Fünfhundert Meter vor der Grenze in der geteilten Stadt Rafah geht gar nichts mehr. Lastwagen, Eselskarren, Pferdefuhrwerke, Motorräder, Schafe und Menschen zu Fuß zwängen sich auf der engen, morastigen Straße in beide Richtungen. Die einen gehen zurück in den Gazastreifen, die andern kommen von dort. Das Chaos ist unbeschreiblich, aber die Leute – es sind vorwiegend junge Männer – nehmen es gelassen. Die Stimmung ist gelöst und entspannt.

Mithad und ein paar seiner Freunde beenden ihren Ausflug. Sie haben kein Geld mehr. In der Hand trägt er seine Einkäufe, ein Päckchen Wasserpfeifen-Tabak mit Apfelgeschmack. „Den gab es in Gaza seit sechs Monaten nicht mehr.“ Der 22-jährige Arbeitslose mit Universitätsabschluss in Wirtschaft war unter den ersten, die durch die Breschen in der Mauer schlüpften. „Ich musste raus. Wir ersticken. Es war wie ein Picknick: Einmal frische Luft atmen“, beschreibt er seine Stimmung.

Wenige Kilometer von Rafah entfernt, im Dorf Scheich Zuayed, haben die Männer in der Moschee geschlafen. Den Abend hatten sie in einem Kaffeehaus in der Stadt Arish verbracht – weiter ins Landesinnere dürfen die Palästinenser nicht – und sich im Fernsehen die Fußballspiele des Afrikacups angesehen. „Die Ägypter sind sehr nett, aber sie wollten immer über Politik reden, über den Streit zwischen Hamas und Fatah. Davon will ich nichts wissen. Ich hasse mein Leben, ich will weg“, sagt Mithad und klettert über den Mauerstumpf zurück nach Gaza. Keine Kontrollen

Beim Salaheddin-Tor, im Stadtzentrum von Rafah, ist die acht Meter hohe Metallwand eingeknickt wie ein dünnes Blech. Mit einem hohen Tritt von einem halbem Meter ist das letzte Hindernis in den Gazastreifen überwunden. Kontrollen gibt es keine. Die ägyptische Grenzwachen, ausgerüstet nur mit Schlagstöcken, schauen dem Treiben gelassen zu. „Alles ist friedlich, es gibt keine Probleme. Die Grenze wieder zu schließen, das dürfte allerdings schwierig werden“, meint ein junger Offizier. Deshalb erwägt auch Israel, die Verbindungen zum Gazastreifen ganz zu kappen, wie es am Donnerstag hieß.

Der Handel in Rafah blüht, und Erfindungsgeist zahlt sich aus. Auf der palästinensischen Seite steht ein Kran mit langem Schwenkarm, der bis auf die ägyptische Seite reicht und vor dort Paletten mit Kacheln von einem Lastwagen über den Zaun hebt. Zement wird gleich tonnenweise nach Gaza geschafft. Aber auch Hilfsgüter können jetzt passieren. „Vom Volk von Dumyat (einer Stadt im Nildelta) ans palästinensische Volk“ steht auf einem Lastwagen mit Mehl und Zucker.

Geschäftemacher aus der ganzen Region sind angereist. Die Wechselkurse sind schlecht und die Preise besser, je größer die Distanz zur Grenze ist. In Rafah sind in einigen Läden die Gestelle schon halbleer. Zigaretten, Käse in jeder Form, Sardinen und Waschmittel gehören zu den Rennern. Dazu wechseln Motorräder aus China und hunderte von Schafen die Hand. Vorräte sind ausreichend da. „Jeden Tag kommt neue Ware aus Kairo“, sagt der Besitzer eines Geschäftes für Landwirtschaftsartikel. Nur beim Benzin gibt es erste Engpässe, an mehreren Tankstellen ist es ausgegangen.

Einkaufen, Verwandte besuchen oder einfach einmal Luft schnappen, sind die wichtigsten Motive für die Palästinenser, von denen viele den Gazastreifen in diesen Tagen zum ersten Mal in ihrem Leben verlassen haben. Einige hundert drängen sich vor dem Sicherheitsbüro in Arish. Sie haben ein Visum für ein Drittland und möchten die Erlaubnis, über Kairo auszureisen. „Man sagt uns, wir sollen warten, wie lange weiß niemand“, grämt sich Iman, die zu ihrem Mann nach Malaysia fliegen möchte.

Wie lange die Grenze offenbleibt, ist die große Frage. Nicht lange, sagt die Erfahrung aus dem Jahre 2005. Damals war es eine gute Woche. (Astrid Frefel aus Rafah/DER STANDARD, Printausgabe, 25.1.2008)