Levon Helm: "Dirt Farmer" (Vanguard Records 2007)

Foto: Vanguard Records
In "The Last Waltz", Martin Scorseses grandiosem Konzertfilm vom letzten Auftritt von The Band zu Thanksgiving 1976, erzählt Levon Helm vom großen musikalischen Schmelztiegel im Süden der USA, von Country, Bluegrass, Show Music und Blues, die darin zum Rock’n’Roll verrührt wurden. Aufgewachsen auf einer Baumwoll-Farm im Arkansas-Delta saugte Helm diese Sounds samt dem typischen New-Orleans-Second-Line-Beat auf, bevor er selbst als Sänger und Drummer gemeinsame Sache mit vier Kanadiern machen sollte - zuerst als Begleiter von Rockabilly-Urgestein Ronnie Hawkins, dann - und immer wieder - von Bob Dylan und schließlich als eigenständige Gruppe unter dem Namen The Band.

Zusammen mit dem Gitarristen und Songwriter Robbie Robertson, dem Tasten-Genie Garth Hudson und den Sängern und Multi-Instrumentalisten Rick Danko und Richard Manuel prägte Helm zu einer Zeit, in der Psychedelia und selbstverliebtes Solistentum angesagt war, mit Alben wie "Music from Big Pink" (1968) ein prägnant-ökonomisches, von vielfältigen Traditionen gespeistes Musikantentum, das vom Time Magzine 1970 mit einer Covergeschichte unter dem Titel "The New Sound of Country Rock" gewürdigt wurde.

Es war Helm, der mit seiner markanten, kehligen Stimme und seinem unverkennbaren, leicht verhatschten Schlagzeugstil Songs wie "The Weight", "Up On Cripple Creek", "Rag Mama Rag" oder "The Night They Drove Old Dixie Down" jene Autorität verlieh, die diese zu Leitmarken des Roots-Rock machen sollte. Nach einer Kehlkopfkrebserkankung Ende der 90-er Jahre drohte Helms Stimme für immer zu verstummen. Der heute 67-Jährige konzentrierte sich ganz auf die Session-Arbeit als Drummer, zu hören auch auf Rufus Wainwrights "Want One" oder den "Deserter's Song" von Mercury Rev. Im Rahmen von intimen Konzerten in seinem Studio in Woodstock in den New Yorker Catskills, den "Midnight Rambles", zu denen sich Gäste wie Elvis Costello oder Emmylou Harris einfanden, sollte Helm seine Stimme allmählich wiederfinden. Angestachelt vom Multi-Instrumentalisten Larry Campbell, von 1997 bis 2004 selbst Mitglied in Dylans Tourband, und seiner Tochter Amy, die mit der Gruppe Ollabelle ihrerseits bereits zwei überzeugende Americana-Alben vorgelegt hat, nahm Helm schließlich mit "Dirt Farmer" sein erstes Soloalbum seit 25 Jahren in Angriff.

Down from the Mountain

"Ich kann mich an keine Zeit erinnern, in der ich die Stanley Brothers nicht gehört habe", erweist Helm in den Liner Notes den Bluegrass- und Mountain-Music-Pionieren Reverenz, deren Musik zuletzt durch den Soundtrack zum Coen-Brothers-Film "O Brother, Where Art Thou?" einen gehörigen Popularitätsschub verpasst bekam. Das mit den Stanley Brothers assoziierte Traditional "False Hearted Lover Blues" fungiert auf "Dirt Farmer" als Opener, bei dem sich Helm nach einem kurzen Akustikgitarren-Intro in voller Stärke zurückmeldet – als einzigartiger Sänger mit typischem "southern drawl" und als unverwechselbarer Schlagzeuger mit einem Stil, der ihm einmal den schönen Titel "Folk Bayou Drummer" eingebracht hat.

Ein wunderbares Beispiel für die Musik, die sich den in den Bayous lebenden Kreolen verdankt, ist der im Albumtitel zitierte zweite Song, "Poor Old Dirt Farmer", der samt Akkordeon und dem Triangel-Rhythmus alles hat, was es für waschechte Cajun Music braucht. Das Traditional evoziert dabei jene Welt, die einst auch The Band mit Songs wie "King Harvest", stets leicht verschoben und gebrochen, beschworen hat.

Als ein herausragender Vertreter heutiger Americana-Variationen darf Country-Rock-Renegat Steve Earle gelten. Dessen elegischer Song "The Mountain" gerät hier in der Interpretation von Helm und dem durch seine Zusammenarbeit mit Emmylou Harris bekannten Ehepaar Buddy und Julie Miller an den Harmony Vocals zur puren Gänsehautnummer. Gleich der nächste Song, das Traditional "Little Birds", zählt laut Helm nicht nur zu seinen frühesten musikalischen Kindheitserinnerungen, sondern war für ihn auch ein Lehrbeispiel für mehrstimmigen Gesang, der zu den Markenzeichen von The Band gehörte und hier aufs Schönste von Tochter Amy Helm und Teresa Williams weitergeführt wird.

Wide River to Cross

Zwischen diesen Hauptströmen traditioneller amerikanischer Musik, zu denen sich auch noch Blues, vertreten durch einen Song des großen Exzentrikers J. B. Lenoir ("Feelin‘ Good"), gesellt, und ihren zeitgenössischen Aktualisierungen durch Songwriter wie Paul Kennerley ("A Train Robbery", "Got Me A Woman") oszilliert auch der Rest von "Dirt Farmer". Helm, der in seiner langen Laufbahn mit Musikern von Johnny Cash bis Neil Young zusammenarbeitete, sich aber auch als Filmschauspieler ("The Dollmaker", "The Right Stuff") verdingte, ist damit näher an den Brunnen gerückt, aus dem The Band ihre Genre prägende Musik schöpfte, als je zuvor. Dass sich an keiner Stelle des Albums der ungute Beigeschmack glatten Retro-Schicks einstellt, liegt zum einen an den sparsamen Arrangements Campbells, in denen Gitarren, Fiddle, Mandoline und eine groovige Rhythmus-Partie den Ton angeben. Neben Helm zeichnet übrigens auch ein weiterer Großmeister des Second-Line-Beats, Dylans derzeitiger Drummer George Receli für die Perkussion verantwortlich.

Zum anderen ist Helms Stimme durch seine - als geheilt geltende - Krebserkrankung brüchiger geworden, was dem Songmaterial aber gut ansteht. Denn hier hat man es nicht mit Folk als lieblicher Harmlosigkeit, sondern mit "Real Life"-Dramen und Unheimlichkeiten zu tun. Und wenn Levon Helm am Ende von "Dirt Farmer" den Song "Wide River to Cross" von Buddy und Julie Miller anstimmt, so ist das nicht weniger berührend als irgendein Song, der sich auf den "American Recordings" von Johnny Cash findet. (Karl Gedlicka)