"Zero degrees", von Sidi Larbi und Akram Khan, aufgeführt im Teatre Lliure

Foto: Mercatflors/Tristam Kenton
Foto: Mercatflors/Tristam Kenton
Foto: Mercatflors/Tristam Kenton
Am Fuße des Montjuïc, zwischen dem weitläufigen Messegelände und dem einstigen Armenviertel Poble Sec gelegen, verirren sich während des Tages nur wenige Menschen zur Plaça Margarida Xirgu, welche die Mitte dieses Komplexes bildet. Lediglich Studenten des neunstöckigen Institut del Teatre und ein paar Fußball spielende Kinder des Poble Sec nützen den Platz als sozialen Treffpunkt. Abends ist zumeist mehr los, vor allem dann, wenn sowohl das Theatre Lliure als auch der Mercat de les Flors bespielt werden.

Abseits klassischer Konzerte im Palau de la Música oder der Opernaufführungen im zumeist ausverkauften Liceu scheitern Theaterbesucher oft an der Sprache, zumal die Stücke meistens auf Katalanisch gegeben werden. Doch seit einigen Jahren verfügt Barcelona mit der Ciutat del Teatre ("Theaterstadt") über ein Zentrum, in dem internationale Kompanien auftreten - und die Tanzproduktionen sind es nicht allein, die für Touristen interessant sind.

Beide Häuser wurden, so wie das benachbarte Messegelände und das katalanische Nationalmuseum MNAC, im Zuge der Weltausstellung im Jahr 1929 errichtet. Sie waren Teil der Landwirtschaftspavillons, wovon heute noch Wandmalereien im Inneren der Gebäude zeugen. Offensichtlich war man mit dem architektonischen Ergebnis derart zufrieden, dass man die Gebäude nicht abriss, sondern ihr Gemäuer verstärkte und ihnen somit eine dauerhafte Lebenszeit verschaffte.

Nötige Theatralisierung

Bis zu ihrer sinnvollen Zweckentfremdung als Theater erlebten beide Häuser, die mit ihren Kuppeln und Säulen an den Stil spanischer Kolonialgebäude erinnern, eine wechselhafte Geschichte. Der Mercat de les Flors diente nach der Weltausstellung, wie der Name heute noch unschwer erkennen lässt, als Blumen- markthalle. In den 1980er-Jahren entdeckte der englische Theaterregisseur Peter Brooks das inzwischen zur Lagerhalle verkommene Gebäude und wählte es als unkonventionellen Aufführungsort für eine "Carmen"-Inszenierung. Der Stadtregierung gefiel dieses Experiment, ein neues Theater war geboren. Ursprünglich Aufführungsort von Sprechtheaterstücken, betrachtet es sich heute als Theater für den zeitgenössischen Tanz und als Motor künstlerischer Innovation. Nicht nur in der Programmierung des Hauses zeigt sich seine unkonventionelle Ausrichtung.

Gerne präsentiert Francesc Casadesús, der Intendant des Mercat, seinen Besuchern eine dauerhafte Installation des katalanischen Künstlers Frederic Amat an der Fassade der Gebäuderückseite. Dutzende Keramikgebilde in der Form überdimensionaler, malträtierter Olivenkerne, die so manche Assoziation zu einem "Alien"-Film zulassen, sollen als Symbol für eine theaterbegeisterte Menschenmasse stehen. Amat hat mittlerweile angeboten, auch die restlichen Fassadenteile des Theaters mit seiner Kunst zu bereichern. Die Chancen hierfür stehen gut. "Ich mag diese Idee", so Francesc. Es ist nicht das erste Mal, dass der Mercat de les Flors einen Vertreter der bildenden Kunst eingeladen hat, das Erscheinungsbild des Gebäudes mitzugestalten.

Die Kuppel der zentralen Eingangshalle des Theaters, deren Durchmesser zwölf Meter ausmacht, wurde vor zwanzig Jahren vom mallorquinischen Künstler Miquel Barceló verschönert - als dieser noch weitgehend unbekannt war. "Das könnten wir heute nicht mehr bezahlen. Damals kostete uns Barceló gerade einmal ein paar Kisten Bier", freut sich der Hausherr über das gute Geschäft.

Freiheit nach Franco

Das Teatre Lliure, zu deutsch Theater der Freiheit, wurde 1976 kurz nach dem Ende der Franco-Diktatur gegründet und wechselte in den folgenden Jahren mehrmals den Spielort, bevor es vor fünf Jahren im frischrenovierten ehemaligen Landwirtschafts-pavillon neben dem Mercat de les Flors seine neue Heimat fand. Seither präsentieren dort Theatergrößen wie Bob Wilson oder Peter Sellars ihre neuesten Arbeiten. Im Gegensatz zum Mercat verfügt das Teatre Lliure über ein eigenes Ensemble, das regelmäßig in anderen europäischen Städten zu Gast ist. Darüber hinaus zeigen, ebenso wie im Mercat, internationale Truppen ihre Produktionen. Zweimal wöchentlich können ausländische Besucher dem Bühnengeschehen noch einfacher mittels englischsprachiger Übertitelung folgen.

Nicht allzu trocken

Nach dem Ende der Vorstellungen laden zahlreiche Bars im Poble Sec zum gemütlichen Tagesausklang ein. Der Name dieses Stadtviertels kann mit "trockenes Dorf" übersetzt werden. Diese Bezeichnung bezieht sich aber keineswegs auf allfällige Beschränkungen im Alkoholausschank, sondern auf die fehlende Wasserversorgung während der Gründungszeit des Viertels.

Anders als typische Wohngegenden in einer Großstadt liegt das Poble Sec in der Stadtmitte. Sich hier einzuquartieren bedeutet, eigentlich genau zwischen den klassischen Sehenswürdigkeiten eingebettet zu liegen, der alte Hafen grenzt im Süden an das Viertel. Obwohl - oder vielleicht gerade weil - ihm heute noch eine dezent heruntergekommene Atmosphäre anhaftet, hat es mit seinen winkeligen und steilen Gassen mittlerweile stark an Attraktivität gewonnen und kann als Alternative zum Barrio Chino betrachtet werden, das sich ebenfalls nicht weit entfernt zwischen den Ramblas und der Allee Paral.l el befindet. (Stephan Burianek/DER STANDARD/Printausgabe/5./6.1.2008)