Keine klassische Skistation: Für Après-Ski-taugliche Zubauten bleibt schon aufgrund der historisch gewachsenen Struktur des Marktkerns von Berchtesgaden wenig Raum.

Foto: Berchtesgadener Land Tourismus
Dass Deutschlands Kältepol, der Funtensee, mit seinen schlagzeilenträchtigen Minusgraden nur wenige Kilometer von uns entfernt liegt, können wir uns an diesem sonnigen Wintermorgen beim besten Willen nicht vorstellen. Wir sitzen beim Gipfelkreuz auf dem Rossfeld und schauen den Tourengehern zu. Oben angekommen fallen die Hüllen und man sitzt mit nacktem Oberkörper in der Sonne, ruht sich aus und genießt die Aussicht. Die geht hinunter ins Tal der Salzach, bis nach Salzburg und auf der anderen Seite über den Talkessel von Berchtesgaden.

Hier, im äußersten südlichen Winkel Deutschlands vermisst niemand den "Skizirkus", dessen Liftanlagen die Hänge rundum wie Spinnennetze überziehen. Oder das Après-Ski-Leben, von vielen bekanntlich als der wichtigere Teil der Disziplin eingestuft. Man ist gekommen, weil es hier tatsächlich noch so etwas wie eine lebendige Winterfrische in Deutschland gibt.

Klein, aber fürstlich

Zunächst einmal liegen da natürlich dennoch Skipisten rund um Berchtesgaden, die alte Residenz der Fürstpröbste und später der Wittelsbacher. Etwa das Gebiet am Rossfeld, auf dem wir an diesem Morgen die Sonne genießen und das eine Abfahrt von immerhin fünf Kilometern nach Oberau hinab bietet. Länger und gewiss auch fordernder als die Familienabfahrten am Rossfeld ist der Jenner über dem Königssee. Der Lift mit seinen winzigen, zweisitzigen Gondeln, in denen wir seitlich zur Fahrtrichtung sitzen, ist in die Jahre gekommen. Dafür bietet das Gebiet allerdings Abfahrten, die auch Können abverlangen. Das Pistenrevier am Götschen, ein Dorado der Snowboarder, hat bereits eine Weltmeisterschaft hinter sich.

Heute wollen wir uns allerdings dem Höllbacher Johann, dem "Jagerer", anvertrauen und stapfen mit ihm auf Schneeschuhen über jungfräuliche Schneeflächen. Wir steigen in den Bergwald hinauf und dann wieder hinaus auf Lichtungen, von wo aus die markante Watzmannsilhouette in der Ferne signalisiert, dass tief unter uns Berchtesgaden liegen muss.

Ein weiterer wunderschöner, wenn auch bitterkalter Morgen lockt uns hinaus nach Hintersee. Am Nationalparkhaus beim Eingang ins Klausbachtal erwartet uns der Nationalparkjäger Michael Gröll. Er will uns "seine" Hirsche zeigen. Wir gehen ein Stück taleinwärts in den Nationalpark hinein bis zum großen Gehege, in dem mehr als 50 Stück Rotwild den Winter verbringen und gefüttert werden. Schmilzt der Schnee, wird das Gatter geöffnet und die Hirsche ziehen wieder in den Bergwald des zweitältesten Nationalparks Deutschlands hinauf.

Eis- und Bildstöcke

Der Talkessel des Hintersees liegt jetzt zur Mittagszeit voll in der Sonne. Auf dem Eis des zugefrorenen Sees wurden zehn Bahnen gespurt, auf denen dem Eisstockschießen, dem oberbayerischen Nationalsport, gehuldigt wird. Bilder stehen da am Ufer, Reproduktionen von Gemälden, deren Maler im 19. Jahrhundert den Hintersee als Malerkolonie bekanntgemacht haben. Aus Wien, Dresden und Düsseldorf vor allem sind sie damals gekommen, angelockt vom Reiz dieses Gebirgssees.

Unser Blick fällt auf eine Firmeninschrift, ein Kanonenbauer macht da auf seinen Betrieb aufmerksam. Allerdings wird hier kein Kriegsgerät hergestellt: Selbst in diesem Winkel oberbayerischer Winterseligkeit geht's nicht ganz ohne Lärm - wenn Feste gefeiert werden, wird das prinzipiell von Böllern angekündigt.

Ein Abend im "Holzkäfer" bringt Überraschungen wider bayerischer Folklore-Befürchtungen: Wir hatten uns in dieser Hütte im kleinen Berchtesgadner Ortsteil Buchenhöhe eigentlich Deftiges erwartet. Das Essen, das uns dann aufgetischt wird, ist keineswegs "zünftig", es ist von einer so herausragenden Qualität, wie wir das hier nicht vermutet haben. Ebenso wenig zünftig: die "Musi", die hier alles andere als volkstümlich mit Bassgeige, Harfe und Ziehharmonika noch einmal vom Charme der Einfachheit erzählt. (Christoph Wendt/DER STANDARD/Printausgabe/5./6.1.2008)