auftaucht und eine schwimmende Insel bildet. 150 Windräder sollen die enormen Windkräfte über dem offenen Meer nutzen. Zudem wird der unter Wasser liegende Teil der Konstruktion von 200 Turbinen begleitet, die sich die Dünung des Meeres zunutze machen sollen. In Zusammenarbeit mit Technikern errechnete Eugene Tsui einen Output von über 12 Milliarden Kilowattstunden Strom – genug Elektrizität, um Cadiz und Teile von Marokko zu versorgen.

10 Milliarden Dollar sollen Brücke und Tunnel kosten. Dass die Verbindung nicht nur für Pkw- und Lkw-Verkehr genutzt werden soll, ist selbstredend. Es werde sogar eine eigene Spur für Fußgänger, Pferdereiter und Kamelführer geben, erklärt Tsui. Während Südspanien und Nordmarokko mitsamt ihrem Planer die längste Zeit optimistisch gestimmt waren, hüllen sich die Regierungen beider Länder im Stillschweigen. Sie wollen von diesem Entwurf nichts wissen. Bis heute gab es keine offizielle Stellungnahme.

"Ob das nicht auch an Tsuis unkonventionellem Geschmack in Sachen Design liegt?", fragte vor einiger Zeit die britische Tageszeitung Telegraph. Jon Clarke und Colin Freeman schreiben weiter: "Auch wenn man dies dem Projekt auf Anhieb nicht ansieht, so ist anzumerken, dass Tsuis Pläne im Vergleich zu anderen internationalen Zivilingenieurs-Projekten der vergangenen Jahre mit Abstand am weitesten ausgereift sind." Nichtsdestoweniger hat der Urheber in der Zwischenzeit selbst schon kapituliert. Tsui: "Im Augenblick liegt das Projekt auf Eis. Ich weiß nicht, wie es weitergehen soll."

Der US-amerikanische Architekt Richard Meier hat also recht, wenn er meint: "Tsui ist ein geborener Lehrer und ein professioneller Künstler und Forscher. Aber sein Schicksal ist, dass er in keines der Schemen passt, die die Gesellschaft für die Entwicklung heller Köpfe vorbereitet hat."

Abschließende Frage an den Außenseiter: Haben Sie etwas dagegen, dass manche Leute Sie als esoterisch und naiv bezeichnen? "Ja, das höre ich sehr oft. Unsere Gesellschaft ist in dieser Hinsicht sehr arrogant. Jeder, der nicht den Spielregeln entspricht, wird ausgeklammert. Aber nein, das macht mir nichts aus." Immerhin gebe es ein paar Kalifornier, die sein Denken und Handeln sehr schätzten. – Zieht ab und klopft das nächste Dinosaurier-Ei zurecht. (Wojciech Czaja, ALBUM/DER STANDARD, 09./10.02.2008)