Was Peter Stiedl als Polizeipräsident in Wien zuletzt abging, war Personal. Nur die Reformen für die jüngsten Skandale verantwortlich zu machen ist ihm zu billig. Dass er einen Wikipedia-Eintrag hat, überrascht den 62-Jährigen.

Foto: Standard/Regine Hendrich
STANDARD: Sind Sie schon einmal bei Rot über eine Kreuzung gegangen?

Stiedl: Ja.

STANDARD: Hatten Sie danach ein schlechtes Gewissen?

Stiedl: Nein, es war eine leere Nebenfahrbahn. Man läuft ja nur bei Rot über die Kreuzung, wenn es wirklich notwendig ist, und wenn man niemanden gefährdet oder behindert.

STANDARD: Hat die Farbe Rot 1995 bei Ihrer Bestellung zum Polizeipräsidenten und jetzt bei der Ihres Nachfolgers, Gerhard Pürstl, eine Rolle gespielt?

Stiedl: Ich denke schon, diese Entscheidungen sind wesentlich parteipolitisch mitbestimmt.

STANDARD: In den vergangenen zwölf Jahren waren Sie der Ruhepol der Wiener Polizei. Für manche zu ruhig.

Stiedl: Ruhe zu bewahren war wichtig, es waren ja bewegte Zeiten. Ich denke da an die braunen Flecken innerhalb der Polizei Mitte der 90er-Jahre. Später hatten wir es mit einer Welle von Studentenprotesten zu tun. Damals haben wir viel gelernt und den Wiener Weg mit der 3-D-Strategie entwickelt: Dialog, Deeskalation, Durchgreifen. Was uns dann auch im Jahr 2000 bei den massiven Kundgebungen gegen die ÖVP-FPÖ-Regierung zugute gekommen ist.

STANDARD: In Ihre Amtszeit fielen auch die tragischen Todesfälle von Marcus Omofuma (1999) und Cheibani Wague (2003). Mit Suspendierungen sind Sie – bis auf die Sauna-_Affäre – immer sehr sparsam umgegangen. Warum?

Stiedl: Ich wollte immer verhindern, dass Beamte mit zwei Dritteln ihres Gehalts spazieren gehen. Ich finde eine harte Amtsführung mit häufigen Suspendierungen nicht zielführend, das ist auch eine Stilfrage. Außerdem hat es früher kaum Anlässe gegeben – bis zu den Amtsmissbrauchsvorwürfen in der Sauna-Affäre.

STANDARD: Haben die jüngsten Skandale etwas mit dem Umbau der Polizei zu tun?

Stiedl: Wir haben zwei Reformen absolviert: die Wiener Reform 2002, die notwendig war, weil wir im Kriminaldienst sehr stark unterbesetzt waren. Also wurde der Kriminaldienst auf wenige Standorte verdichtet. Insgesamt haben wir aber immer noch zu wenige Kriminalisten. Früher waren es 1200, jetzt nur mehr 700. Am 1. Juli 2005 kam dann das dazu, was herkömmlich unter Zusammenlegung von Polizei und Gendarmerie firmiert. Damals haben einige im Wachkörper geglaubt, die Behörde hätte nichts mehr zu reden. Daraus sind Fehlentwicklungen entstanden. Die Vorwürfe gegen Ernst Geiger und gegen Roland Horngacher waren aber nicht reformbedingt.

STANDARD: Also menschliches Versagen?

Stiedl: In der Sauna-Affäre wurden Berichtspflichten nicht eingehalten, das kann man jetzt schon sagen. Das war auch der Grund, warum ich im vergangenen Juni den Evaluierungsauftrag gegeben habe.

STANDARD: Dessen Ergebnis jetzt bestätigt hat, dass der angebliche Geheimnisverrat von Ernst Geiger fingiert gewesen sein könnte. Läuft das Amtsenthebungsverfahren gegen Roland Horngacher noch?

Stiedl: Derzeit handelt es sich um ein Versetzungsverfahren. Momentan ist er der Kraftfahrzeugsabteilung zugeteilt, aber weiter suspendiert. Die Dienstrechtsbehörde wird in diesem Fall das, inzwischen beim Obersten Gerichtshof anhängige, Strafverfahren abwarten. Wenn das Urteil (15 Monate Haft; Anm.) bestätigt wird, ist ex lege eine Amtsenthebung die Folge. Erst danach kann ein neuer Landespolizeikommandant bestellt werden.

STANDARD: Welche schöne Erinnerung nehmen Sie nach zwölf Jahren als Wiener Polizeipräsident in den Ruhestand mit?

Stiedl: Die ersten zehn Jahre waren sehr erfolgreich: gutes Team, gute Zusammenarbeit, gute Erfolge. Und Pioniergeist, der unter anderem den mittlerweile landesweit gebräuchlichen Sicherheitsmonitor mit Lageberichten in Echtzeit hervorgebracht hat. EDV und Internet haben überhaupt den Polizeidienst revolutioniert.

STANDARD: Sie haben auch einen eigenen Eintrag in der Wikipedia-Datenbank.

Stiedl: Aha, nicht von mir.

STANDARD: Werden Sie der Polizei aktiv erhalten bleiben?

Stiedl: Ungefragt werde ich mich sicher nicht zu Wort melden. Auch meinen Nachfolger möcht ich nicht mit guten Ratschlägen beglücken. Jetzt freu ich mich einmal auf eine Urlaubsreise. (Michael Simoner, DER STANDARD - Printausgabe, 28. Dezember 2007)