Foto: Cremer
Kein Fotograf stellt das Alltägliche so konsequent, präzise und erhellend ins Zentrum seiner Bilder wie Martin Parr. Was alle Tage, jedem, jederzeit passiert, gerät bei ihm zur scheinbaren Oberfläche bei gleichzeitig großer Tiefenwirkung – und das nicht nur, weil er gerne Weitwinkel benutzt.

Der 1952 in der Nähe vonLondon geborene Parr wusste schon als Kind, dass er Fotograf werden wollte, lange bevor er die ersten Sujets vor seine Linse bekam.

Anregungen fand er zunächst in seiner vorstädtischen Umgebung, dann am Manchester Polytechnic in Bildbänden von neuen Dokumentaristen, schließlich in allen kleinteiligen Ausformungen der Gesellschaft, die sich vor ihm abspielten. Gleich seinen Vorbildern, wie Gary Winogrand und Lee Friedlander, bildet er nicht ab, um die Welt zu verbessern,

sondern um deren Bewohner zu verstehen, in einem weiteren Sinn zu sehen. Wie der Südstaatler William Eggleston schätzt er die grelle, oft schräge Ästhetik des Anonymen und die Farbe Rot. Auch als er einmal, untypisch, eine Modestrecke für ein Magazin aufnahm, bediente er sich dieser Mittel. Konsequenterweise erschienen die Bilder nicht in der Illustrierten, sondern im Eigenverlag (siehe oben: New York, USA, 1999).

Typischerweise aber war und ist Parr an dem sich ändernden Sozial- und Freizeitverhalten seiner Landleute und der Amerikaner interessiert, die er nach längeren Aufenthalten gut kennt. Er fotografiert sie beim Essen, am Strand, vor Sehenswürdigkeiten und bei "Sport und Spiel" (auch da meist als Zuseher). Wenn er zudem einen Ringblitz um das Objektiv klammert, erhöht sich der Effekt des schattenlos Grellen, die vor Fett triefende Wurst wird noch roter. Parr tut es nicht um des vordergründigen Effekts willen, sondern um zu verdeutlichen, im weiteren Sinn zu erhellen. Wohl auch deswegen wurde er 1994 in die anspruchsvolle Agentur Magnum aufgenommen.

Sandra Phillips hat 10 Schwarzweiß- und 46 Farbfotos von 1972 bis 2006 ausgewählt und zu einem Buch zusammengefasst. Eine gute erste Einführung in Parrs Universum, in gewohnter Phaidon-Qualität. Lust auf mehr inklusive. (Michael Freund, DER STANDARD/Printausgabe, 02./03.02.2008)