Grünen-Chef Van der Bellen über seinen bürgerlichen Habitus: "Sie glauben nicht, wie wohl das einem Immigrantensohn tut, dass er wie ein indigen-aboriginaler Österreicher bei Arthur Schnitzler wirkt."

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Der Chef und sein heftigster Kritiker: Van der Bellen mit Voggenhuber in harmonischeren Zeiten.

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Kettenraucher Van der Bellen erfüllt sich einen Traum: vor acht Jahren als Trafikant für einen Tag.

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Shakin’ Van der Bellen: nach dem Wahlsieg 1999.

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Bei TV-Auftritten vergisst VdB oft die vorbereiteten Messages.

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Standard: Wer hat wen in zehn Jahren mehr verändert: Sie die Politik oder die Politik Sie?

Van der Bellen: Na klar habe ich mich verändert. Nach 30 Jahren im völlig anderen Biotop Uni musste ich mich schon umstellen: statt der Neutraliät bei akademischen Diskussionen die Meinungspropaganda der Parteien, statt Zuhören das systematische Weghören in der Politik. Ich bin nun härter und habe eine dickere Haut.

Standard: Sehr erfreulich klingt das alles nicht.

Van der Bellen: Weil die Universität halt das Schönste ist, was es auf dieser Welt gibt: Ich war mein eigener Herr, hatte eine unerhört privilegierte Position ohne Chefs und jeden Tag mit jungen, intelligenten Leuten zu tun. Das gibt’s sonst nirgends. Die Politik ist spannender, nervender und in meinem Fall auch wichtiger, ich bin ja kein Nobelpreisträger. Aber mein Herz wird immer ein bissl an der Uni hängen.

Standard: Was war die frustrierendste Zeit Ihrer Karriere?

Van der Bellen: Der Februar 2003, als sich eine Fortsetzung der Regierungsverhandlungen mit der ÖVP als sinnlos herausstellte. Der Abbruch war richtig, aber trotzdem eine große Enttäuschung.

Standard: Haben Sie daran gedacht, alles hinzuhauen?

Van der Bellen: Nein.

Standard: Glauben wir nicht.

Van der Bellen: Ich habe unlängst schon dem Nikolo von Ö3 erklärt: Ein Politiker kann nicht immer die ganze Wahrheit sagen. Das gehört zum G’schäft.

Standard: Wie haben Sie sich nach dem Tief aufgerappelt?

Van der Bellen: Weil ich, wie man im Englischen sagen würde, eine "mission" habe.

Standard: Und die wäre?

Van der Bellen: Halt einen Beitrag zu leisten, dass Österreich ein toleranteres, weltoffenes Land bleibt. Das hört sich jetzt nach genau diesem Pathos an, das einem an der Uni abgewöhnt wird. Aber Politik funktioniert halt auch über Herz und Bauch.

Standard: Wie jede vorherige Regierung kritisieren Sie auch Rot-Schwarz für die harte Fremdenpolitik. So gesehen ist Ihre Mission gescheitert.

Van der Bellen: Noch nicht, Stichwort Bleiberecht: Da hat sich auf den mittleren und unteren Ebenen viel verändert. Bis hin zur Freiwilligen Feuerwehr setzen sich Leute für Flüchtlinge ein. Wenig getan hat sich an der Spitze von SPÖ und ÖVP. Es ist zutiefst frustrierend, was die beim Fremdenrecht aufführen.

Standard: Der Unterschied zwischen Kanzler Gusenbauer und Vorgänger Schüssel?

Van der Bellen: Schüssel hatte alle Fäden in der Hand. Bei Gusenbauer frage ich mich, was er in der Hand hat – Fäden jedenfalls nicht. Keine Unterschiede sehe ich beim Ergebnis. Dieser skandalöse Umgang mit der Verfassung: Beim Asylgerichtshof wird der Rechtsstaat auf die Schnelle ausgehöhlt, dafür werden die Sozialpartner in der Verfassung verankert. Bei so einem Unsinn muss ich sagen: Im Vergleich zur SPÖ war ÖVP-Klubobmann Andreas Khol mit seinem Slogan "Speed kills" ein Lehrbub. Rechtsstaat und SPÖ – das ist die Lachnummer des Jahres!

Standard: Haben FPÖ und "Krone" punkto Ausländer die plausibleren Argumente?

Van der Bellen: Nein. Man muss dem Volk aufs Maul schauen, da hat der Luther recht gehabt, aber man darf ihm nicht nach dem Maul reden. Ich bin ja einer dieser Immigranten der zweiten Generation, die ständig unter Kriminalitätsverdacht stehen. Auch deshalb ist mir das Thema wichtig.

Standard: Die Grünen stimmen nun in den Chor von FPÖ und "Krone" gegen den Tschad-Einsatz ein. Warum?

Van der Bellen: Ganz so ist es nicht: Bis vor wenigen Wochen war ich für den Tschad-Einsatz. Weil er aufgrund der Menschenrechtssituation notwendig ist und es dafür ein UN-Mandat gibt. Nun habe ich aber arge Zweifel, ob das Bundesheer für den Einsatz ausreichend gerüstet ist.

Standard: Ohne Risiko wird sich eine Katatstrophe aber nie verhindern lassen.

Van der Bellen: Stimmt. Ich möchte aber festhalten, dass wir Grüne bisher bei allen Auslandseinsätzen mitgestimmt haben: in Bosnien, in Afghanistan und im Kosovo.

Standard: Keine Rückkehr zu bedingungslosem Pazifismus?

Van der Bellen: Nein. Bei Massakern wie Sebrenica und Völkermord wie Ruanda kann man nicht wegschauen. Bei Völkermord muss das Militär einschreiten, notfalls auch ohne UN-Mandat. Meine naiv-pazifistische Vergangenheit liegt schon lange zurück, als ich vor 40 Jahren für die Abschaffung des Bundesheeres eintrat. Das tue ich mittlerweile nicht mehr, ich war halt auch ein 68er.

Standard: Warum sind Sie später Kapitalist geworden?

Van der Bellen: Marktwirtschaft ist eine Effizienzmaschine, die unübertroffen ist, aber ökologisch blind und sozialpolitisch taub.

Standard: Ex-Finanzminister Ferdinand Lacina beschreibt Sie als tiefbürgerlichen Menschen, wie einem Schnitzler-Stück entsprungen.

Van der Bellen: Ich weiß einmal mehr, warum ich Lacina so mag. Sie glauben nicht, wie wohl das einem Immigrantensohn tut, dass er wie ein indigen-aboriginaler Österreicher bei Schnitzler wirkt.

Standard: Was schätzen Sie am Bürgerlichen?

Van der Bellen: Sekundärtugenden wie Pünktlichkeit, Höflichkeit, manchmal auch Etikette. Das hätte ich früher nicht geglaubt, aber je älter ich werde, desto mehr Sinn habe ich für gewisse Rituale.

Standard: Zum Beispiel?

Van der Bellen: Systematische Unpünktlichkeit ist systematische Unhöflichkeit gegenüber anderen, die ihre Zeit auch nicht gestohlen haben. Diesen Kampf habe ich zehn Jahre bei den Grünen geführt. Die sind mehr so anarchistisch, südeuropäisch veranlagt und scheinen alle ihre persönliche Zeitrechnung zu haben.

Standard: Haben Sie mit den Grünen jemals herumgebrüllt?

Van der Bellen: Bin ich fuchsteufelswild, werde ich eher kalt und schneidend.

Standard: Ein Eisschrank?

Van der Bellen: Schon auch untergriffig, aber nicht laut, sondern zischend.

Standard: In Demokratien dürfen Amtsträger oft nur eine begrenzte Zeit regieren, selbst Chávez und Putin. Besteht nach zehn Jahren im Amt nicht die Gefahr der Abgehobenheit?

Van der Bellen: Ja, die besteht.

Standard: Und wie wappnen Sie sich dagegen?

Van der Bellen: Indem ich Ihnen geduldig zuhöre, um zu erkennen, woran Sie diese Abgehobenheit festmachen.

Standard: Wir haben den Eindruck, dass die grüne Parteispitze interne Kritik vom Tisch wischt und nicht ernst nimmt.

Van der Bellen: Eine Sache fällt auch mir langsam auf: Wir sind eine zusammengeschweißte Gruppe, die sich kennt, schätzt und schützt. Das ist positiv, birgt aber die Gefahr, dass man sich nur mehr selber trifft. Ich nehme mir daher vor, mehr auswärtige Berater zuzuziehen.

Standard: Beim grünen Bundeskongress durfte der Kritiker Johannes Voggenhuber nicht ans Rednerpult, sondern bekam nur gnadenhalber drei Minuten ein Mikro gereicht. Gemahnt dieser Stil nicht eher an die russische Duma als an eine basisdemokratische Partei?

Van der Bellen: Ich würde auch sagen, das ist nicht optimal gelaufen. Andererseits kann es auch nicht so sein, dass uns Voggenhuber alles zumuten darf und wir ihm gar nichts.

Standard: Sprechen Sie noch Kaunertalerisch, Ihren Heimatdialekt?

Van der Bellen: Übersetzen Sie einmal "icha", "aucha", "aocha" und "aouncha". Das heißt hinein, hinauf, hinunter, hinüber. – Eine schöne Sprache. Nur leider geht sie verloren. (Gerald John und Nina Weißensteiner/DER STANDARD, Printausgabe, 10.12.2007)