Jedem sein eigener Inhalt: Esther Stockers Installation in der "Factory" des Mumok.

Foto: Standard/Mumok
Wien - Esther Stocker steckt Räume ab - Bildräume oder reale. Egal. Es können Klebestreifen sein oder Dachlatten, die sie verwendet. Zurechtgestutzt auf ein einheitliches Maß, führen sie Ordnung ein, illustrieren Struktur ebendort, wo Struktur ist.

Zum Beispiel im Museum Moderner Kunst: Der simple Quader, der dort "Factory" genannt wird, ist jetzt anders erfahrbar, in Einheiten zerlegt, die jeden Schritt, jede Bewegung anschaulich machen. Fortbewegung ist ebenso lesbar wie die Distanz zum möglichen Dritten, der eben den Keller durchmisst. Und dabei vermessen wird.

Konstruktivismus

Wenn man so will, ein umgekehrter Animationsfilm. Man wandelt in der Geborgenheit des freien Willens und gibt dabei genügend Daten preis, um jederzeit vom großen Operator in jede x-beliebige andere Szene verpflanzt werden zu können. Beängstigend ist das nicht. Stimmt aber. Oder: Die ganze Geschichte des Konstruktivismus - ein einziges Abprallen an aufpolierten hermetischen Oberflächen. Was also wäre wenn? Esther Stocker macht's möglich.

Man erwandert sich die rechtwinkelige Welt, man taucht ein in die abgezirkelten Gegenden - und sieht: Wie in der normalen Natur auch verändert sich je nach Standpunkt das Bild, abhängig von der Perspektive ergibt sich jeweils Neues. Und: Aufregend oder fad, letztendlich ist jeder für sein Bild selbst verantwortlich. Und wer nach Varianten sucht, wird reich, das Grundmotiv ist nie erschöpfend abgewandelt, nicht kalkulierbar ist die Zahl möglicher Überschneidungen, nicht fassbar, was im konventionalen Rahmen alles möglich ist.

Status des Betrachter-Seins

Und mehr noch: Erweitert man jetzt ganz bewusst den eigenen Status des Betrachter-Seins darum, sich selbst beim Betrachten zu betrachten, überfällt einen unmittelbar das Erlebnis, sich als Darsteller zu sehen, als Akteur im abgesteckten Raum. Und sofort aber auch tun sich unendliche Weiten auf. Man ist Motiv und kann Kraft dessen den Schwerpunkt aus den Angeln heben, ihn eben dort hinverpflanzen, wo man ihn auch haben will, kann die Komposition zum Kippen bringen, oder ins Lot rücken, oder prekär labil halten. Dann ist man an der Macht, zwingt den Betrachter zum Folgen, verlangt ihm ab, seinen Gemeinplatz zu verlassen, weist ihn deutlich darauf hin, das Konstruktivistisches nicht automatisch auch statisch sein muss, nicht gesetzt, sondern zumindest so dynamisch wie ein Aquarium.

Gut, auch das erschöpft sich mit der Zeit. Und übrig bleibt - ein Vieles. Nachdem der Vergewisserung der eigenen Position im Raum unmittelbar die dramaturgische Selbstermächtigung und resultierend daraus die Übernahme der Rolle als Akteur gefolgt ist, bleibt immer noch die große Welt des Bühnenbildes. Und nicht nur, dass Esther Stocker es jedem überlässt, die Szene einzurichten wie man eben will, Barrieren ebenso beliebig festzulegen wie Achsen zu schlagen, einen Kasten hierhin zu stellen, oder ein Fenster dort durchzubrechen, sie überlässt uns auch die Wahl der Farben.

Anforderungsprofil

Ihr Angebot ist exakt so bunt, wie wir es eben haben möchten, Almwiesengrün passt ebenso wie Miederbeige oder gar Pink. Und die Bühne, die Esther Stocker anbietet, fasst ebenso gut Aktionistisches wie zarte Aquarelle, hält Stürmen stand und Komödien und Eitelkeiten und Protesten.

Sie ist so alt oder neu oder aufregend oder fad wie eben je nach Anforderungsprofil notwendig. Und das muss man einmal nicht nur hinbringen, sondern nun auch schon viele Jahre durchhalten. Bis 6. 4. (Markus Mittringer/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 1.02.2008)