Get Well Soon: "Rest Now, Weary Head! You Will Get Well Soon"

Naja, lange hat's nicht gedauert einen Anwärter für die Jahrescharts 2008 zu finden: Der Mannheimer Konstantin Gropper nutzt auf seinem Debütalbum seine klassische Ausbildung, um Streicher über Bläser über Harfe über Gitarre zu schichten - und das alles im Alleingang. Das tangoeske "If This Hat Is Missing I Have Gone Hunting" steht in Sachen Düster-Glamour Pulp in Nichts nach, und wenn eine Nummer schon so schlank beginnt wie "Christmas In Adventure Parks", reißt sie spätestens der Chor in die Opulenz davon. Himmlisch auch: "Witches! Witches! Rest Now In The Fire" - und nichts davon wirkt überladen, das ist das eigentliche Wunder daran. (City Slang/Universal)

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Get Well Soon

Coverfoto: City Slang

Verschiedene: Soundtrack "Control"

Auf der immer gähnialer werdenden Viennale ein Film, bei dem mir nicht die Füße eingeschlafen sind - hauptsächlich dem Thema, der Lebensgeschichte von Joy Division-Frontmann Ian Curtis, sei's gedankt. Jetzt läuft er regulär in den Kinos an, darum noch einmal auf den Soundtrack hingewiesen. Überwiegend sind Stücke von Zeitgenossen (Buzzcocks, Sex Pistols) oder möglichen Einflussquellen (Velvet Underground, Kraftwerk, Bowie) von Joy Division zu hören - von der Band selbst nur drei Stücke plus "Transmission" in der Filmcast-Version. Atmosphäre überwiegt also Werkschau - für letzteres gibt es inzwischen aber eh einige umfangreiche Wiederveröffentlichungen. (Rhino/WEA)

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"Control", der Film

Coverfoto: Rhino/WEA

Enik: "Antenna"

Einer aus der Abteilung Wunderkinder, der freilich noch nicht die Aufmerksamkeit bekommen hat, wie sie beispielsweise Patrick Wolf inzwischen genießen kann: Der Münchner Dominik Schäfer, der sich selbst als singende Hydra mit neun Kehlköpfen bezeichnet (und das trifft seine aberwitzige Stimme wirklich!), veröffentlicht den Nachfolger zu seinem furiosen 2005er Album "The Seasons In Between" ausschließlich digital. Sieben Stücke zwischen Rock, knarzender Elektronik und rauen Balladen. Und wie gesagt: diese Stimme ... Auszüge finden sich auf seiner Website, die komplette EP zum Download auf musicload oder iTunes. (Virgin/EMI)

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Enik

Foto: Enik.net

Saint Etienne: "Boxette"

Zu jedem Jahreswechsel verwöhnt die heilige Londoner Dreifaltigkeit ihre Fans mit besonderen Goodies - und heuer gibt's ein besonders dickes Ding: "Boxette" umfasst die drei längst vergriffenen Raritätenkompilationen "I Love To Paint" (1994), "Built On Sand" (1999) und "Asleep At The Wheels Of Steel" (2001) plus eine Reihe brandneuer Stücke auf der vierten Scheibe. Einzige Bedingung: KäuferInnen müssen vorher Mitglied im offiziellen Saint Etienne-Fanclub "Lovers United" werden. Die Mitgliedschaft selbst ist aber gratis - und außerdem: he, da kann man echt in schlechtere Gesellschaft geraten! (Heavenly/Lovers United)

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Saint Etienne

Coverfoto: Heavenly

Rotifer: "Coach Number 12 of 11"

Zugegeben, die letzte Platte des britischsten aller Österreicher hat mich nicht so ganz überzeugt - "Coach Number 12 of 11" ist jedoch ein anderes Kaliber: Entspannter, leichtfüßiger, irgendwie freigespielt klingt Robert Rotifer - als wäre er endlich da angekommen, wo er immer hinwollte: I am spilling the urn of the mighty fern, I am burning the memory of mass extinction, and I'll go on until there's nothing left to burn. Zwischen Ray Davies und Edwyn Collins ist der räumliche und zeitliche Migrant Rotifer ans Sound-Ziel gelangt - und Songs wie "Plane & Motorway" oder "Happy All Your Life" klingen so, als wären sie schon immer um uns herum gewesen. (Wohnzimmer/Hoanzl)

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Robert Rotifer

Coverfoto: Wohnzimmer

Lacrosse: "This New Year Will Be for You"

Ein Weckamin wie die allmorgendliche Dreifachattacke auf meine Körperchemie, Kaffee + Zucker + Snus: Fröhlich wie ein ganzes Bündel Osterglocken klingt der schrammelige Indiepop der Stockholmer Band, die noch so neu im Geschäft ist, dass man den schwedischen Akzent im Englischen ungewöhnlich stark hört (notorisch erkennbar an der Aussprache der "j"s). Den Gitarren gesellen sich Trompeten, Glockenspiel und eine Orgel hinzu, die sich im Songfinale gerne in ein Kreszendo steigert, als hätte man bei "Galaxian" die Alien-Basis abgeschossen. Kanadische Vielkopfbands liegen als Einfluss nahe - aber auch Gutelauneverbreiter der 90er-Jahre wie die Fünf Freunde. (Tapete)

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Lacrosse

Coverfoto: Tapete

Die Türen: "Popo"

Ist das noch Boheme oder schon die Unterschicht? - Diese geniale Zeile von Britta scheint als Motto über der neuen Platte der Türen zu scheben, die sich inhaltlich im Bermudadreieck zwischen Kreativität, Konsum und prekärer sozialer Absicherung bewegt. Everybodys Darlehen! Niemand kann sich's leisten, aber jeder muss es haben. Vom Trio zum Quintett angeschwollen, überrascht die Band, die zuvor für hochenergetischen Funkrock stand, mit deutlich entschärftem Sound: Ein bisschen Bigband hier, ein wenig Boogie da - immer noch funkig, aber eher so wie HipHopper, die sich über die grüne Grenze in den Pop einschleichen. Feine Platte - auch wenn ihnen das frühere Brachiale recht gut gestanden hat. Spätestens das Ausbruchsmanifest "Indie Stadt" überzeugt aber voll. (Staatsakt/Hoanzl)

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Die Türen

Coverfoto: Staatsakt

De Portables: "Topless Is More"

Wer bei Belgien in erster Linie an die Sorte Elektronik denkt, die sich relativ wenig um die Zeitläufte schert, liegt zwar nicht ganz schief - ist damit bei De Portables aber auf dem Holzweg. Das Quartett aus Gent changiert zwischen Shoegazing ("Col Phillins", "This is a Song"), Post-Rock und kontemplativen Electronica ("Superdubber") und klingt ein bisschen wie The Notwist. Das Album endet mit "Track 12", der ausschließlich aus leisen Schnarchtönen besteht: soll aber weder ein Verweis auf Kraftwerks "Atem" noch sonst ein Statement sein. Und schon gar kein Urteil über das Album! (Stilll)

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MySpace-Seite von De Portables

Coverfoto: Stilll

Sunset Rubdown: "Random Spirit Lover"

Und weil's nach der meditativen Platte aus Belgien wie die Faust aufs Auge passt, hier noch ein Nachtrag aus 2007: Bei manchen Sunset Rubdown-Stücken möchte man im Booklet nachschauen, ob im Kleingedruckten nicht irgendwo "The Artists Formerly Known As The Sparks" steht ("The Mending Of The Gown", du meine Güte!). Wolf Parade-Sänger Spencer Krug hat sich mit diesem Seitenprojekt jedenfalls einmal mehr austoben können. Ein - in jeder Beziehung - Heuler aus dem an Heulern nicht eben armen Kanada. (Jagjaguwar/Cargo Records)

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Sunset Rubdwon

Coverfoto: Jagjaguwar/Cargo Records

Verschiedene: "SmaShits"

Punk, Electronica, HipHop, Dub und Liedermachertum - eine gehörige Bandbreite für eine Compilation. Wobei breit hier noch eine Doppelbedeutung erhält, dreht sich der Jubiläumssampler des Berliner Labels Shitkatapult doch ausschließlich ums Saufen: Details dazu hier. Und (noch ein Grund zum Feiern!) weil ich anschließend in einen längeren Urlaub entschwebe und die nächsten Monats-Playlists schwänze, folgt hier noch ein Ausblick auf kommende Attraktionen --->

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Shitkatapult

Coverfoto: Shitkatapult

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Gründe zur Vorfreude

Eine Comeback-Platte der Shoegazing-Götter My Bloody Valentine war eigentlich schon für 2007 vorgesehen - vielleicht wird's heuer was, auf (England-)Tour gehen sie im Sommer ja schon mal. Unmittelbar bevorstehen die Veröffentlichungen von "Distortion" der Magnetic Fields und "The Golden Foretaste of Heaven" von Alec Empire, der sich überdies kongenial mit Patrick Wolf auf dessen nächster Platte vereinigen wird. Morrissey kommt im Februar zunächst mit "Greatest Hits" inklusive neuer Single "That's How People Grow Up" raus; im Herbst soll dann ein neues Studioalbum folgen. Die Laptop-Magier Lali Puna kehren aus der Babypause zurück und Nina Persson nutzt einmal mehr eine Cardigans-Unterbrechung für die Fortsetzung ihres Soloprojekts A Camp. Das alles wird jedoch überstrahlt von einem Knallbonbon, das Ende März platzt: "Funplex", das erste neue Album der B-52's seit 16 Jahren. Whammy!

Foto: REUTERS/China Daily