Helmut Peschina auf der Fährte Doderers: Seine kongeniale Bearbeitung der "Strudlhofstiege" sendet der ORF als Hörspiel-Dreiteiler in den Weihnachtstagen. Am 24./25./26. 12., jeweils um 14 Uhr auf Ö1. Pflichttermin für Heimitisten ...

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Ein Gespräch aus der Werkstatt eines literarischen Spurensuchers mit Cornelia Niedermeier.

Wien, neunter Bezirk – Romananfänge, erste Sätze: Mit ihren Bildern, ihrem Rhythmus schwingen sie uns aus der Alltagserfahrung hinein in eine anders geformte Welt mit fremdem Tempo, unbekannten Menschen, unvertrauten Gedanken.

Etwa in das Wien der Zwanzigerjahre, in die Gassen und Plätze rund um Die Strudlhofstiege. "Als Mary K.s Gatte noch lebte, Oskar hieß er, und sie selbst noch auf zwei sehr schönen Beinen ging (das rechte hat ihr, unweit ihrer Wohnung, am 21. September 1925 die Straßenbahn über dem Knie abgefahren), tauchte ein gewisser Doktor Negria auf, ein junger rumänischer Arzt, der hier zu Wien an der berühmten Fakultät sich fortbildete und im Allgemeinen Krankenhaus seine Jahre machte."

Zwei Plätze, drei Personen, zwei Zeitebenen: Schon sind wir kopfüber eingetaucht in den Strudel von Menschen (143 Personen), Schicksalen und Begebenheiten, die Heimito von Doderer auf den kommenden 909 Seiten seines 1951 erschienenen und über 15 Jahre – 1910 bis 1925 – sich erstreckenden Romanwerks durcheinanderquirlt. Der Herausforderung, das hochkomplexe Geflecht in ein Hörspiel zu übersetzen, ohne den Roman in seiner Charakteristik zu zerstören, widmete ein Meister solcher literarischen Bearbeitung, Helmut Peschina, ein ganzes Jahr an Arbeit.

Immerhin 38 Rollen und viereinhalb Stunden Spielzeit umfasst das so entstandene Hörwerk (Regie: Robert Matejka, Komposition: Kurt Schwertsik): Die aufwändige Produktion ist gewissermaßen ein Weihnachtspräsent des ORF, oder genauer des Radio-Senders Ö1, an seine Hörer. Am 24., 25. und 26. Dezember, jeweils von 14 Uhr bis 15.30 Uhr, werden die drei Folgen der Strudlhofstiege ausgestrahlt. Ende Jänner kommt sie im Hörverlag auf den Markt. Ein Gespräch aus der Werkstatt eines literarischen Fährtenspähers.

STANDARD: Erstaunlicherweise bleibt auch in Ihrem Hörspiel der Prosa-Charakter erhalten, tritt nicht durch die Dramatik der Dialoge in den Hintergrund.

Peschina: Der Erzähler nimmt, wie bei Doderer, über fünfzig Prozent des Raums ein. Im Hörspiel wurde dies möglich durch einen dramaturgischen Kniff: die Aufspaltung der Erzählstimme in einen "äußeren" Chronisten, der den Fortgang der Handlung transportiert, gesprochen von Peter Matiæ, und einen zweiten Erzähler, dargestellt von Peter Simonischek, der das Innenleben der Figuren ausleuchtet. So wurden die großen Monolog-Blöcke aufgespalten in eine Form von Dialog zwischen diesen beiden.

STANDARD: Sie setzen ein mit dem ersten Satz der "Strudlhofstiege", enden mit dem letzten. Dazwischen scheint, wenn man das Buch nicht sehr genau kennt, kaum etwas zu fehlen.

Peschina: Und doch mussten rund 75 Prozent des Textes herausgekürzt werden. Das ist ein sehr langwieriger, diffiziler Prozess in vier Vorgängen. Zuerst lese ich das Buch zweimal, fertige Inhaltsangaben der einzelnen Absätze. Dann streiche ich in mehreren Phasen, lasse das Werk zwischendurch liegen, um zu überprüfen, ob die Proportionen, die einzelnen Zusammenhänge noch stimmen. Gerade bei einem solchen verwickelten Werk, das permanent zwischen den Jahren springt, ist das sehr kompliziert. Oft ist es ja nur ein Requisit, etwa ein Füllfederhalter, der andeutet, dass Doderer den Handlungsstrang eines früheren Kapitels wieder aufnimmt.

STANDARD: Erfinden Sie Texte hinzu?

Peschina: Nein, es ist alles Doderer-Original-Text. Kein Wort ist von mir. Die Schwierigkeit liegt darin, trotz der Kürzungen die Charakteristik, den Stil des Romans wiederzugeben.

STANDARD: Das Hörspiel als Ergänzung der Lektüre?

Peschina: Ja. Es kann wieder einführen in den verwickelten Kosmos, hinführen zu den Stangelers, zu Editha Pastré und ihrer Zwillingsschwester Mimi Scarlez, die jahrelang als Editha Eltern und Liebhaber täuscht – und die erst in der großen Bahnhofsszene im Jahr 1925 erstmals auftaucht. Die beiden unterscheidet nur eine Blinddarmnarbe, ein rosa Schnitt, wie es heißt ... Das Hörspiel soll und kann den Roman nicht ersetzen. Aber es kann Lust machen, ihn wieder zur Hand zu nehmen ...

STANDARD: ... und danach "Die Dämonen". Immerhin 37 der Figuren tauchen dort wieder auf, von René Stangeler über seine Schwester Asta, zu Mary K. Leider nicht Melzer, um den es nach seiner Heirat mit Thea Rokitzer still wird. Kann es nächste Weihnachten eine Bearbeitung dieses zweiten großen Doderer-Romans geben, gewissermaßen als Fortsetzung der "Strudlhof"-Trilogie?

Peschina: Noch sind wir nicht im Gespräch. Aber frühestens könnte das in zwei Jahren der Fall sein. Über ein Jahr dauert allein meine Bearbeitung. (Interview: Cornelia Niedermeier /DER STANDARD, Printausgabe, 18.12.2007)

Wöchentlich grüßt der Stangeler ...

Auch im Wiener Schauspielhaus wendet man sich in den nächsten Monaten Doderers Strudlhofstiege zu: Der Plan, aus dem Roman eine Sitcom zu zimmern, trägt der Erkenntnis Rechnung, dass man auch kompliziertere Roman-Reflexionen auf die Größe eines Vorabendformats herunterbrechen kann. Den "laugh track" müssen ohnehin die Besucher beisteuern.

Der Reiz der Unternehmung steckt im Detail: Zwölf Regisseure übernehmen ab 31. Dezember jeweils im Wechsel die Spielleitung. Der Schauplatz der Schauspielhaus-Schneiderei schafft günstigstenfalls eine Intimität, die einer verzwickten "Revue passée" allwöchentlich zu anschaulicher Greifbarkeit verhilft (das Ensemble ist vorderhand über jeden Zweifel erhaben). Die Pilot-Folge "inszeniert" Daniela Kranz – unter den Folgekünstlern findet man gewiefte Filmregisseure wie Florian Flicker ebenso wie eigenwillige Off-Gruppenarbeiter (Tomas Schweigen) oder ausgewiesene Talente (Dominique Schnizer). (poh /DER STANDARD, Printausgabe, 18.12.2007)