Der vierte Teil

von Robert Dornhelms Krieg-und-Frieden-TV-Tetralogie kippt (wie schon der vorangegangene dritte) die Elemente der Kolportage mitten hinein ins chaotische Welttheater. Russlands adelige Offiziere, die eben noch mit vor Erregung nassen Flirtgesichtern am Kartentisch die Zukunft ganzer Dynastien verzockten, üben sich pflichtschuldig in Patriotismus. Dornhelm richtet – wohl nicht nur immanent aus Kostengründen – den Blick auf Ausschnitte: Seine napoleonischen Marschkolonnen sind ebenso schlank gehalten wie sein Bonaparte (Scali Delpeyrat), der – eine hübsche Korrespondenz mit der russischen Aristokratie! – die Gesinnung eines Va-banque-Spielers an den Tag legt.

Foto:ORF/EOS Entertainment/Morris Puccio

Die Schlacht von Borodino (1812),

ein Fanal der Grausamkeit, wird auf ein paar knappe Szenen heruntergestrichen. Man könnte Borodino, im Wissen um spätere Gemetzel wie Waterloo (1815) oder gar Solferino (1859), als Einbruch der Moderne in die europäische „Kriegskultur“ betrachten. Dornhelm verzichtet, was unbedingt für ihn einnimmt, auf jede Dekorationsmalerei.

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Er verpasst dem greisen Marschall Kutusow

(Wladimir Iliyn) sogar pazifistische Gesinnungen und pfiffige Allüren. Aber er erledigt Pierres (Alexander Beyer) läuternden Taumel durch eine unübersichtliche Landschaft der Ver- und Zerstörung leider auch im Schnelldurchlauf. Und räumt der Historie gegenüber den das Schnief- und Schnäuztuch beanspruchenden Liebeständeleien nur wenige Entfaltungsmöglichkeiten ein.

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Ein Fazit wird um folgende Einschätzung nicht herumkommen:

Alles an Dornhelms 26-Millionen-Euro-Unternehmung ist ehrenwert. Es ist einigermaßen egal, dass der Soundtrack nicht stimmig war – und dass die Akribie im Ausstattungsdetail bis hin zum letzten neu lackierten Blattgoldrahmen sogar zusammengetrödelt wirkte.

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Schwerer wiegt da schon,

dass die Bemühung um „Authentizität“ (was wäre das freilich?) ein Sammelsurium unterschiedlicher Ästhetiken ergibt. Wer sich um die Bebilderung „romantischer“ Stimmungslagen bemüht, müsste gerade mit Blick auf Leo Tolstois ingeniöse Verzahnung von Intimität und „Öffentlichkeit“ andere Bildzeichen wählen als tropfende Eiszapfen und spiegelnde Seen, komplett nur mit kühlem Seitenlicht und Folklore-Szenen wie aus der „Intertouristik“-Werbung.

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"Politik",

und davon handelt Krieg und Frieden, begänne auch jenseits der Stereotypien von „gut“ und „böse“, von „verhärmt“ und „schnippisch“, „notgeil“ und „dreist“. Vergönnen wir Dornhelm und seinem vielsprachigen Team die erzielte Breitenwirkung. Seine Arbeit ist dem Kunsthandwerk zuzuzählen. Jeder Hinweis auf die erschütternde Wucht von Bondartschuks Vorgängerprojekt (1968) verweist bloß auf den Betrachter: Warum hat uns Natascha (Cleménce Poésy) nicht im Innersten berührt? Doch nun – zur Buchlektüre. (poh/DER STANDARD; Printausgabe, 17.1.2008)

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