Die Slum TV-Gründer in Mathare: Lukas Pusch, Karanja, Sam Hopkins, Fred Otieno und Alexander Nikolic (von links nach rechts)

Foto: SlumTV
Wien - Seit Sommer 2007 arbeiten rund 14 KenianerInnen in Mathare, Nairobis größtem Armenviertel, für „Slum-TV“. Das Projekt, das die beiden Wiener Künstler Alexander Nikolic und Lukas Pusch gemeinsam mit drei Kenianern gestartet haben, produziert in unregelmäßigen Abständen eine rund 20-minütige Sendung für die BewohnerInnen von Mathare. Im Gespräch mit derStandard.at sprechen die beiden Wiener sowie eine Mitarbeiterin über den Slum, die Entstehung des Projekts sowie die derzeitige Lage in Nairobi.

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„Mathare erkennt man am Geruch. Für die rund 500.000 Menschen dort gibt es kein Kanalsystem. Das macht sich bemerkbar“, beschreibt Lukas Pusch den Slum. Für Alexander Nikolic wiederum ist Mathare eine Parallelstadt, aus dem frühmorgens die Leute ganz normal in die Arbeit fahren - und ein Ort der „ungeheuren kulturellen Produktion“, wie er betont.

Die beiden Wiener Künstler haben im Sommer 2006 gemeinsam mit dem kenianischen Künstler Sam Hopkins und zwei weiteren Bewohnern Mathares das Projekt „Slum-TV“ ins Leben gerufen. Sie gaben die Initialzündung und haben die Anschubfinanzierung auf die Beine gestellt, gründeten eine Redaktion, kauften eine Kamera, einen Schnittcomputer und veranstalteten einen Workshop. „Jetzt versuchen wir, das Ganze irgendwie am Laufen zu halten“, erzählt Lukas Pusch derStandard.at.

Selbstermächtigungsprozess

Fünf Sendungen zu je 20 Minuten wurden seither produziert, bestehend aus einer Wochenschau und einer SitCom, die von einer lokalen Künstlergruppe gespielt wird. Zu sehen sind die Produktionen im Internet oder auf Mathares einzigem öffentlichen Platz, der auch groß genug für Vorführungen wie diese ist. Und vielleicht auch bald in einigen der vielen inoffiziellen Kinos, wie Nikolic hofft. Denn durch eine solche Kooperation könnte dem Projekt ein Teil der Eintrittsgelder zufließen. Vorausgesetzt, ihre Sendungen würden im Vorfeld der Kinofilme gezeigt.

Die Idee war, mittels Kameras den Fokus auf den Slum zu lenken. „Ein Großteil der Bevölkerung Nairobis lebt in Mathare. Doch in den Medien Kenias sind diese Menschen nicht präsent - es sei denn, als Bedrohung, so Pusch. „Es ist wichtig, dass sich die Leute aus dem Slum selber sehen.“ Was es bringt, den Leuten eine Kamera in die Hand zu drücken, wenn sie nicht genug zu Essen haben? Nikolic: „Das Video ist das geeignete Medium, um den Selbstermächtigungsprozess in Gang zu setzen.“ Und die Resultate zeigen, dass sie mit ihrem Ansatz offenbar richtig liegen: „Wenn sich ein paar hundert Leute – jung und alt - bei einer öffentlichen Vorführung die Produktionen ansehen, und dabei lachen, klatschen und „Slum TV, Slum TV“ rufen, ist das eine außerordentliche Bestätigung dafür, dass das Konzept richtig ist,“ betont Pusch.

Zum anderen sei es in einem Land wie Kenia sinnvoll, die Leute in einem Bereich auszubilden, der auch Zukunft hat, ergänzt Nikolic. Man könne ja nicht alle Leute aus den Randgebieten der Städte zurück aufs Land schicken, sondern müsse das Potential nutzen und den Leuten eine Perspektive bieten - sie mit einem Grundwissen ausstatten, das auch außerhalb des Projekts förderlich ist. „Sie sollen dadurch befähigt werden, in einem mehr oder weniger gut bezahlten Job Fuß zu fassen“, betont er.

Selbstausbeutung

Slum-TV als Startrampe? Pusch: „Ja. Letzten Endes sollte das Projekt ein funktionierendes Unternehmen werden, das sich selber trägt und für die Mitarbeitenden früher oder später auch ein Einkommen bedeutet. Das Prinzip Selbstausbeutung kann man nicht auf ewig anwenden, das hat keine Zukunft.“ Zwei Mitarbeiter von "Slum-TV" haben durch ihre Multimedia-Ausbildung bereits eine Arbeit bei der UNO als Kameramann und Fotograf gefunden.

Wichtig ist den beiden auch, dass die MitarbeiterInnen von "Slum-TV" über die Inhalte ihrer Produktionen selbst entscheiden. „Sie wissen am besten, wie weit sie sich aus dem Fenster lehnen können - oder wollen. Denn die Konfliktsituation in Mathare, gerade mit dem Staat und mit der Polizei, läuft dort immer härter ab als im Rest des Landes. Egal, ob es nun offiziell Unruhen gibt oder nicht“, betonen sie.

Funkstille

Derzeit herrscht bei Slum-TV jedoch Funkstille. Die aktuelle politische Lage zwingt dazu. Pauline Awour arbeitet seit einem Jahr bei Slum-TV mit. Als Kamerafrau hat sie unter anderem Beiträge über Fußball und Geschäfte in Mathare gemacht. „Momentan kann man in der Öffentlichkeit nichts herzeigen, es gibt in Mathare ab sieben Uhr am Abend eine Ausgangssperre“, erzählt sie im Gespräch mit derStandard.at. Abgesehen davon sei es im Moment unmöglich, mit einer Kamera herumzugehen, „außer man ist Polizist“, ergänzt sie. „Bist du ein Kikuyu und triffst auf Luos, oder umgekehrt, dann kann es sein, dass sie dir den Kopf abhacken.“

Im Team selbst gebe es jedoch aufgrund der angespannten Lage zwischen den verschiedenen Volksgruppen keine Probleme: „Wir diskutieren gemeinsam über die Situation und haben natürlich Spaß - wie zuvor auch“, betont sie. Das unterstreichen auch Pusch und Nikolic: „Die Crew setzt sich aus den unterschiedlichsten Ethnien zusammen und es gibt deswegen keine Probleme. Dass sie alle aus denselben ärmlichen Verhältnissen kommen und um ihr Überleben kämpfen, das kann die Menschen auch verbinden.“ (hag/derStandard.at, 31.1.2008)