Der Zukunftsforscher Robert Jungk (1913–1994, li.) war eines der vielen Gegenüber für die Foto- und Gesprächsserie "Jüdische Portraits", die Herlinde Koelbl (re.) nun auch in Wien zeigt.

derStandard.at/Kultur verlost 5x2 Karten für die Ausstellung "Jüdische Portraits" in der Galerie "Westlicht. Schauplatz für Fotografie"

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Foto: Robert Newald
Wien – Das letzte Mitglied der Comedian Harmonists, Roman Cycowski, in sich versunken wie in stillem Gedenken; Bruno Kreisky, Simon Wiesenthal, Sir Karl Popper, Robert Jungk, Grete Weil, Fred Zinnemann: Diese und viele andere jüdische Intellektuelle, Wissenschafter, Künstler und vor allem Überlebende erzählen und sind abgebildet in Jüdische Portraits , einem mittlerweile berühmten Buch der deutschen Fotografin und Publizistin Herlinde Koelbl.

Mitte der 80er hatte sie sich auf den Weg gemacht, um Interviews und Porträts zusammenzutragen, von Vertreterinnen und Vertretern "einer Kultur und eines Denkens, die im Verschwinden begriffen sind". Und wenn dieser Tage in der Wiener Fotogalerie Westlicht die Möglichkeit besteht, einen Teil von Koelbls Fotos und der dazugehörigen Gesprächspassagen neu zu entdecken, dann stellt sich einmal mehr die Frage, was das bedeuten mag: Zeitgeschichte und -zeugen präsent zu halten.

Standard: Sie fanden für jedes Ihrer Gegenüber genau ein Bild. Warum diese Beschränkung bei gleichzeitiger ausführlicher Dokumentation langer Redeflüsse?

Koelbl: Ich sah darin eine großartige Ergänzung. Einerseits wollte ich diese Menschen mit der Hasselblad-Kamera porträtieren, und da war klar, dass man kein "Konzept" durchziehen kann. Das waren ja durchgehend alte Menschen, die sich für ein Foto nicht mehr irgendwo hinschieben lassen.

Als ich zum Beispiel zum "Vater der Wasserstoffbombe", Edward Teller, kam, wurde ich schon vorher gewarnt, dass der nicht gerne vor Kameras "posiert". Tatsächlich nahm er sofort eine Verweigerungshaltung ein: Eigentlich wolle er nur mit mir reden, Fotos von sich könne er mir jede Menge selber geben. Ich sagte: "Bleiben Sie einfach nur auf dem Sofa sitzen." Und weil er nichts tun musste, sich nicht "wehren" musste gegen etwas, ist ein ganz natürliches Porträt entstanden.

Oder: Als ich den Kernforscher Victor Weisskopf besuchte, hatte der gerade eine schwere Operation hinter sich. Er saß einfach da in seinem Sessel, etwas geschwächt. Das reichte aus, um sein Gesicht zu zeigen, den Lebensspuren in diesem Gesicht Raum zu geben.

Standard: Und die Texte?

Koelbl: Es war bald klar, dass allen Gesprächspartnern das gesprochene Wort wichtiger war als mein Foto. Normalerweise ist es so, dass ich zuerst mit den Leuten rede und sie dann fotografiere, aber bei den ersten Malen hieß es dann sehr schnell: "Das Gespräch hat mich ermüdet ..." Ich habe das Procedere also umgedreht.

Die Erzählungen wurden mir, gleichsam als Vermächtnis, zunehmend wichtig. Zu essenziellen Themen wie Gott, Identität, Glauben, Heimat entfaltete sich da noch einmal ein Denken, das jahrhundertealten Traditionen verbundener ist als das jener Generation, die dann folgte.

Standard: Haben da gewisse Gespräche quasi die nachfolgenden inspiriert? Und was hieß das für die Auswahl der Interviewpartner?

Koelbl: Klar, wenn etwa der Publizist Uri Avnery sagte: "Gott ist unmoralisch" – dann ist das eine mächtige Antwort, die man quasi in den nächsten Begegnungen weitergibt. Insgesamt ging es mir um Leute, die – etwa ausgezeichnet mit dem Nobelpreis – ihr jeweiliges Fach geprägt hatten: Menschen, die etwas Entscheidendes gemacht haben.

Standard: Wie war es denn zum Beispiel mit dem österreichischen Altbundeskanzler Bruno Kreisky zu sprechen?

Koelbl: Seine Haltung war bekanntlich, Juden seien eine Religionsgemeinschaft, "ich bin Agnostiker." Wenn er sich aber mit dem Thema näher auseinandergesetzt hat, sah man schnell, dass es ihn doch sehr stark beschäftigt. Das war bei manchen Gesprächspartnern der Fall. Sie sagten zuerst: "Ich bin nicht mehr dabei." Aber trotzdem lässt die Geschichte sie nicht los. Heinrich Heine meinte einmal: Man kann nicht austreten. Und so war auch Kreisky immer dabei, auch wenn er sagte: Eigentlich habe ich wenig mit dem Judentum zu tun.

Standard: Religion war Ihnen als Thema naturgemäß besonders wichtig?

Koelbl: Zuerst kam die Frage: Was ist jüdische Identität? Und dann: Gibt es einen Gott? Gibt es keinen? Das ist eine Frage, die wohl jeder immer wieder stellt. Da sagte dann zum Beispiel der ehemalige israelische Justizminister Haim H. Cohn: "Ich glaube nicht an Gott." Aber wenn man nicht an Gott glaube, dann müsse man in sich selbst stärker sein.

Ich habe viele Antworten erhalten. Die Antwort habe ich – natürlich – nicht bekommen. Die gibt’s einfach nicht. Jeder sieht etwas anderes. Und man kann nicht einfach sagen: die Juden. Es gibt nur Individuen, die individuell beschreiben, was es für sie heißt, jüdischer Herkunft zu sein.

Standard: Wie verhielt es sich mit den Fotos bei Politikern, die ja ein Gesicht für die Öffentlichkeit aufgebaut haben?

Koelbl: Manche gaben mir regelrecht einen Termin, wie zum Beispiel Henry Grunwald, der damals US-Botschafter in Wien war. Aber Kreisky, mit dem ich mich dann auch angefreundet habe – ihn habe ich späterhin auch privat fotografiert, wie er immer älter und schwächer wurde, abseits des öffentlichen Auftretens. Er hatte kein Problem damit. Abgebildet zu werden war für ihn wohl ein Bestandteil seines Lebens.

Standard: Gab es Personen, die Sie gerne im Buch gehabt hätten, die sich aber weigerten?

Koelbl: Hannah Arendt hätte ich gerne getroffen, die war damals aber schon gestorben. Billy Wilder hatte zu dem Zeitpunkt gerade sein eigenes Buch publiziert und eine Interviewsperre vom Verlag, da konnte ich nicht warten. Ja, und eine Frau aus Wien sagte in der Tat: "In dem Buch sind ja nur Juden drin, da will ich nicht dabei sein."

Anfangs war meine Hauptangst: Wie werde ich als Deutsche mit meinem Ansinnen aufgenommen? Da wurde ich positiv überrascht. Die Bereitschaft zu reden war allgemein sehr groß. Ich bin wohl auch zu einem Zeitpunkt an viele herangetreten, wo ein gewisses Alter erreicht war und die Ressentiments keine Rolle mehr spielten. Wichtig war wohl auch: Ich handelte nicht im Auftrag von Medien, sondern kam aus eigenem Antrieb. Ich wollte einfach etwas wissen oder besser verstehen.

Standard: Sich selbst halten Sie ja in Buch und Ausstellung sehr heraus.

Koelbl: Meine Arbeitshaltung ist immer: Die anderen sind wichtig und im Mittelpunkt. Auch wenn ich Filme mache, sieht man mich nicht. Dass es nebenher oft Erfahrungen gab, die ich nicht missen möchte, geht nur mich etwas an.

Was mir zum Beispiel oft hohen Respekt abgenötigt hat: Die meisten haben nicht gehasst. Nur wenige, wie der Psychologe Bruno Bettelheim, der immer noch große Schwierigkeiten hatte, antisemitische Sprüche in Wien zu ertragen, waren etwas verbittert. Aber reden konnte man mit allen, einfach so, in Augenhöhe, ohne große Inszenierung von Autorität. "Wir werden uns jetzt austauschen": Eine gute Grundlage für Gespräche.

(Claus Philipp, DER STANDARD/Printausgabe, 05.02.2008)