Metertief versinkt Norwegen im Schnee.

Foto: Anders Gjengedal/Innovasjon Norge

Schon seit Jahrtausenden benutzen die Norweger zwei schmale Bretter zur Fortbewegung im Schnee.

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Grafik: DER STANDARD

Als eine der wildesten winterlichen Wüsten Europas hat die Hardangervidda einfach das Zeug dazu, schneeblind zu machen. So auch in ihrer südwestlichsten Ecke, dem Haukelifjell, wo man eher bereit ist, an eine Fata Morgana denn an eine Touristenstation zu glauben. Doch im kleinen, metertief im Schnee versunkenen Haukeliseter wärmen sich gerade die Männer der Räumfahrzeuge und norwegische Verkehrspolizisten in den Stuben der wenigen Gaststätten auf.

Es ist im Winter nicht immer leicht, von Haukeligrend hier heraufzufahren, auch wenn es ja eigentlich die Europastraße 18 ist, die da den Südrand der Hardangervidda auf dem Wege zur Küste nach Haugesund überwindet. Hier oben im äußersten Westen der norwegischen Provinz Telemark versperren immer wieder meterhohe Schneeverwehungen die Straße. So bleibt in Telemark den Autofahrern nur immer wieder, mit Geduld zu warten, dass ein oder zwei starke Schneepflüge kommen, den Weg freimachen und sie dann in Kolonne hinterherfahren können. Die Fahrt über wenige Kilometer kann dann viele Stunden dauern.

Trotzige Siedlung

Haukeliseter ist weit und breit die einzige menschliche Siedlung auf diesem Hochplateau. Mit einer Ausdehnung von rund 7500 Quadratkilometern – das ist eine Fläche, die der des Landes Salzburg entspricht – gilt die Hardangervidda als größte zusammenhängende Wildnis Europas und ist heute weitgehend als Nationalpark geschützt. Elf kleine Holzhäuser, die ein komfortables Hoteldorf mit einfachem Spa bilden, trotzen den Schneestürmen am Ufer eines Gebirgssees.

Vor allem im Winter gelten Skitouren und das Langlaufen über das verschneite Hochplateau als Herausforderung. Loipen werden hier oben in der Einsamkeit gar nicht erst angelegt, doch die Stavanger Turistforeningen, eine dem Alpenverein vergleichbare Organisation, markiert mit Hunderten von Stecken und Reisigbündeln die Routen.

Hochsaison herrscht in Haukeliseter allerdings erst im Frühjahr. Dann gilt das Haukelifjell als eine Traumlandschaft der Ski-Enthusiasten, die sich bis Mitte Juni Zeit lassen können. Wie warm die wesentlich länger als in Mitteleuropa scheinende Sonne dann werden kann, beweist nicht zuletzt der alte Prospekt von Haukeliseter, das von 1873 bis 1963 eine staatliche Gebirgshütte war: Männer sollen doch ihre Shorts mitnehmen und Damen den Bikini, denn der Winter gehe hier im Reich von Elch und Ren unvermittelt in den Sommer über.

Telemark, im Sommer wegen seines Waldreichtums als "grünes Herz Norwegens" tituliert, gilt als die Heimat des Skifahrens, besser gesagt: des Skisports. Damit eng verbunden ist der Name Sondre Norheim, der sich bei seinen skibegeisterten Landsleuten unsterblich machte. Der Sohn eines Bauern aus dem Dorf Morgedal im sogenannten Wald-Telemark gilt als Erfinder des modernen Skisports schlechthin. Sondre Norheim entwickelte nämlich eine neue Technik für die zwei schmalen Bretter, die in Norwegen schon seit Jahrtausenden zur Fortbewegung im Schnee benutzt wurden: Als Telemark-Schwung ist sie in die Geschichte eingegangen.

Geistreicher Weiler

Am Nissesee, benannt nach den Hausgeistern, die den Mythen zufolge auf jedem Bauernhof leben, liegt Vraadal. Ein winziges Dorf, bestehend aus einer Tankstelle, der Sparkasse, einem Greißler und zwei zusammengehörenden Hotels. Man rühmt sich, Telemarks größtes und modernstes Wintersportzentrum zu sein.

Es war jedenfalls das erste in ganz Europa, das schon früh den Bau eines "Superlifts" genehmigte, der acht Personen pro Sessel transportieren kann. Er erschließt ein Gelände, das zwar nur zehn Kilometer präparierter Pisten hat und damit im Vergleich zu alpenländischen Skigebieten bescheiden wirkt. Doch die Norweger und vor allem die Dänen, die hier den Hauptanteil der Winterurlauber stellen, sind zufrieden und genießen die sanften Pisten. Außer den klassischen blauen, roten und schwarzen Abfahrten gibt es hier nämlich auch noch solche mit grünen Markierungen: für die ganz besonders vorsichtigen oder unsicheren Fahrer.

Worauf man in Vraadal aber besonders stolz ist: Après-Ski natürlich! Darf man auch, die Abende in einer alten Scheune sind nämlich tatsächlich geruhsam. Denn die Lautstärke bewegt sich zumeist analog zum Alkoholkonsum, und die norwegischen Preise lassen da eben kaum Exzesse zu.

Alte Hotels wie das ehrwürdige, aus einer Poststation hervorgegangene Straand-Hotel in Vraadal strahlen zwar mit ihrem jahrhundertealten Mobiliar und den Originalgemälden eine besondere Atmosphäre aus. Dennoch wohnen die wenigsten Winterurlauber in Norwegen im Hotel. Zum einen würden die Kapazitäten nicht ausreichen, zum anderen gehen selbst die Einheimischen aus Kostengründen lieber in die "Hytta".

Was die Norweger einfach als Hütte bezeichnen, hat allerdings wenig mit karger Ausstattung zu tun, sie erinnert eher an ein komfortables Chalet. Für Familien bedeutet das Anmieten einer solchen Hütte, verbunden mit völliger Selbstversorgung, aber sowieso und schlechthin die norwegische Art des Urlaubmachens. (Christoph Wendt/DER STANDARD/Printausgabe/19./20.1.2008)