William Forsythe mit seinen Tänzern (im Bild: Yasutake Shimaji, Amancio Gonzalez) nach neun Jahren wieder in Wien.

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Wien - Das Ballett ist eine besonders "gefährliche" Form des zeitgenössischen Tanzes. Es ist auf seine morbide Art so sexy, dass seine inhaltlichen Schwächen von Fans wie Erzeugern hingebungsvoll übersehen werden. Als Gegenwartskunst spielt es keine Rolle. Und dann gibt es noch William Forsythe, der dem allem widerspricht.

Nun gastierte der 1949 in New York geborene Choreograf mit der installativen Arbeit Heterotopia in der Halle E des Tanzquartiers Wien. Es war das erste Stück dieses einzigartigen Künstlers, das hier seit geschlagenen neun Jahren gesehen werden konnte. Einzigartig ist Forsythe deshalb, weil es ihm allein gelungen ist, an die avantgardistischen Ansätze anzuknüpfen, die die Ballets Russes und das Ballet Suédois in den 20er-Jahren gewagt haben. Alles, was danach an sogenannten "Ballettneuerern" folgte, inklusive Balanchine, Cranko und Nurejew, waren dagegen alte Hüte mit neu arrangiertem Aufputz.

Während der vergangenen vier Jahrzehnte wurde zwar tapfer am Ballett herumgedoktert, von Béjart bis Kylián oder Spoerli bis Zanella - aber eine grundsätzliche Neuorientierung der ästhetischen Normen blieb aus.

William Forsythe hingegen hat das Ballett lieber als sich selbst und warf alle Doktrinen über den Haufen, was ihn letztlich auch seine privilegierte Position als Leiter des Balletts Frankfurt kostete. Nach einer kulturpolitischen Intrige wurde seine Compagnie abgewickelt.

Seitdem hat die Metropole am Main als Standort für Tanz kein Flair mehr, und der Choreograf führt seit 2005 "The Forsythe Company" ohne die Lasten einer schwerfälligen Institution weiter.

Um die Position Forsythes im Ballett richtig zu spüren, darf man Heterotopia durchaus im Vergleich zu den Actionakrobatiken von Boris Eifman, den Pathosplattitüden eines John Neumeier oder dem kindlichen "Modern"-Angebot des Wiener Opernballetts sehen. Der Unterschied ist fundamental. Forsythe hat das traditionelle Stückformat zugunsten prozesshafter Experimente aufgegeben. So bespielen auch bei dieser Arbeit durchwegs fabelhafte Tänzer improvisatorisch zwei Räume, die akustisch miteinander verbunden sind: einen größeren mit einem ausgedehnten Podest aus Tischen und einer kleineren Black-Box-Bühne. Räume, die nicht zusammengehören und doch vereint werden, bilden nach Foucault eine "Heterotopie".

Die Tisch-Installation erinnert an das nicht ganz unpeinliche Projekt Auf den Tisch! (2005) von unter anderem Meg Stuart und Benoît Lachambre. Doch Forsythes Tänzer konzentrieren sich so sehr auf die Performanz von vorsprachlichen Laut- und Zeichenbildungen beziehungsweise Übersetzungen zwischen Lauten und Bewegungen, dass sie dem Motiv eine ganz andere Richtung geben. Die Arbeit mit ihrer raffinierten Akustik (Thom Willems) und Beleuchtung ist zugleich tänzerisch und "schauspielerisch" angelegt, mit viel Witz durchsetzt und lädt das Publikum ein, selbst in Bewegung zu bleiben.

Die Jubelrufe im Applaus zeigen, dass es gut wäre, Forsythe wieder öfters nach Wien einzuladen. (Helmut Ploebst, DER STANDARD/Printausgabe, 26/27.01.2008)