Weniger Schubhäftlinge, aber mehr Hungerstreiks im Wiener Polizeigefangenenhaus: Viele Asylwerber, die bis zu zehn Monate ohne Verurteilung im Gefängnis sitzen, verstehen den Grund für ihre Haft nicht.

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Wien – Zwei Jahre ist das umstrittene Gesetz in Kraft – und dennoch hat sich nichts geändert: Seit Jänner 2006 dürfen nach einer Fremdenrechtsnovelle, die einst von ÖVP_und BZÖ erdacht und mit Unterstützung der SPÖ beschlossen wurde, hungerstreikende Schubhäftlinge zwangsernährt werden. Doch Daten aus dem Innenministerium belegen nun: Obwohl die Zahl der Schubhäftlinge mittlerweile zurückgegangen ist, treten diese Menschen jetzt noch häufiger in Hungerstreik.

Im Jahr 2007 stiegen in den Schubhaftgefängnissen die Fälle von Nahrungsverweigerung auf 2110 an, bei insgesamt 6960 Insassen. Zum Vergleich: Im Jahr 2005 saßen 7463 Menschen ein, damals wurden aber nur 1670 Hungerstreiks registriert. 2006 brachte es zum bisherigen Rekordjahr an Streikfällen in absoluten Zahlen: 2338, bei 8694 Häftlingen. "Für mich ist das nicht gerade überraschend", sagt der Wiener Verfassungsrechtler Bernd-Christian Funk. Zwar wurde bisher noch keinem einzigen von Abschiebung bedrohten Asylwerber wider Willen eine Sonde in den Rachen gesteckt – aber aus einem guten Grund, wie Funk meint, der vor kurzem seine Funktion im Menschenrechtsbeirat, der das Innenressort berät, zurückgelegt hat: "Bis heute weiß niemand genau, wann und unter welchen Umständen eine Zwangsernährung tatsächlich zulässig wäre." Seine Erklärung: Mit der Androhung dieser "eigentlich menschenrechtswidrigen Maßnahme" wollte der Staat zeigen, "dass er nicht erpressbar ist". Doch die Regelung fiel "völlig daneben und unklar" aus, ärgert sich Funk. Denn: Im Fremdenpolizeigesetz werde "nur diffus die Möglichkeit ausgewiesen", Hungerstreikende "in ein gerichtliches Gefangenenhaus oder in eine Krankenanstalt zu überstellen".

"Modernen, offenen Vollzug"

Gerhart Wielinger, Vorsitzender des Menschenrechtsbeirates, mahnt angesichts der Jahresbilanz für 2007 eine alte Forderung seiner Fachleute ein: "In den Anhaltezentren muss die zum Teil sehr unterschiedliche Qualität der Betreuung für Schubhäftlinge verbessert werden." Für Asylwerber in Hungerstreik stünden außerdem zu wenig Ärzte zur Verfügung. Christoph Riedl von der Schubhaftbetreuung der Diakonie meint die Gründe für die hohe Anzahl an Hungerstreiks zu kennen. Anders als früher kann die Schubhaft nun statt einem halben Jahr bis zu zehn Monate dauern. Und: Im Gegensatz zu strafrechtlich Verurteilten, die ein Vergehen begangen haben, verstünden Asylwerber den Grund für ihre Haft meist nicht. "Sie haben ja nichts getan, außer es gewagt, einen Asylantrag zu stellen", erklärt Riedl. Im Kabinett von Innenminister Günther Platter versichert man hingegen: "Natürlich werden Maßnahmen gesetzt, um Hungerstreiks zu vermeiden." Die Platter-Sprecherin verweist "auf die enge Zusammenarbeit mit der Justiz sowie die intensive Beratung und die medizinische Betreuung in den Polizeianhaltezentren". Trotzdem dürfte man im Innenressort Qualitätsmankos bei der Schubhaft erkannt haben. In Leoben wird derzeit ein Schubhaftzentrum für 250 Insassen geplant, für das Platter einen "modernen, offenen Vollzug" verspricht. Wielinger ist skeptisch: "Bis wann das realisiert wird, ist schwer zu sagen. Die Sache ist leider gerade in die Untiefen der Lokalpolitik geraten." (Peter Mayr und Nina Weißensteiner/DER STANDARD, Printausgabe, 4.2.2008)