Das Kulturministerium hielt auf APA-Anfrage fest, "nicht über das Vorgehen des Wirtschaftsministeriums informiert" gewesen zu sein. Ministerin Claudia Schmied habe vor kurzem in einem Brief darauf hingewiesen, dass ihr Ministerium weitere intensive Gespräche auch mit der Stadt Wien in dieser Angelegenheit befürworten würde. Denn aus ihrer Sicht liege die "kulturpolitische Priorität eher beim Filmprojekt", sagte ein Sprecher der Kulturministerin.

"Drastischer lässt sich kulturpolitisches Versagen eigentlich kaum darstellen", meinte der Kultursprecher der Grünen, Wolfgang Zinggl, in einer Aussendung zur Entscheidung für das Sängerknaben-Projekt. "Wirtschaftsminister Bartenstein lässt bauen, und Kulturministerin Schmied unternimmt nicht einmal den Versuch, hier gegenzusteuern. Wieder einmal lässt sich die SPÖ von der ÖVP etwas aufs Aug' drücken und zwar auf Kosten der AnrainerInnen, der österreichischen Filmkultur und des Kulturlebens in Wien." Zinggl weiter: "Wer permanent Evaluierungskommissionen und Arbeitsgruppen einrichtet, ohne jemals Entscheidungen zu fällen, darf sich nicht wundern, wenn er von den Ereignissen überrollt wird."

Vereins Freunde des Augartens: Entscheidung eine "Katastrophe"

Nach Ansicht des Vereins Freunde des Augartens ist die Entscheidung zugunsten der Sängerknaben "eine Katastrophe". Es gebe "sehr viele Bewohner aus der Umgebung und Besucher des Augartens, die das definitiv" nicht wollen, erklärte die Obfrau des Vereins, Daniela Kraus, gegenüber derStandard.at. Es sei ein Leitbildprozess zugesagt worden. "Nun wissen wir, dass über uns drüber gefahren wird", so Kraus, die "massive Proteste" in Aussicht stellt.

Das Filmarchiv hatte für das Areal ein Filmkulturzentrum geplant, das u.a. zwei Kinosäle mit insgesamt 240 Plätzen, Ausstellungsflächen sowie eine Freiluftkino-Tribüne für das Sommerkino umfasst hätte. Im Frühjahr wurde sogar ein Sponsor dafür präsentiert: Das Ehepaar Ingrid und Christian Reder wollten mit ihrer Stiftung Orion den Bau des Projekts zur Gänze finanzieren - was rund sechs Millionen Euro kosten sollte.

Mailath-Pokorny: "Vergebene Chance" Der Wiener Kulturstadtrat Andreas Mailath-Pokorny hat am Montag die Augarten-Entscheidung zu Gunsten der Sängerknaben als "vergebene Chance" bezeichnet. Er nehme die Entscheidung von Wirtschaftsminister Martin Bartenstein zur Kenntnis, bedauere allerdings, dass sich nicht beide Projekte verwirklichen lassen.

"Auch wir haben uns eigentlich noch weitere Gespräche erwartet, nicht zuletzt angesichts unseres Angebotes einer anteiligen Finanzierung der Betriebskosten eines Filmkulturzentrums", so der Kulturstadtrat in einer Aussendung.

Hurch: "Nicht mit dieser Kaltschnäuzigkeit gerechnet"

"Total enttäuscht und eigentlich sprachlos" hat Viennale-Direktor Hans Hurch auf die Entscheidung gegen das Filmkulturzentrum und für den Konzertsaal der Sängerknaben im Wiener Augarten reagiert. "Wir haben gewusst, dass die Entscheidung vor Weihnachten fallen soll", meinte Hurch, "aber mit so einer Kaltschnäuzigkeit haben wir nicht gerechnet." Er bewertete die Entscheidung als "Endpunkt der politischen Unkultur, die zu diesem Projekt geführt hat". Wirtschaftsminister Martin Bartenstein habe lieber ein "Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende" forciert - "das ist die alte 'Speed kills'-Mentalität."

"Wir fühlen uns vor den Kopf gestoßen", sagte Hurch angesichts der Tatsache, dass die Projektentwicklung "nicht nur einfach abgekürzt, sondern abgeschnitten" wurde. Er zeigte sich überzeugt, dass "niemand mit dem Projekt glücklich wird - außer einigen Politikern und den Sängerknaben". Eines sei sicher: So schnell werde man keinen Sponsor mehr finden, der sich wie das Ehepaar Christian und Ingrid Reder als Mäzen für ein solches Projekt zur Verfügung stelle. Die Zumtobel-Tochter und ihr Mann hätten sechs Millionen Euro für das Filmzentrum bereitgestellt. "Bund und Stadt haben eine große Chance vertan."

Die Reaktion des Kulturministeriums, dass man "über das Vorgehen nicht informiert" gewesen sei, bezeichnete Hurch als "frivolen Zynismus". Ministerin Claudia Schmied hätte "ein dreiviertel Jahr Zeit gehabt, in irgendeiner Form Stellung zu beziehen oder sich für etwas einzusetzen", so der Viennale-Chef. "Die müssen sich jetzt gar nicht wundern."

Kieninger: "Neugierig auf Begründung"

Filmarchiv-Leiter Ernst Kieninger schlug in dieselbe Kerbe: "Es kann doch nicht sein, dass eine kulturpolitische Entscheidung nur im Wirtschaftsministerium getroffen wird." Wie man heute sehe, sei das kulturpolitische Engagement "eindeutig zu kurz gekommen".

"Ich bin sehr neugierig auf die Begründung, welches qualitative Moment für die Entscheidung ausschlaggebend war", so Kieninger. Hier sei es schließlich nicht nur um ein Bauprojekt, sondern um ein Stadtentwicklungsprojekt gegangen. Man habe sich bemüht, die Anrainer und Bewohner der Gegend in den politischen Prozess einzubinden, doch dieser Prozess sei nun "politisch totgemacht" worden. "Für uns ist das doppelt schade", so Kieninger. Einerseits habe man die demokratische Projektgenese sehr befördert, andererseits sei man auch mit der Finanzierung auf Augenhöhe mit dem Augartenprojekt gewesen. Und schließlich war es das Filmarchiv, das 2001 die Flächenwidmung erwirkt habe. "Die Sängerknaben sind erst später auf den Plan getreten."

SPÖ dagegen

Kritik an der Entscheidung kam am Montagnachmittag auch von der Wiener SPÖ. Noch vor eineinhalb Wochen sei bei der Auftaktveranstaltung zur Leitbilderstellung des Augartens vom Bund betont worden, einen gemeinsamen Weg gehen zu wollen. Dieser sei nun offenbar abrupt vom Wirtschaftsministerium beendet worden, erklärte der Vorsitzende des gemeinderätlichen Planungsausschusses, SP-Gemeinderat Karlheinz Hora, in einer Aussendung.

Ursprünglich sei geplant gewesen, die Leitlinien für den Augarten zu entwickeln und erst dann eine Entscheidung über ein Projekt am Augartenspitz zu fällen, so Hora. Fakt sei jedoch, dass der Bund Grundstückseigentümer sei. Und der Eigentümer ist berechtigt, Gebäude im Rahmen der Flächenwidmung und der Bauordnung zu errichten.

ÖVP dafür

Der nicht amtsführende Wiener VP-Stadtrat Norbert Walter begrüßte dagegen in einer Aussendung die Entscheidung: "Wien erhält damit ein neues Wahrzeichen, der Augarten bekommt eine weitere Kulturattraktion und ein Wahrzeichen moderner Architektur." Er betonte jedoch, dass ein behutsamer Umgang mit dem historischen Gelände Vorrang haben müsse: "Es ist mir ein Anliegen, dass die Bewohner der Leopoldstadt und der Brigittenau auch während der nun anstehenden Bauarbeiten keine Einschränkungen ihrer Lebensqualität erleiden müssen."

Grüne: "Verhöhnung der Bevölkerung"

Eine "Verhöhnung der Bevölkerung" sieht die Planungssprecherin der Wiener Grünen, Sabine Gretner. "Man kann nicht einerseits konstruktive Zusammenarbeit in einem Leitbildprozess einfordern und gleichzeitig vollendete Tatsachen in einem der Hauptkonfliktpunkte schaffen", hieß es in einer Aussendung. Gretner fordert, dass "keine weiteren Schritte, wie etwa Baugenehmigungen, Baumfällungen oder ähnliche vorbereitende Maßnahmen unternommen werden", andernfalls würde es "massiven Widerstand in der Bevölkerung geben".(APA/red)