Man konnte die Legende einfach anrufen. Sir Edmund Hillary stand im Telefonbuch seiner Heimatstadt Auckland. Er hatte keinen PR-Manager. Seine Managerin war seine zweite Frau Lady June, die er 1989 nach dem Tod seiner ersten Frau (1975) geheiratet hatte. Sie sagte: "Einen Augenblick. Ich hole meinen Mann." Ein paar Sekunden später hörte ich diese prägnante, dunkle, aber weiche Stimme, die aus dem Weltall zu mir zu sprechen schien. "Ja", sagte der damals 83-Jährige. "Komm zum Tee. Dann können wir uns unterhalten. Aber tu mir einen Gefallen, nenn mich einfach Sir Ed."

Der Weg zu Hillary, dem einstigen Bienenzüchter und späteren Welt-Abenteurer, war also ein leichter. Er spiegelte seinen Lebensanspruch wider, kein Denkmal auf einem Sockel sein zu wollen. Er wollte nahbar sein, ein "durchschnittlicher Neuseeländer mit bescheidenen Fähigkeiten", wie er sich gern selbst beschrieb. Ein Satz, den er ernst meinte, der aber absurd wirkte. Schließlich prangt sein markantes Konterfei auf der Fünf-Dollar-Note seines Landes. All den Kult, den Wirbel, den man zuweilen um ihn und seine Erstbesteigung des Mount Everest entfachte, war Hillary fremd. Er begegnete ihm aber mit der Geduld und Demut desjenigen, der das "Glück" gehabt hatte, dem Himmel auf eigenen Füßen ein Stück näher gekommen zu sein. "Ich hätte damals nie gedacht, dass die Menschen sich an meine Besteigung erinnern würden. Nur wegen eines Berges", sagte er in unserem Gespräch im Oktober 2002, ein paar Monate bevor sich die Everest-Erstbesteigung zum 50. Mal jährte. "Ich weiß, dass ich dem Everest mein Leben zu verdanken habe. Aber die Besteigung war nicht der Beginn oder das Ende der Welt. Jeder hat schließlich seinen persönlichen Everest."

Seine Bekanntheit nutzte der 1919 geborene Hillary vor allem dazu, immer wieder zu betonen, dass die Besteigung ohne seinen Freund und Partner Tenzing Norgay niemals geglückt wäre. Außerdem sammelte er Geld für seine Stiftung, die in Nepal Krankenhäuser und Schulen baut. Das kleine Land im Himalaya ernannte ihn 2003 zum Ehrenbürger.

Wehmut in Neuseeland

In Neuseeland lernte ich, wie präsent der Mann mit der steilen Nase und den buschigen Haaren war, obwohl er sich längst nicht mehr zu aktuellen politischen Vorgängen äußerte, wie er das in den Siebzigern getan hatte. Er gilt den Neuseeländern, auch in einer beispiellos romantischen Verklärung, als Archetyp ihrer kulturellen Identität - ein Musterbeispiel von Abenteurertum, Altruismus, Pragmatismus, Herzlichkeit, Bescheidenheit. Es ist das Bild eines alten Neuseeland, das mit Hillarys Tod ein wenig mehr zu verschwinden scheint. Die Wehmut darüber lässt sich an den Abertausenden Leserbriefen ablesen, die sich auf den Internetzeitungen der großen Zeitungen des Landes finden. Auf dem wahrscheinlich kommende Woche stattfindenden Staatsbegräbnis werden sich Hunderttausende von ihrem "Sir Ed" in Auckland verabschieden. Es ist eigentlich die Zeit, in der Neuseeland zum Leben erwacht. Es wird nun ein Sommer wie kein anderer werden. Ein Sommer, den Neuseeland nie vergessen wird. (Ingo Petz aus Auckland , DER STANDARD; Printausgabe, 12./13.1.2008)