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Grafik: DER STANDARD

Ja, mit Sherrill Broudy ist gut Kirschen pflücken. Vor allem dann, wenn man zart an der jüngsten Geschichte Costa Ricas rütteln will. An einer kurzen Zeitspanne von vielleicht zehn Jahren, in der – anders als in Europa – die Bio-Landwirtschaft dem Öko-Tourismus folgte. Geerntet werden hier reife Kirschen der Kaffeepflanze, die in seinem Hotel Xandari tatsächlich noch den kürzesten Weg in die Tassen auf dem Frühstückstisch finden. Aus dem eigenen Garten kommen sie, wo Bananenstauden den Kaffee wieder so beschatten, wie es im mittelamerikanischen Regenwald ursprünglich der Fall war.

Als der kalifornische Architekt Broudy 1989 im Hochland nördlich der Hauptstadt San José vierzig Hektar Land erwarb, fand er eine öde Kaffeeplantage vor. Er begann, die Anlage völlig zu renaturieren, wieder tropische Pflanzen anzusiedeln und den Dingen ihren Lauf zu lassen. Zum Glück, denn bedrohte Arten wie der blaue Morphofalter und der große rote Ara würden in einer baum- und buschlosen Umgebung wohl kaum zu den Hotelgästen zählen. Wenn er heute vorschlägt, doch einen Spaziergang durch den "Garten" zu machen, kommen seine zahlenden Gäste nach vier Kilometer Weg und einer Gehzeit nicht unter einer Stunde zurück aus einem Urwald. Fünf Wasserfälle verbirgt dieses Stück Regenwald und einen Artenreichtum, der auch stellvertretend für jenen der Region stehen kann. Und eben einige Kaffeepflanzen, die – sollten sie nicht auch im Spa des Xandari Anwendung finden – den Gästen als Anschauungsmaterial dienen für naturkundlichen Unterricht.

Broudy ist also auch Landschaftsarchitekt und einer der ersten Bio-Bauern Costa Ricas, wenn man so will. Freilich einer, der wirtschaftlich nicht auf die Erträge angewiesen ist. Pionier war er zweifellos, denn ein merkbarer Strukturwandel setzte erst in der Zeit zwischen 2001 und 2003 ein, nachdem die Weltbank den großflächigen, monokulturellen Anbau in Vietnam gefördert hatte und damit den Preis der Bohne weltweit senkte. Erst zu diesem Zeitpunkt überlegten Costa Ricas Bauern, den Anbau qualitativ hochwertiger Sorten einerseits und die organische Kultivierung der Plantagen andererseits zu beginnen, um ein Premium-Segment in diesem Markt einnehmen zu können.

"Ein echter Präsident: Ihren Namen bezieht die Kaffee-Mühle im Orosi-Tal vom ehemaligen Staatspräsidenten Costa Ricas. Von 1962- 1966 übte Francisco José Orlich dieses Amt aus, bereits 1928 gründete er mit seinem Bruder eine der größten Kaffee-Handelsfirmen des Landes."
Foto: Sascha Aumüller

Es soll also kein Zufall sein, dass Nespresso ausgerechnet hier einquartierten Journalisten die Rolle erklären will, die das Unternehmen im nachhaltigen Kaffeeanbau in Costa Rica spielt. Auch wenn der Weg der Bohne in die Schweizer Kapsel ein deutlich längerer ist und die Ticos, die Einwohner Costa Ricas, selbst immer vom sogenannten "Starbucks-Effekt" sprechen. Benannt wird mit diesem Effekt das Verhalten US-amerikanischer Konsumenten, die nun qualitativ hochwertigen Bio-Kaffee nachfragten. Eine wachsende Zahl zur Umstellung bereiter Bauern sollte diesen Bedarf dann für Starbucks decken.

Der Bedarf von Nespresso an der fruchtig-säuerlichen, leicht malzigen Bohne aus Costa Rica wird jedenfalls im Orosi-Tal und seinem umliegenden Hochland gedeckt. Die Interessen der Öko-Touristen und der Bio-Bauern am 6000 Hektar großen Tapantí-Nationalpark stehen hier nicht im Widerspruch zueinander. Ist die Kaffeekirsche doch ein Sensibelchen, die das gemäßigte Klima in Höhenlagen um 1300 Meter und ein schattiges Plätzchen unter früchtetragenden Kollegen ebenso schätzt wie der Tropen-Trekker. Letzterer legt allerdings auch Wert auf Begegnungen mit Tapiren, Affen, Papageien und anderen bunten Vögeln, die dem Land einen Artenreichtum bescheren, der sich so zusammenfassen lässt: Obwohl Costa Rica nur 0,04 Prozent der globalen Landmasse einnimmt, leben hier fünf Prozent der gesamten bekannten Fauna und Flora.

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Typenreichtum herrscht in der Orosi-Mühle, wo die Bauern der Umgebung nicht nur heftig am Mittagstisch diskutieren, sondern primär ihre Kaffeekirschen abliefern, die nun geschält und klassifiziert werden müssen. Neben der Waage gibt ein Schild den aktuellen Marktwert für die händisch geerntete Sorte Arabica an, die zudem unter Vermeidung von Pestizideinsatz und beschattet kultiviert werden muss, damit von den Abnehmern ein Premium-Preis bezahlt wird. Rund 15 Prozent sind es mittlerweile im ganzen Land, die ihren Kaffee unter diesen Rahmenbedingungen anbauen. Laut "Rainforest Alliance", die das von Nespresso finanzierte Nachhaltigkeitsprogramm prüft, liegt Costa Rica mit 31.000 Hektar organischer Anbaufläche auch in absoluten Zahlen weit vor dem Kaffee-Giganten Brasilien.

Foto: Sascha Aumüller

Den konventionellen Kaffeeanbau freiwillig aufzugeben, sei nie das Thema gewesen, wirft ein 77-jähriger Bauer über die Tische ein. Europa und die USA hätten zu allen Zeiten große Quantitäten nachgefragt, gibt er zu bedenken, und die mussten vor allem schnell verfügbar sein. Das widerspräche ja dem Prinzip der Nachhaltigkeit. Die Intensivierung der Kaffekultivierung in Costa Rica konnte er zur Gänze verfolgen. Denn in großem Rahmen angestrebt wurde sie erst nach 1948 mit der Auflösung der Armee. Danach erst orientierte Costa Rica die Exporte neu und investierte gleichzeitig das eingesparte Verteidigungs-Budget in sein Gesundheits- und Bildungssystem – Letzteres ist heute mit Abstand das beste Mittelamerikas.

"Nespresso-Musterschüler" wie der jüngere Farmer Evaristo Sanchez in San Ramón bestellen mit 100 Hektar Anbaufläche eine vergleichsweise große Plantage. 90 Prozent der Bauern verfügen im Schnitt nur über 12 Hektar Land. Die Investition in schattenspendende Bäume und organischen Dünger konnte er sich als Großbauer leisten, um dann in Folge den vom neuen Partner in Europa höher angesetzten Preis für organischen Kaffee zu lukrieren. Von Artenvielfalt hält er viel, nimmt dabei nur den Broca-Wurm aus, der ihm letztes Jahr einen großen Teil der Ernte zerstört hat.

Das war auch das erste Mal, dass ihm die Löhne der Pflücker, die mit der Reifung der Kirschen von Norden nach Süden wandern, Sorgen bereitet haben. Obwohl sie nur etwas mehr als einen Euro für die volle Capuela betragen. Rund 20 Liter fasst dieser Bastkorb, ein gutes Dutzend davon vermag ein erfahrener Pflücker an einem Tag zu füllen, maximal zwei Wochen bleiben die fast ausschließlich aus dem Nachbarland Nicaragua kommenden Gastarbeiter auf einer Plantage.

Edgar Fernandez
Foto: Sascha Aumüller

Der Familienbetrieb von Edgar Fernandez kann sich weder Pflücker noch die empfohlene Aufforstung leisten. Muss er auch gar nicht, denn eine Monokultur wollte er seinen Kindern niemals zumuten, er ließ den Regenwald und bestehende Kulturpflanzen einfach gedeihen. Kurzfristig ertragreichere Anbaumethoden empfand er immer als Mode-Trend, dem er finanziell nicht folgen konnte und den er aus Überzeugung nicht mitmachen wollte. Dass die Kolibris hier von der Zitrone auf die Kaffeekirsche fliegen, die im Schatten einer Bananenstaude gedeiht, ist für ihn Normalzustand. Dass es aber auch exakt jener Zustand ist, für den er nun erstmals 75 Prozent des Exportpreises seiner Bohnen bekommen soll, empfindet er als kleine, aber nie eingeforderte Genugtuung. (Sascha Aumüller/DER STANDARD/Rondo/01.02.2008)