Ins Gerede geraten: der Fluss der Bawag-Akten.

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Neu zur Diskussion gestellt. die Kampusch-Affäre.

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Ungeklärt: die Ermittlungen gegen Anwalt Georg Bürstmayr.

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Herwig Haidinger, der mittlerweile abgesetzte Chef des Bundeskriminalamtes, hat bei seiner Aussage vor dem parlamentarischen Innenausschuss schwerwiegende Vorwürfe gegen das Innenministerium erhoben, die gleich drei Minister und mehrere Themenbereiche betreffen.

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  • Bawag-Ermittlungen: Haidinger hatte bereits am 12. Juli 2007 in einem internen Mail an das Büro für interne Angelegenheiten (BIA), an Erik Buxbaum, Generaldirektor für die Öffentliche Sicherheit, und an Matthias Wecher, Mitarbeiter im Kabinett von Innenminister Günther Platter, berichtet: Er, Haidinger, sei von der Ressortleitung angewiesen worden, über Geldflüsse von der Bawag oder vom ÖGB an die SPÖ, welche aufgrund der Ermittlungshandlungen durch das Bundeskriminalamt hervorkämen, sofort zu berichten und Unterlagen dazu zu übermitteln.

    Weiters hätte er über Wunsch der Ressortleitung jene Unterlagen, die aufgrund einer Anforderung durch den Banken-Untersuchungsausschuss dorthin zu übermitteln waren, vorher an den Klub der ÖVP weitergeben sollen. Konkret habe der Kabinettschef von Innenministerin Liese Prokop, Philipp Ita, von ihm verlangt, die Akten für den Banken-Untersuchungsausschuss zuerst an den Klub der ÖVP und erst dann an den Ausschuss zu senden. Er habe dies für rechtswidrig gehalten, gab Haidinger am Mittwoch als Zeuge im Innenausschuss an, und er habe seine Meinung wiederholt zum Ausdruck gebracht. Das habe in der Ressortleitung „höchste Erregung“ verursacht. Der damalige Kabinettschef „habe ihn angebrüllt“ – ohne Ergebnis.

  • Vorwürfe gegen SPÖ: Außerdem hätten ihn zwei Kabinettsmitarbeiter der Innenministerin, namentlich Andreas Pilsl und Bernhard Treibenreif, „dazu gebracht, die Bawag-Vorwürfe gegen die SPÖ zu liefern“. Die beiden hätten „auch die Beschleunigung der Untersuchungen gegen die SPÖ verlangt“. Die Ermittlungen gegen Vranitzky seien vor der Wahl plötzlich der Soko Bawag abgenommen und dem BIA übergeben worden. Innenminister Günther Platter gab am Mittwoch an, dass das BIA einerseits seit Juli 2007, andererseits seit der Vorwoche in der Causa ermittle.

  • Amtsmissbrauch: Der FPÖ-Abgeordnete Martin Graf, ehemals Vorsitzender des Bankenausschusses, kündigte am Mittwoch eine Sachverhaltsdarstellung gegen den neuen Leiter des Bundeskriminalamts, Franz Lang, und den früheren Kabinettchef Philipp Ita an. Die beiden hätten „nicht nur interveniert, dass dem Ausschuss wichtigste Unterlagen nicht oder erst viel zu spät zur Verfügung gestellt wurden, sondern dies auch verfügt“ und damit „die Untersuchungen ein halbes Jahr lang blockiert“. Nach Ansicht von Graf bestehe der Verdacht des „systematischen Amtsmissbrauchs“.

  • Die Ermittlungspannen: Massive Vorwürfe erhebt der abgesetzte Kripo-Boss auch im Fall Natascha Kampusch (siehe die Artikel dazu). Er habe nach dem August 2006, in dem der jungen Frau die Flucht aus der Gefangenschaft gelungen ist, eine Evaluierung der Ermittlungen geplant. Die Hintergründe zweier großer Pannen seien ihm dabei am Herzen gelegen, verdeutlichte Haidinger vor dem Ausschuss: einerseits, warum das fehlende Alibi des am 6. April 1998 von der Polizei befragten Wolfgang Priklopil nicht für mehr Misstrauen gesorgt hatte – vor allem im Zusammenhang mit der Anzeige eines niederösterreichischen Polizeihundeführers, die acht Tage später an die Wiener Sicherheitsdirektion übermittelt worden ist.

    Dieser Mann hatte auf Priklopil im Zusammenhang mit der Suche nach dem weißen Kastenwagen, in dem Kampusch entführt worden war, hingewiesen. Den Namen Priklopil nannte der Beamte in der Anzeige nicht – sehr wohl jedoch die genaue Adresse des Hauses, in dem Kampusch gefangengehalten wurde.

    Brisanter erscheinen die Zusatzinformationen, die er übermittelt hat: Der Verdächtige habe einen „Hang zu ,Kindern‘ in Bezug auf seine Sexualität“ – ob er deswegen bereits vorbestraft sei, wisse er nicht. Darüber hinaus sei er als „Eigenbrötler“ bekannt und lebe mit seiner betagte Mutter in dem Einfamilienhaus in Strasshof. Das Haus sei aber „elektronisch voll abgesichert“, der Verdächtige solle eventuell auch Waffen im Haus haben, schrieb der Hundeführer knapp sechs Wochen nach Kampuschs Verschwinden.

  • Keine Evaluierung: Haidingers Plan im Spätsommer 2006 war nun, die Sache noch einmal aufzurollen und zu eruieren, warum dieser Hinweis offenbar nicht die Alarmglocken schrillen ließ. Eine Befragung des Tippgebers sei ihm aber per mündlicher Weisung untersagt worden, behauptet der Ex-Bundeskriminalamtsdirektor. Konkret von Bernhard Treibenreif, zu diesem Zeitpunkt Cobra-Chef und Kabinettsmitglied. Die damalige Innenministerin Liese Prokop wolle keine Erhebungen, weil „dann diese Sache bekannt werden würde“ und „wir keinen Polizeiskandal vor der Nationalratswahl wollen“ soll Treibenreif Haidinger erklärt haben.

  • Strassers Weisung: „Mir war schon damals klar, dass hinter der Anzeige gegen mich nicht bloß ein kleiner Beamter steht, sondern dass auch das Ministerbüro damit beschäftigt war“: So reagiert der Wiener Anwalt und Leiter der Kommission eins des Menschenrechtsbeirats, Georg Bürstmayr, auf eine weitere Haidinger-Enthüllung. Am Anfang der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen wegen Schleppereiverdachts gegen ihn und die Wiener Anwältin Nadja Lorenz im Herbst 2004 soll eine Weisung des damaligen Innenministers Ernst Strasser gestanden haben – mit dem Ziel, Bürstmayrs Neubestellung in den Menschenrechtsbeirat zu verhindern. Die Ermittlungen wurden ergebnislos eingestellt, und Bürstmayr blieb dem Beirat erhalten, Amnesty erblickte jedoch „Elemente politischer Verfolgung“.

    In einem an Haidinger, damals Leiter des BKA, geschickten Mail, das der grüne Sicherheitssprecher Peter Pilz am Mittwoch präsentierte, schildert der Leiter des BKA-Schlepperbüros, Gerald Tatzgern, den Ablauf eines Telefonats mit Kabinettsmitarbeiter Peter Webinger. Dieser habe ihn „im Oktober 2004 während meines Urlaubs“ angerufen und „in der Causa Bürstmayr eine Sachverhaltsdarstellung an die Staatsanwaltschaft“ urgiert. „Ich sagte, dass ich keine strafrechtliche Relevanz sehe, und machte einen Vergleich: Wenn jemand bei Grün über die Kreuzung geht, kann ich nichts Strafbares erkennen.“ Doch Webinger habe mit dem Hinweis „dass es der HBM (Herr Bundesminister) so will“, darauf bestanden, schreibt Tatzgern. Der Aufforderung habe er Folge geleistet.

    „Abgeschlossen“

    „Für mich ist das Schnee von vorgestern: eine lang abgeschlossene Geschichte“, sagt Bürstmayr dazu. Strasser wiederum sieht sich im STANDARD-Gespräch „nicht verpflichtet, Fragen zu beantworten“. Die Sache sei „damals in aller Breite abgehandelt worden“. Konkret im parlamentarischen Innenausschuss und in Form eines von der SPÖ eingebrachten Misstrauenantrags gegen den Minister, der von Schwarz-Blau abgelehnt worden war.

  • Mysteriöser Unfall: Prokops Kabinettchef soll aber nicht nur aus politischen Gründen interveniert haben, sondern auch zum persönlichen Vorteil, behauptet Haidinger. Ein Autounfall im Jahr 2005 führte zu einer Meldung des Ex-Chefs des Bundeskriminalamts an die Ermittler des Innenministeriums im BIA (Büro für intere Angelegenheiten). Denn nach Haidingers Überzeugung sollte ein Alko-Unfall Itas vertuscht werden. Dass bei dem Verkehrsunfall Alkohol im Spiel gewesen sei, hätten viele im Ressort gewusst, sagte Haidinger im Innenausschuss. Die damalige Ehefrau Itas, die ebenfalls im Innenressort arbeitet, hätte ihm schließlich davon erzählt.

    Haidinger habe sich dann den Unfallakt kommen lassen, bei dem er gleich bemerkt habe, dass „etwas nicht stimme“. Denn dort stand zu lesen, dass ein Unbekannter Ita abgedrängt habe und er deshalb gegen einen Masten gefahren sei. BIA-Chef Martin Kreutner habe sich den Unfallakt ebenfalls kommen lassen und wegen des Verdachts des Amtsmissbrauchs ermittelt, sagt Haidinger. Über den Stand des Verfahrens ist nichts bekannt. (bri, moe, völ, DER STANDARD, Printausgabe 7.2.2008)