Einen "Glücksfall" nennt Schnur den Schatten, den der Spie-gel auf den Waldboden wirft und dort ein dunkles Loch suggeriert: "Das musste ich dann nehmen, das ist schon was Arges" ("Abwehr #2", 2006).

Foto: Belvedere
Seine Malerei spielt ebenso mit Reflexion von Licht wie mit Scheinwelten.
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Wien – "Bauchmalerei gibt es nicht", erklärt Martin Schnur nach kurzem Überlegen entschieden. Davor stand die Frage, ob stets ein konkreter der beiden sich in seinen Gemälden zusammenfügenden Bildausschnitte vor dem anderen entstehe. Das bringt den Künstler ganz kurz ins Grübeln, bevor er verneint. Es "passiere" intuitiv, aber eben nicht im Bauch, sondern im Kopf.

Und dort sprudeln die Gedanken nur so und auch – zackig und auf den Punkt gebracht – aus ihm heraus, während er ein paar Schritte zu einem seiner Bilder hinüberhechtet. Dort weist er auf einen bestimmten Licht- oder Farbfleck – "Schauen sie hier"– hin. Und man schaut und schmunzelt, denn die ihm ins Gesicht geschriebene, ungeminderte Begeisterung für Details seiner Bilder macht Freude.

Lichtbrechung am Luster...

Dem 1964 in Vorau geborenen Steirer, der eigentlich zum Bildhauer ausgebildet wurde, widmet das Belvedere in seiner Außenstelle Augarten Contemporary seine erste museale Personale – übrigens auch die erste der neuen Kuratorin für zeitgenössische Kunst, Eva Maria Stadler. Ob er wisse, dass er eigentlich ein Maler sei, habe ihn Wilfried Skreiner einst gefragt. Und eigentlich "wollte ich auch immer malen", gesteht Schnur, dem der Mangel an Farbigkeit im bildhauerischen Arbeiten stets fehlte. Jetzt modelliert er mit Licht, grellem Sonnenlicht, das im Braun der Baumstämme violette, rote und orangefarbene Nuancen herauskitzelt oder in Pfützen wabert. Licht, das sich im Kristallluster fängt oder Blitzlicht, das sich in Scherben am Asphalt reflektiert.

Es ist der Widerschein des Lichts, der Schnur interessiert, die Brechungen, auch auf der erweiterten Sinnebene des Wortes. Schein, so der sehr treffende Titel der Ausstellung, der auch für die Scheinwelten in Schnurs Bildern steht. Zwei Ausschnitte, zwei Fenster, zwei Welten – eine wie die andere ebenso real wie irreal – die sich in einem Bild treffen, um sich zu ergänzen und in dieser Ergänzung die zumeist akkurat gezogene Bildgrenze zwischen Innen und Außen, Hier und Dort aufzuheben.

Waren es früher Menschen, die Martin Schnur eher unmotiviert dreinblickend in Hotelzimmern, Kabinetten oder diversen, Enge suggerierenden Innenräumen drapierte, sind es jetzt oft Weite vermittelnde Landschaften, Himmelsstücke oder urbane Details, die an amerikanische Städte denken lassen, aber den Wiener Naschmarkt zeigen. Die Figuren sind durch die raumgreifenden Dimensionen der Gemälde (etwa 300 cm x 250 cm) und ihre Nahsichtigkeit sehr leiblich, in ihrer Selbstversunkenheit aber regelrecht abwesend. Ihre passive Haltung, manchmal auch die Enge, die der unmittelbare Hintergrund definiert, lässt an Schicksalsergebenheit denken. Eine Assoziation, die sich bei den Bildern von Menschen mit dunkler Hautfarbe und migrantischem Hintergrund verstärkt. Seine Bilder seien nicht politisch in einem anprangernden Sinn, meint Schnur, den die Lebensrealität dieser Menschen, "die oft angepöbelt werden", interessiert. In diesen poetischen Bildern wird die Landschaft zum Ort der Sehnsucht und Zukunftsperspektive.

...und der Discokugel

Aber "esoterisch", Martin Schnur hebt mahnend den Finger, "sind meine Bilder nicht. Das ist mir wichtig." Gut, das mag sein. Dafür gibt es ausgesprochen kitschige darunter. Zum Beispiel jene neben dem pinkfarben blühenden Busch ( Jardin (Explosiv) #3 ) parkende Discokugel "from outer space", die wirkt, als wäre gerade die Wünschefee Galactica in ihr zur Erde geschwebt. Oder Cheval, ein Bild aus dem Katalog, das ein Pferd vor einer sonnengefleckten Lichtung im Zauberwald zeigt. Hilfe! (Anne Katrin Feßler, DER STANDARD/Printausgabe, 06.02.2008)