"Regenschauer" von Library of Fragrance

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"Waschküche" von Library of Fragrance

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Christopher Brosius begründete ein neues Duftgenre: Düfte, die es im realen Leben gibt.

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Kann man Schnee riechen? Nein, unmöglich. Wasser, ob gefroren oder nicht, hat keinen Geruch. Oder? Der Parfumhändler lüpft ein Kosmetiktuch, besprüht es mit Nebel aus einem schlichten Flakon und hält es einem unter die Nase. Man schnuppert. Riecht nichts. Schnuppert weiter, konzentriert sich. Und jetzt schwillt der Geruch wie eine Welle an: ein Feld vielleicht, jedenfalls gefrorene Erde, bedeckt mit frisch gefallenem Schnee und Atemluft in selbstgestrickten Wollhandschuhen. Ein Wunder - nein, nicht der Natur. Der Duft "Winter 1972" ist durch und durch synthetisch. Ein "Echtduft", wie ihn die Natur nicht echter hinbekommen könnte.

Der Schöpfer dieses Dufts und einer ganzen Reihe weiterer dieser Art heißt Christopher Brosius, stammt aus New York und hat ein neues Duftgenre begründet. Seine Duftkollektion heißt "I hate perfume" und der Name ist Programm: Brosius mag keine Designerdüfte. Er kreiert ausschließlich Düfte, die es im realen Leben gibt - Echtdüfte, gerochen aus seiner Perspektive. Der Duft "Winter 1972" schildert zum Beispiel eine sternklare Nacht, die Brosius einmal als Bub in einem verschneiten Wald erlebt hat. Ein anderer Duft, "Memory of Kindness", ist dem "glänzenden Aroma grüner Tomatenranken, die in der feuchten Erde eines Bauerngartens wachsen" nachempfunden. Eine Kindheitserinnerung an das Gartenbeet seiner Tante, wie der Meister in der Gebrauchsanweisung zum Parfum verrät. Überhaupt geht es dem gelernten Parfümeur bei seinen Düften immer um Erinnerung. Die will er einfangen, destillieren und, abgefüllt in Flakons, überall und immer zugänglich machen - als Emotion.

Eine sehr spezielle Erinnerung

In den USA ist die Linie "I hate perfume" schon durch alle Lifestyle-Magazine gewandert. Stars wie der Schauspieler Allan Cumming lassen sich ihre ganz persönlichen Erinnerungen von Brosius designen. Nach mehreren Einzelsitzungen riecht Cumming jetzt nach Gummi und verbranntem Holz - eine sehr spezielle Erinnerung vielleicht. Aber individueller kann ein Mensch, abgesehen vom Körperduft, nicht riechen. Wohl deshalb ist Brosius auch nicht der Einzige, der mit Echtdüften experimentiert.

In New York sitzt auch die Firma Demeter, die Brosius selbst mitaufgebaut hat, bis er sich 2004 von dem Unternehmen trennte. An die 300 verschiedene Echtdüfte sind in der "Duft-Bibliothek" von Demeter erfasst. Sorten wie Pfeifentabak, Gin Tonic, Waschküche, Leichenhalle, Reitgerte oder Regenschauer. Nicht immer will man so etwas riechen, schon gar nicht an seinem Gegenüber. Aber Sandra Krückel, Produktmanagerin des deutschsprachigen Demeter-Ablegers "Library of Fragrance", kann beruhigen: "Es wird kaum jemand erkennen, wenn ich nach Gras rieche, denn diese Möglichkeit hat die Nase einfach nicht gelernt." Solche ungewöhnlichen Aromen seien deshalb eher für den Träger bestimmt. "Solange er weiß, dass er nach seinem Lieblingsgeruch riecht, haben wir unser Ziel erreicht", meint sie.

Traum vom riechbaren Fernsehbild

Was zurzeit noch als poetische Spielerei durchgeht, wird in Zukunft ganz andere Dimensionen erreichen. Schon jetzt sind Echtdüfte auch in Österreich in immer mehr Kaufhäusern, Hotels oder Flughäfen im Einsatz. Als "Air Design", das mit Frischbrot- oder Lederduft Kaufanreize schaffen soll, wo keine sind.

Unter Hochdruck arbeitet die amerikanische Firma DigiScents derzeit am Traum vom riechbaren Fernsehbild. Wenn der Plan endlich aufgeht, soll eine Konsole namens "i-smell" den Geruch zu Bild und Ton liefern. 16.000 Echtdüfte hat der Konzern angeblich schon gespeichert. Der Durchbruch spießt sich aber an einem sensorischen Problem: Düfte kommen bei jeder Nase anders an. Nie lösen sie die gleiche Emotion aus. Was, wenn die "Landärztin", endlich beduftet, die Einschaltquoten senkt statt steigert?

Erst zwei der rund 350 menschlichen Riechrezeptoren sind bis jetzt von der Wissenschaft erfasst. Nur von ihnen kann man mit großer Wahrscheinlichkeit sagen, was sie überindividuell bewirken. Der Helional-Rezeptor beispielsweise, der Maiglöckchen erkennt, macht Spermien geradezu paarungswild, weshalb sich jetzt auch die Fertilitätsforschung verstärkt für Riechforschung interessiert. Viel Zeit wird aber vergehen, bis sämtliche Duftgeheimnisse entschlüsselt sind. Irgendwann wird man sich dann nostalgisch an die unschuldigen Echtdüfte von heute erinnern. (Barbara Höfler/Der Standard/rondo/11/01/2008)