Wenn die Türkei ihre Operationen im Nordirak fortführe und den Druck gegen die DTP aufrecht erhalte, "dann kann es sein, dass sich die Anhänger von PKK und DTP vermischen. Dann wird der türkische Staat die Bevölkerung in die Berge treiben, in den Widerstand, statt hin zu einer politischen Lösung im Parlament von Ankara", so Emine Ayna.

Foto: Hendrich

Die DTP sei nicht die PKK, auch nicht der politische Arm, so die Ko-Vorsitzende der Kurdenpartei im türkischen Parlament. Doch: "Wir leugnen die PKK nicht, wir sehen sie auch nicht als eine Terrororganisation."

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Die Ko-Vorsitzende der kurdischen Demokratischen Gesellschaftspartei DTP, Emine Ayna, warnt im Gespräch mit Markus Bernath vor einem Verbot der Partei. Damit würde die PKK nur Zulauf erhalten.

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STANDARD: Die türkische Generalstaatsanwaltschaft will die DTP verbieten. Was wird der Kurdenpartei vorgeworfen?

Ayna: Die PKK hatte acht Soldaten der türkischen Armee im Irak als Geisel genommen. Sie wurden durch die Vermittlung von drei DTP-Abgeordneten frei gelassen und auf die türkische Seite gebracht. Das ist der Hauptvorwurf, der der DTP nun gemacht wird – sie habe Propaganda für die PKK betrieben. (Die kurdische Arbeiterpartei ist in der Türkei verboten, operiert derzeit vom Nordirak aus und steht in der EU auf der Liste der Terrorgruppen, Anm.)

STANDARD: Wie definieren Sie das Verhältnis Ihrer DTP zur PKK?

Ayna: Beide verlangen eine demokratische Lösung der Kurdenfrage und haben als Ziel eine demokratische türkische Republik. Das sind ihre Gemeinsamkeiten. Mit Ausnahme der DTP gibt es keine Partei in der Türkei, die die kurdische Frage in ihrem Programm erwähnt. Nicht einmal das Wort „Kurde“ steht in den Programmen der anderen Parteien. Der einzige Grund, warum die DTP in der Türkei der PKK gleich gestellt wird, ist, weil sie sich für die Kurden einsetzt. Menschen in der Türkei, die Sympathien für die PKK haben, wählen deshalb uns. Darüber hinaus haben wir keine Verbindungen zur PKK.

STANDARD: Und die Frage der Gewalt ist nicht wichtig für Sie?

Ayna: Was uns unterscheidet, ist, dass die PKK einen militärischen Kampf führt und wir gegen Krieg sind. Wir wollen eine Lösung der Kurdenfrage mit demokratischen Mitteln. Wir denken, dass eine Lösung auf diesem Weg auch die PKK beseitigen würde. Die DTP hat auch nicht nur die Kurdenfrage als Programm, sie beschäftigt sich ebenso mit Minderheitenfragen, wirtschaftlichen Problemen.

STANDARD: Versteht sich die DTP als politischer Arm, wie es Sinn Féin in Nordirland im Verhältnis zur IRA war?

Ayna: Das ist nicht zu vergleichen. Wir leugnen die PKK nicht, wir sehen sie auch nicht als eine Terrororganisation. Wir sind der Meinung: Wenn sich die PKK mit dem türkischen Staat zusammensetzt, lässt sich die kurdische Frage lösen. Aus diesem Grund stehen wir in einem gewissen Abstand zu beiden Seiten. Wir wollen sie zum Dialog bringen. Laufen die türkischen Operationen im Nordirak gegen die PKK aber weiter und bleibt der Druck gegen die DTP im Parlament aufrecht, dann kann es sein, dass sich die Anhänger von PKK und DTP vermischen. Dann wird der türkische Staat die Bevölkerung in die Berge treiben, in den Widerstand, statt hin zu einer politischen Lösung im Parlament von Ankara. Dass wir im Parlament sind, heißt nicht, dass sich die Türkei demokratisiert hat.

STANDARD: Das Argument lässt sich auch umdrehen: Die PKK schadet mit ihren Operationen im Irak gegen das türkische Militär den politischen Zielen der DTP im Parlament.

Ayna: Die PKK darf man nicht nur als politische Gruppe wahrnehmen, sie ist auch eine soziale Tatsache. Ich beschreibe sie Ihnen: Innerhalb der PKK gibt es Hunderte von Uni-Absolventen, es gibt Ärzte, Ingenieure, Architekten, es gibt Künstler, Musiker. Das sage ich Ihnen deshalb, um zu zeigen, dass diese Menschen nicht umsonst in die Berge gegangen sind. Dafür hat es einen Grund gegeben: Sie durften nicht frei ihre Meinung äußern, ihre Identität wurde ihnen aberkannt. So lange diese Gründe bestehen, so lange wird man diese Menschen auch nicht von den Bergen herunter bekommen. Dem zum Trotz hat die PKK fünfmal einen Waffenstillstand angekündigt – 1993, 95, 98, 2000 und zuletzt 2006. Der türkische Staat hat die Möglichkeit für eine politische Lösung nicht genützt, sein Gedanke war: Das ist der Zeitpunkt, wo wir ihre Köpfe zertrümmern können.

STANDARD: Die DTP teilt nicht den militärischen Weg der PKK, aber sie will ihn auch nicht verurteilen?

Ayna: Wir haben den EU-Abgeordneten jüngst bei einem Treffen gesagt, sie sollen uns eine Grundlage schaffen, wo wir die PKK kritisieren können. Diese Grundlage wäre gegeben, wenn die Identität der Kurden offiziell anerkannt wird, wenn sie ihre kulturellen und sprachlichen Rechte erhalten, wenn sie die Möglichkeit haben, ihre Gedanken frei zu äußern. Wenn es keine demokratischen Schritte in diese Richtung gibt, wie sollen wir dann an die PKK herantreten und ihr sagen, sie soll die Waffen niederlegen? Derzeit werden zum Beispiel im Westen der Türkei kurdische Geschäfte mit Steinen beworfen und geplündert. Wenn man von uns verlangt, dass wir die PKK kritisieren, dann muss man uns stärken. Die einzige Möglichkeit dafür sind demokratische Schritte zur Lösung der Kurdenfrage.

STANDARD: Sie würden nicht den einfachen Satz sagen: Wir distanzieren uns von Gewaltakten der PKK?

Ayna: Ich würde diesen Satz sagen. Aber man muss beide Seiten ansehen – die soziologischen Tatsachen auf der einen Seite, die Tatsache der Gewalt auf der anderen Seite. Setzt die PKK Gewalt gegen Zivilisten ein, können wir das nicht akzeptieren. Wir dürfen aber nicht vergessen, dass in der Türkei Gewalt von beiden Seiten eingesetzt wird. Wir akzeptieren auch nicht die Gewalt, die der türkische Staat einsetzt. Die PKK hat am 1. Dezember ein Friedensangebot gemacht mit sieben Punkten. Ein Punkt war für mich besonders wichtig: Die Bevölkerung soll sich versöhnen und gegenseitig Amnestie gewähren.

STANDARD: Regierungschef Erdogan hat eine Amnestie für PKK-Kämpfer in Aussicht gestellt. Präsident Gül meinte kürzlich in einem Interview, der Staat habe in der Vergangenheit Fehler gemacht im Umgang mit den Kurden. Sind das Signale, die Sie Ernst nehmen?

Ayna: Erdogan hat nicht über eine Generalamnestie gesprochen. Was er gemacht hat, war, von „Plänen“ zu reden, die er gemeinsam mit dem Militär habe. Dann haben die Medien zu spekulieren begonnen: Gibt es eine Amnestie, ein Angebot zur Rückkehr nach Hause, die Möglichkeit zur einer Reueerklärung? Und ich weiß nicht, wie Güls Interview hier in den Medien dargestellt wurde. Aber solche Aussagen haben Generäle im Ruhestand gemacht, bis sie mit einem Verbot belegt wurden. (Markus Bernath, Der Standard, 13.12.2007)