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Shopping Malls, Internet Cafés und Burgerketten bestimmen heute das Stadtbild der einstigen Gartenstadt Bangalore.

Foto: flickr/gaurang (cc)

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Afterwork Partys in trendigen Pubs oder Bars laufen in Bangalore nicht viel anders ab als in Miami oder Bangkok.

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Grafik: STANDARD
"Lletzte Lladung, Mister Friend?", lallt Rotnase an der Reling. "Pllus a story if you lllike." Schwere See an der "Brigade Bar". Der Boden wellt sich, und der Whiskey spült in schweren Brechern über den Tresen. Ventilatoren surren wie Kamikazepropeller über erhitzten Köpfen, zersäbeln gnadenlos den dicken Zigarettenrauch.

Aber die Story, die Rotnase zum nächsten Drink zum Besten gibt, ist trotzdem eine von Aufstieg und Erfolg. Es ist die Geschichte von, hicks, Pängalore und eines Fehlers. Der Fehler hieß Y2K-Bug und war am Ende des letzten Jahrtausends der Horror aller Informatiker. "Du erinnerst dich, Mister Friend? Alle fürchteten Ende 1999 den Y2K-Bug, alle! Außer in Pängalore! Für uns begann die goldene Zeit!"

Arbeiten mussten die IT-Spezialisten, die Bangalore bereits damals zur aufstrebendsten Hightech-City Indiens machten, dafür freilich schon. Die Software, die weltweit nur bis zum Jahr 2000 ausgelegt war, und zur Millenniumsparty ein Versagen der Computersysteme befürchten ließ, galt es flottzumachen - ein aufwändiger Job. Für Bangalore, deren 150.000 IT-Experten damals rund um die Uhr alle Hände voll zu tun hatten, war es der Kickstart in eine neue Ära.

Ein knappes Jahrzehnt später ist sich die Stadt für Programmier-Akkordarbeit fast schon zu schade. Statt Massenware liefern Bangalores Firmen lieber maßgeschneiderte IT-Software. Ähnlich mauserte sich zuletzt die Biotech-Szene, deren Firmen hier Generika entwickeln oder im Auftrag der westlichen Pharma-Industrie forschen. Keine Frage: Bangalore boomt. Das wissen wohl auch die Manager von Airbus und Siemens und Motorola, die hier eine Art Welthauptstadt des intellektuellen Kapitals vorfinden.

Längst hat sich die City am zentralindischen Dekkan-Plateau, Indiens "Silicon Plateau", zu einem weltweit begehrten Hub des IT-Business entwickelt. Wer etwa am Campus von Infosys vorbeischaut, Bangalores lokalem Vorzeige-Unternehmen, der fühlt sich an eine amerikanische Elite-Universität erinnert: Golfwagen schnurren lautlos zwischen den Glaspalästen hin und her. Die Cafeteria wurde der Oper von Sydney nachempfunden, und besonders privilegierte Mitarbeiter können gar am firmeneigenen Swimming-Pool die Denkzellen auslüften.

Angesichts des Erfolges von Infosys, das Jahresumsätze von mehr als einer Milliarde Dollar schreibt, wirken die unzähligen Callcenter, in deren Arbeitswaben College-Studenten das Fußvolk des IT-Business-Booms abgeben, fast schon veraltet - so wie die Branchen, mit denen in den Sechzigern alles begann. Anspruchsvolle Industriezweige wie Flugzeugbau oder Elektrotechnik machten damals Furore, und die Fünf-Millionen-Stadt zum indischen Guckloch Richtung All.

Seit Ende der Achtzigerjahre liefern Himmelskörper "Made in Bangalore" bereits Infrarotbilder, übertragen TV-Sendungen und übermitteln Wetterdaten in alle Welt. Die im Laufe der Neunzigerjahre errichtete Electronic City festigte Bangalores Ruf als Outsourcing-Welthauptstadt. Das sich daran nichts ändert, soll eine aktuelle Erweiterung des Industrieparks garantieren, ebenso wie das ebenfalls hier untergebrachte International Institute of Information Technology.

So viel Technik und Marketing prägt natürlich die ganze Stadt. Längst schon haben Großkonzerne die Patronage für einzelne Verkehrsampeln und Teile der Straßenbeleuchtung übernommen, und schicke Shopping-Malls wie das "Bangalore Central" an der MG Road wurden auf Anhieb zu beliebten Treffpunkten einer hybriden City. Supermoderne Solarlampen erhellen die breiten Avenuen, die zugleich zu schmal sind für die zahllosen Vespas und Maruti-Kleinwägen. Bangalores schnurgerade Einfallsstraßen enden nämlich fast immer gleich: im heillosen Traffic Jam. Gemeinsam mit Shopping Malls, trendigen Internet-Cafés und den blitzsauberen Filialen von Burger-Ketten und Cafeterias gehört der Stau zur Rush- hour zum westlichsten Flecken des Subkontinents dazu.

Gartenstadt wurde Bangalore einmal genannt, und das erfrischend kühle Klima in fast tausend Meter Höhe lockte Rentner aus dem ganzen Land hierher. Schattige Alleen und ausladende Parks bereiten noch heute eine grüne Oase inmitten des hitzegeplagten Südens, und im zentralen Cubbon Park packen Büroangestellte gemächlich ihre Mittagsstullen aus.

Am Bugle Hill gibt es einen Nandi-Tempel plus monolithischem Steinstier, dem viertgrößten seiner Art, dessen schwarz glänzender, mit Nussöl und Butter beschmierter, massiger Körper bestaunt und umrundet werden kann. Auch ein schöner Botanischer Garten, der Lal Bagh aus dem 18. Jahrhundert, liegt samt 1854 Spezies und Schneewittchen- und Sieben Zwergen-Figuren am Wege, und im Museum für Technologie und Industrie an der Kasturba Road erzählen Riesenturbinen und schwebende Magneten vom Zeitalter vor der Erfindung des Mikrochips.

Doch das eigentliche Timbre Bangalores erzählt vor allem von den Wellenlängen des neuen, modernen Indiens. Die hybride Kultur, von jeher ein Merkmal des multikulturellen Subkontinents, findet hier, am Treffpunkt von Studenten und Wissenschaftlern aus dem Punjab, Mumbay, Bengalen & Co eine ideale Basis auch zur kulturellen Entgrenzung vor. Wer einige Lektionen Hinglish pauken möchte, wie das noch vor kurzem oft belächelte Indian English genannt wird, darf hier, vor dem selbstbewussten Hintergrund der wirtschaftlich erstarkenden Nation, plötzlich einen erstaunlichen Wandel ausmachen:

Längst werden die, indischer Grammatik-Infusion geschuldeten sprachlichen Besonderheiten, sowie die liberalen Zugaben aus dem Urdu-, Hindi- oder Punjabi-Sprachschatz nicht mehr als Holprigkeiten aufgefasst, sondern als eigenständiges Idiom, in dem sich regionale Kultur endlich über die Prädominanz weißer Kolonial-Sprachlichkeit erhebt. Baljinder K. Mahals "The Queen's English" oder Binoo K. Johns "Entry From Backside Only", zwei jener aktuellen Bände, die in Bangalores Buchläden der aufstrebenden, neuen Sprache Tribut zollen, sind freilich auch ein geeignetes Rüstzeug um die profaneren Ebenen dieser Transkulturalität nachzuspüren - etwa dem Dampf von Bangalores Nachtleben. Etwas zumal für eine indische Stadt ganz und gar ungewöhnliches haben die, irgendwo zwischen Internet und Industal beheimateten Studenten Indiens westlichster Stadt da beschert. Barlichter in den Seitengassen, Afterwork-Drinks in trendigen Pubs wie dem Nasa hat das "Silicon Plateau" rund um die MG Road zu bieten - eine quer über den Subkontinents mit regem Interesse beobachtete Lifestyle-Attraktion. In der nahen Brigade Road kann man gar unter einem, von einem Netz aus LED-Lämpchen überspanntem Nachthimmel spazieren - die trendigen Boutiquen und Fastfood-Tempel dieser Shopping-Zeile könnten sich genauso gut in Miami oder Bangkok befinden.

"A lot can happen over a coffee" leuchtet einem wenige Schritte weiter entgegen - längst findet, kaum geht einem Hinglish ganz gelöst über die Lippen, mit Latte Macchiato und Brownies eine aktuellere Form der kulturellen Kolonialisierung Eingang. Dabei verraten Discos wie der "Spinn Club", dass in Bangalore noch viel mehr passieren kann. Bollywood Glamour - übrigens eine traditionelle Speerspitze wider die Kolonialsprachherrlichkeit - reibt sich hier am westlichen Labeldiktat. Und an der Tanzfläche sowieso.

Hautenge Jeans tragen die Mädchen zum traditionellen Choli-Oberteil, und die Jungen lümmeln mit der jeweils aktuellen Beckham-Frisur an der Designer-Bar. Der DJ kommt via Amritsar aus London und legt in dieser Nacht Bhangra-Pop auf. Takkatak-Dum. Die elektrisierenden, harten, schnellen Schläge des Punjabi HipHop - auch sie bestimmen heute die Frequenz dieser Stadt. (Robert Haidinger/DER STANDARD/RONDO/14.12.2007)