Von Davor Konjikusic aus Zagreb, Sarajevo, Belgrad, Straßburg, Oslo, Stockholm, Kopenhagen und Helsinki

Foto: Abbe Libansky

Förderung junger Journalisten
„Balkan Fellowship for Journalistic Excellence“ ist ein Förderwettbewerb für Journalisten aus Südosteuropa, den die Erste Stiftung gemeinsam mit der Robert Bosch Stiftung und dem Balkan Investigative Reporting Network (Birn), Belgrad, durchführt. Medienpartner sind derStandard.at, DER STANDARD und die Süddeutsche Zeitung. Der Wettbewerb soll die Berichterstattung vor allem jüngerer Journalisten über europäische Themen und damit auch die Information der südosteuropäischen Öffentlichkeit verbessern. derStandard.at und DER STANDARD bringen nacheinander Auszüge aus den Arbeiten der Preisträger des Jahres 2007. Den Anfang macht Davor Konjikusic, der mit seinem Beitrag über die friedensstiftende Wirkung der Musik Platz drei errang. Er arbeitet als freier Journalist in Zagreb für kroatische und serbische Medien und ist unter anderem Autor des gefeierten Dokumentarfilms Dossier Osijek.

foto: balkan fellowship

„Einmal ein Freund, immer ein Freund – ich habe meine Freunde zuallererst über die Musik gefunden“, sagt Kebra alias Branislav Babic, Frontmann der serbischen Rockband Obojeni Program. „Die Frage nach der Nationalität ist in der Musik nicht besonders wichtig.“

Im Jahre 1991 jedoch fand sich Kebra in einer Situation wieder, wo die Volkszugehörigkeit unglücklicherweise alles bedeutete: als Serbe verrichtete er seinen Wehrdienst im nordkroatischen Vinkovci, geradewegs zu dem Zeitpunkt, als Jugoslawien in nationalen Feindseligkeiten unterging.

Die Beziehungen, die er als Musiker aufgebaut hatte, haben ihm das Leben gerettet. Eines Tages entdeckte er in der aufgebrachten Menge kroatischer Demonstranten und Polizisten auf der anderen Seite des Kasernentores ein freundliches Gesicht: Goran Bare, ein Kollege von der kroatischen Band Majke. Irgendwie gelang es den beiden, miteinander in Kontakt zu kommen. Noch in der folgenden Nacht kam Kebra mit Bares Hilfe an zivile Klamotten. Er sprang über den Zaum und floh zu Fuß nach Ungarn.

Kebra und seine Band treten heute wieder in Kroatien auf. Diese Tatsache wie auch das freundliche Feedback der Zuschauer zeigen, dass die kulturellen Stränge ungeachtet der Schwierigkeiten, die die gegenseitigen Beziehungen der ex-jugoslawischen Länder noch immer verpesten, nur schwer kaputt zu kriegen sind.

„Wenn man diese Angelegenheiten den normalen Leuten überlassen würde, würde alles glatt funktionieren“, kommentiert Kebra den wiederhergestellten Austausch zwischen Serbien und Kroatien. „Aber wenn man die ,Kultur’ den Politikern anvertraut, dann hängt sie auch von ihnen ab, und die finden immer einen Grund, den Lauf der Dinge zu behindern.“

Kurz nach Kebras Flucht aus Vinkovci wurde die Stadt von der Jugoslawischen Volksarmee zerbombt und ein Krieg entfesselt, der das gesamte ehemalige Jugoslawien von Kroatien bis nach Bosnien und später auch Serbien zerrissen hat, um Tod, Zerstörung und Vertreibungen mit sich brachte.

Durch ganz Jugoslawien wurden neue Staatsgrenzen gezogen, womit auch die Kulturszene zerschlagen wurde. Aber die alternative, pazifistische Szene versuchte, ihre Kontakte aufrecht zu erhalten. Nach einiger Zeit, als der Frieden wieder eingesetzt hatte, blühte die Zusammenarbeit allmählich wieder auf, und zwar nicht nur im Bereich der so genannten „Hochkultur“.

Heutzutage vollzieht sich die Zusammenarbeit mehr und mehr im Bereich des Mainstream. Die gemeinsame Sprache und vergleichbare Interessen sorgen sowohl bei Künstlern als auch bei Geschäftsleuten für entsprechende Gelegenheiten, ob es sich dabei um Avantgarde-Theater, preisgekrönte Filme oder Turbofolk-Musik handelt.

Ein intensiverer kultureller Austausch stößt zwar noch immer auf den Widerstand derjenigen, die die Isolation der Kriegsjahre beibehalten wollen. Trotzdem hoffen viele auf die Wiederauferstehung einer breit gefächerten Balkan-Kultur. Andere bevorzugen das skandinavische Modell, wo die unabhängigen, aber doch eng miteinander verkoppelten Staaten den Beweis erbringen, wie ein größerer, regionaler Kulturraum funktionieren kann.

Jenseits aller Ideologien bauen sie darauf, eine ähnliche Gemeinschaft auch auf dem Balkan zu entwickeln, um den Künstlern bessere Arbeits- und Verdienstmöglichkeiten zu schaffen und gleichzeitig die allmähliche Versöhnung der vom Krieg traumatisierten Volksgruppen voranzutreiben.

Ein gemeinsamer kultureller Markt wurde zerstört

„Es war schlichtweg nicht möglich, hier zu bleiben und nicht in der Mannschaft mitspielen zu wollen“, erinnert sich Rajko Grlic, einer der führenden kroatischen Filmregisseure. Er gehörte zu den vielen ex-jugoslawischen Künstlern, die unter dem kulturellen Versagen während des Krieges zu leiden hatten. Weil er die Zusammenarbeit mit seinen serbischen Kollegen an den Filmen Virdzina, wo er als Produzent fungierte, und Èaruga, bei dem er Regie führte, auch in den frühen 1990er Jahren fortsetzte, wurde er in Zagreb wurde zur persona non grata erklärt. Letztlich ging Grlic in die Vereinigten Staaten, um dort zunächst zu studieren und später auch zu lehren.

Damals hat sich nicht nur in Kroatien die Atmosphäre in der Kunstszene gewandelt. „Zur gleichen Zeit änderten, vor allem in Belgrad, ganz viele Menschen über Nacht ihre Meinung und wurden von Widerständlern gegen den Sozialismus zu Vertretern nationalistischer Einstellungen. Das war eine riesengroße Enttäuschung für mich“, blickt er zurück.

Den berühmten kroatischen Sänger und Songwriter Arsen Dediæ, im ehemaligem Jugoslawien seit den frühen 1960er Jahren ein Star, überkam damals dasselbe Gefühl. Als die Kriege in Kroatien und Bosnien tobten, versuchte Dedic, die Kontakte zu seinen Kollegen aus den anderen ex-jugoslawischen Republiken aufrecht zu erhalten. „Wie könnte ich je einen Freund aus Belgrad hassen, oder Kemal Monteno aus Sarajevo oder Slavo Dimitrov aus Mazedonien?“, fragt er sich heute.

Als 1995 der Frieden kam, machten diese Pioniere die ersten Schritte zur Wiederaufnahme engerer kulturellen Beziehungen. Doch es ging nur langsam voran. Die Hassgefühle zwischen den Völkern – Folge der zahlreichen Opfer während des Krieges – erwiesen sich als ernstes Hindernis. Der Prozess der Wiederherstellung interkultureller Kontakte beschleunigte sich erst nach 2000, als die nationalistische Hysterie des vergangenen Jahrzehnts einem toleranteren politischen Klima gewichen war.

Heute treten die großen Musikstars aus dem alten Jugoslawien wie Arsen Dedic aus Zagreb, Momeilo „Bajaga“ Bajagic aus Belgrad, Zabranjeno Pusenje aus Sarajevo und Goran Bregovic, Frontmann der 70er-Jahre-Band Bijelo Dugme, überall im ehemaligem Staat wieder vor vollen Hallen auf. Dabei handelt es sich nicht nur um ein nostalgisches Absingen alter Evergreens. Zeitgenössischen Bands geht es genauso, was den Schluss zulässt, dass es jenseits des kollektiven Gedächtnisses auch gemeinsame Interessen und Vorlieben gibt.

Wir haben etwas gemeinsam

Die populäre kroatische Rockband Hladno Pivo kann keine jugoslawische Abstammung vorweisen. Die Band tauchte erst auf, als Kroatien bereits unabhängig geworden war. Nachdem sie erste Erfolge in Slowenien verzeichnen konnte, wurde sie in Bosnien und Herzegowina zum Hit und schlußendlich auch in Serbien, wo sie 2001 zum ihr erstes Konzert gab. „Sobald wir die Möglichkeit hatten, dorthin zu gehen und unsere Musik zu spielen, haben wir es gemacht Genauso wie die Gruppen aus Serbien, die hierher kommen“, sagt Zoki, Leadgitarrist von Hladno Pivo.

Auch das Kino verfügt zunehmend über eine grenzüberschreitende Anziehungskraft, was der Belgrader Schauspieler und Produzent Zoran Cvijanovic auf ein ähnliches ästhetisches Empfinden und eine nahezu gleiche Sprache zurückführt: „Im Kern der Sache verstehen wir uns hier alle, und das ist das Wichtigste.“

Vor ein paar Jahren wäre der Austausch von Schauspielern zwischen Kroatien, Serbien und Bosnien undenkbar gewesen. Heute wirken sie in den Seifenopern und Filmen des jeweilig anderen Landes mit. In Kroatien wird Ogi, populärer Protagonist aus Ljubav u Zaleðu [Liebe im Hintergrund], einer der Fernsehserien mit den höchsten Einschaltquoten, von dem serbischen Schauspieler Nenad Stojimenovic gespielt.

Im Theaterbereich findet ebenfalls ein intensiver Austausch statt, vor allem bei den kleinen alternativen Gruppen. Genauso in der modernen Kunst, wo verschiedene Organisationen aus gemeinsamen Interessen heraus miteinander kooperieren. Drei Organisationen, KUDA.ORG aus Novi Sad, das Zentrum für Moderne Kunst in Sarajevo und das WHW [What, How & for Whom] – Kollektiv aus Zagreb, blicken bereits auf eine jahrelange Zusammenarbeit zurück. Vor kurzem haben sie mit ihrem gemeinsamen Projekt Zerstörung der Denkmäler für Furore gesorgt. Besondere Aufmerksamkeit wurde einem Werk unter dem Titel Denkmal an die Dose zuteil, eine ironische Anspielung auf die Lebensmittelhilfe, die zwischen 1992 und 1995 ins belagerte Sarajevo geschickt wurde.

Trotz der Isolation und gegenseitigen Vorurteile der letzten 17 Jahre, scheint es, als würde etwas Besonderes die Völker dieser benachbarten Länder miteinander verbinden. „Irgendjemand soll einmal behauptet haben, dass Kroatien die serbische Kultur jetzt genauso interessant findet wie die bulgarische“, bemerkt der kroatische Rockkritiker und Journalist Aleksandar Dragaš süffisant und ergänzt knapp: „Ich glaube das nicht.“

Das wird auf dem jährlich stattfindenden Exit-Musikfestival im nordserbischen Novi Sad deutlich. Seit seiner Gründung im Jahre 2000 ist es zu einem Treffpunkt der Nachkriegsgeneration geworden, wo man gegenseitige Vorurteile schnell abbauen kann. Inzwischen ist es ganz normal geworden, dass auf dem Busbahnhof von Novi Sad die Fahrgäste ihren Bus nach Zagreb aufhalten, weil sie den neu gefundenen serbischen Freund oder die neu gefundene serbische Freundin zum Abschied noch einmal kräftig küssen müssen.

„Zuerst habe ich meinen Eltern nicht gesagt, dass ich nach Serbien fahre“, erzählt Mirta, Studentin aus Zagreb, wenn sie über ihre erste Fahrt zum Exit-Festival spricht. „Heute ist alles o.k. Sie wissen jetzt, dass ich die letzten drei Jahre zum Festival nach Novi Sad gefahren bin. Als ich ihnen erzählt habe, wie viele junge, anständige Menschen ich dort kennen gelernt habe, haben sie sich beruhigt.“

Durch den Aufenthalt während des Exit-Festivals ist bei Mirta das Interesse für Serbien wach worden. „Nächstes Jahr gehe ich zum Trompetenfestival in Guca”, fährt sie fort und meint damit den traditionellen Blasmusikwettbewerb in Westserbien, eine völlig andere Kategorie. „Alles ist hier so neu, so exotisch für uns“, erklärt sie.

Das Geld zählt

Exit ist ein gutes Beispiel, wie pragmatische Geschäftskontakte auf der Grundlage kultureller Ähnlichkeiten und eines gemeinsamen linguistischen Verständnisses aufgebaut werden. Mit anderen Worten: die abgebrochenen Kontakte sind auf der Suche nach größeren Märkten und besseren Wirtschaftsbeziehungen wieder aufgebaut worden.

Zu denjenigen, die diese Tatsache als erste begriffen haben, gehören die Filmemacher aus den ehemaligen jugoslawischen Republiken. Sie haben festgestellt, dass es sich einfacher miteinander als mit Kollegen aus dem Ausland arbeiten läßt. Mit der starken Zunahme von Koproduktionen haben sich die Möglichkeiten verbessert, Rollen adäquat zu besetzen, da man auf ein größeres Reservoir an Schauspielern und Schauspielerinnen zurückgreifen kann. Die Ähnlichkeit der Sprachen macht Untertitel oder eine Synchronisation überflüssig und bündelt Kräfte, um höhere Budgets zu aquirieren.

„Alle haben sich sofort an slowenisch-kroatischen, mazedonisch-slowenischen und kroatisch-serbischen Koproduktionen beteiligt, und überall wurden die finanziellen Mittel für diese Projekte aufgebracht", erinnert sich der mehrfach ausgezeichnete kroatische Regisseur Vinko Brešan.

Ein Prestigebeispiel ist der 2006 von Grlic gedrehte Karaula [Der Grenzposten], eine zwischen fünf von sechs ehemaligen jugoslawischen Republiken koproduzierte Komödie, deren Handlung auf einem Stützpunkt der Jugoslawischen Volksarmee an der Grenze zu Albanien vor dem Krieg angesiedelt ist. Um eine Ko-Finanzierung durch den europäischen Filmfonds Eurimages zu erhalten, musste Karaula ein Projekt zwischen mindestens drei Staaten sein. Auf dieser Grundlage schlossen sich Produzenten aus Kroatien, Slowenien und Mazedonien zusammen. Aber damit nicht genug: Serbien und Bosnien gesellten sich später ebenfalls dazu.

„Bosnien und Herzegowina, Kroatien und Serbien besitzen einen großen Vorteil: wir brauchen beim Verleih unserer Filme keine Untertitel“, sagt Bresan und fügt hinzu: „Irgendwie stellte sich das ganze für die Filmindustrie als gemeinsamer Markt dar, und logischerweise hat sich daraus etwas entwickelt.“

Die öffentlichen Reaktionen bestätigen diese Einstellung. Einheimische Produktionen wie Karaula und Bresans Svjedoci [Die Zeugen], ein Kriegsfilm, der 2004 auf den Berliner Filmfestspielen mit dem Friedensfilmpreis ausgezeichnet wurde, sind bei den Zuschauern auf dem Balkan auf besonderen Zuspruch gestoßen.

Ein vergleichbares Marktpotential ist auch in der Musikszene zu finden. Der weltweite Medienriese MTV lancierte im Jahre 2005 seine Sparte MTV Adria, die in alle sechs ex-jugoslawischen Republiken gesendet wird, ein Markt von etwa 20 Millionen Zuschauern. Auch die örtlichen Musiksender haben damit begonnen, ihre Präsenz auf die gesamte Region auszuweiten, darunter die in Serbien angesiedelte MTS [Music Television Station] und der serbische Privatsender TV Pink.

Letzterer wurde besonders durch seine Grand Show bekannt, einem extravaganten Turbofolk-Spektakel, wo leicht bekleidete, oft chirurgisch geliftete Schönheiten einfache, gefühlsbeladene Texte mit einem Schuss Erotik zum Besten geben.

Obwohl Turbofolk ein serbischer Volksmusikverschnitt ist und allgemein mit serbischem Nationalismus in Verbindung gebracht wird, gewinnt diese Stilrichtung, folgt man dem Rockkritiker Aleksandar Dragas, auch in Kroatien immer mehr an Popularität. Dragas Blatt, die Zagreber Tageszeitung Jutarnji List, hat dazu eine Meinungsumfrage durchgeführt. „Die Umfrage hat ergeben, dass 43% Prozent der insgesamt 1000 Befragten …Turbofolk hören", führt Dragaš aus.

Ironischerweise kam diese Mischung aus serbischer Volksmusik, Popsongs und orientalischer Musik in den 1990er Jahren, während Regimes von Slobodan Milosevic, in Mode. Die bislang größte Turbofolk-Diva, Svetlana „Ceca“ Raznatovic, ist die Witwe des berüchtigten Paramilitärs Zeljko Raznatovic alias „Arkan“.

Ungeachtet dieser Herkunft und ohne Schützenhilfe durch die Medien hat sich das Genre überall in der Region etablieren können, einschließlich Bosnien, Kroatien, Slowenien und sogar dem Kosovo.

Der Manager eines Turbofolk-Clubs in Zagreb bestätigt, dass es dabei vor allem darum geht, Kasse zu machen. „Heutzutage geht es nur ums Geld, und im Turbofolk steckt eine Menge Geld", bemerkt er spitz und ergänzt: „Es spielt dabei keine Rolle, wer oder was sie [die Sängerinnen] sind, die Kroaten sind dafür Feuer und Flamme."

Nicht jeder ist ein Turbofolk-Fan

Die Popularität dieser Musikrichtung ist außerhalb Serbiens, vor allem in Kroatien, noch von bangen Assoziationen aus der Vergangenheit geprägt. Obwohl Cecas Lieder aus vielen Nachtclubs und Cafés dröhnen, ist es praktisch unmöglich, dass diese Sängerin in Kroatien ein Konzert gibt.

Eine Tatsache, die für die Journalistin Natasa Bodrozic beweist, wie weit die kulturelle Annäherung zwischen den ehemaligen Kriegsgegnern noch voranschreiten muss. "Es gibt einige sporadische Beispiele kultureller Zusammenarbeit, aber keine wirklichen Brücken", behauptet sie.

Sie erläutert, dass die Medien hinter dem Geschmack ihres Publikums hinterherhinken. Während kroatische Hits überall in Serbien und Bosnien zu hören sind, habe "kein kroatischer Rundfunksender serbische Lieder aus dem Eurovision Song Contest gespielt, etwa Molitva [Das Gebet], dem Überraschungssieger von 2007, oder Lane Moje [Mein Schatz], dem Zweitplatzierten von 2005".

Widerstand gegen die kulturelle Zusammenarbeit kommt aus vielen Lagern, von politischen Parteien, Kriegsversehrten und Veteranenvereinen, aber auch von den Künstlern selbst.

Zoki von der Band Hladno Pivo verleugnet weder die Existenz dieses Widerstandes, noch spielt er dessen Gründe herunter. „Die Menschen haben während des Krieges große Not gelitten und verloren ihre Nächsten. Deswegen kann ich diejenigen, die etwas gegen Auftritte serbischer Bands in Kroatien haben, verstehen", bekennt er.

Eine von denjenigen ist die kroatische Schauspielerin Vitomira Loncar, die seit dem Krieg nicht mehr in Belgrad gewesen ist, obwohl sie dort einst sehr beliebt war. "Ich erinnere mich ganz genau, dass während des Krieges und auch danach keiner meiner Kollegen aus Belgrad versucht hat, mit mir Kontakt aufzunehmen“, erinnert sie sich. "Sie haben sich nie danach erkundigt, wie wir uns in den Luftschutzkellern gefühlt haben und ob wir etwas brauchten."

Snježana Banoviæ Dolezil, ehemalige Chefdramaturgin am Kroatischen Nationaltheater, sah sich 2002 sogar gezwungen, ihre Stelle zur Disposition zu stellen, nachdem es eine Gruppe Schauspieler abgelehnt hatte, an einer in Belgrad geplanten Aufführung teilzunehmen. Ein Teil von ihnen meinte, sie würden sich nicht vor Zuschauern verbeugen, von denen einige vielleicht ihre kroatischen Mitbürger ermordet haben.

Die anderen werfen den politischen Eliten vor, die kulturelle Zusammenarbeit auf ihre Fahnen zu schreiben, den Worten aber nur selten Taten folgen zu lassen. Das WHW-Kollektiv, durch das künstlerische Hinterfragen nationaler Mythen bekannt geworden, macht den Grund für die sanftere Rhetorik der gegenwärtigen Politikerkaste vor allem in dem Bedürfnis aus, in die Europäische Union zu kommen.

"Dass wir offiziell mit Vergangenheit gebrochen haben, ist Folge dieser großen Besessenheit mit der EU, die man als Weg in eine glänzende Zukunft sieht", meint WHW-Kuratorin Sabina Sabolovic: "Rein äußerlich zeigt dieser Prozess der Normalisierung ein freundliches Antlitz, aber die ganzen Geschichten, die dahinter stehen, sind noch nicht richtig aufgearbeitet. Wir haben es noch immer mit vielschichtigen Formen der Intoleranz zu tun.“

So wird das Kroatische Kulturministerium dafür kritisiert, einen zu großen Teil seines Haushalts für die Erhaltung des archäologischen und nationalen Erbes auszugeben, während für Kulturprojekte, die keinem explizit „nationalen“ Inhalt folgen, nur geringe Beträge vorgesehen sind.

Nach Irena Guidikova, Mitarbeiterin des Generaldirektorats für Kultur beim Europäischen Rat, sind solche Zwickmühlen typisch für alle Länder im Übergang. „[Sie], und insbesondere die postkommunistischen Gesellschaften, haben Schwierigkeiten damit, … ein Gleichgewicht zwischen ihren Investitionen in den Erhalt des Kulturguts einerseits und der Förderung kreativer Prozesse und moderner Kunst anderseits zu halten", bemerkt sie.

Bosnien ist in dieser Hinsicht mit einem spezifischen Dilemma konfrontiert, wurde doch in den Nachkriegsabkommen die während des Krieges erfolgte Aufteilung der Republik in zwei Zonen – den serbischen und den vornehmlich von den Bosniaken und Kroaten bewohnten Teil – bekräftigt. Die unterkühlten Beziehungen zwischen den beiden Entitäten, der Serbischen Republik und der Föderation, gehen mit einer staatlichen Kulturdefinition einher, die von so genannten „nationalen" Themen dominiert wird.

Nach Dunja Blazevic, Direktorin des Bosnischen Zentrums für Moderne Kunst, lassen solche Umstände kaum noch Raum für weniger offen nationalistische Kunstformen. "Außer im Filmbereich zeigt unser Bundesministerium kein Interesse an moderner Kunst", beklagt sie. Die nationalen Museen und Galerien würden vernachlässigt, "weil sie vom ehemaligen Staat gegründet wurden. In der Föderation findet sich derzeit keine Institution, die sich um sie kümmern möchte."

Die ethnischen Spaltungen in Bosnien und die Erfahrungen des Kriegs beeinflussen auch das Wechselspiel zwischen bosnischen Künstlern und dem benachbarten Serbien und Kroatien. Nach Faruk Sehic, einem Vertreter der Neuen Welle der bosnischen Literatur und Mitglied der so genannten Kriegsgeneration, ist das Publikum in Zagreb der bosnischen Kultur gegenüber aufgeschlossener als das in Belgrad.

Die Reaktionen auf den 2005 preisgekrönten Film Grbavica von der bosnischen Regisseurin Jasmila Zbanic mögen dafür als Beispiel dienen. Die Geschichte über eine der etlichen bosnischen Frauen, die während des Krieges von serbischen Soldaten vergewaltigt wurden, wurde international gefeiert und gewann auf den Berliner Filmfestspielen den Goldenen Bären. In Serbien hat der Streifen aber noch keinen Verleih gefunden, obwohl in der weiblichen Hauptrolle mit Mirjana Karanovic sogar eine serbische Schauspielerin zu sehen ist.

Karanoviæ weigert sich, diese Tatsache politisch zu werten. „Es gibt einen politischen Hintergrund, aber ich bin mir nicht sicher, ob er das einzige Motiv ist“, sagt sie: „Was ich ganz sicher sagen kann, ist, dass in Serbien niemand über die Erfolge berichtet hat, die ich mit diesem Film hatte … Und was nicht in der Zeitung steht, das gibt es auch nicht."

Milena Dragicevic Sesic, Direktorin der Belgrader Kunstschule und eine der exponiertesten Kulturexpertinnen in der Region, äußert sich weniger verhalten. Sie schreibt dieses und andere Beispiele kultureller Ausschlussmechanismen „Menschen mit persönlichen Minderwertigkeitskomplexen“ zu, „die in einem größenwahnsinnigen Szenario zu Hause sind – dem Mythos der serbischen Kultur. Das sind die Menschen, die in allem und jedem eine Bedrohung sehen."

Lektionen aus Skandinavien

Zoki von der Rockband Hladno Pivo fordert, dass die Nationen des ehemaligen Jugoslawien von ihrem Konzept der ererbten Schuld abrücken, um den Weg zur Versöhnung frei zu machen. „Man kann nicht ein ganzes Volk für die Verbrechen seiner Regierung vor 10 oder 15 Jahren verantwortlich machen“, ergänzt er.

Er ist der Meinung, dass die Künstler aus dem ehemaligen Jugoslawien von Präzedenzfällen in anderen Teilen Europas lernen können, wo man vor einiger Zeit ähnliche Schwierigkeiten zu überwinden hatte.

Manche ex-jugoslawische Künstler zeigen sich vom Kultur-Fernsehkanal ARTE begeistert, der 1992 gegründet wurde, um die Differenzen zwischen Frankreich und Deutschland zu überbrücken – zwei Länder, die seit 1870 dreimal miteinander Krieg führten, heute aber das Rückgrat der Europäischen Union bilden.

ARTE-Pressesprecher Michael Strier meint, dass die Station letzten Endes Beispielfunktion für ganz Europa hat: „Wir versuchen, den Menschen dabei zu helfen, die jeweils andere Kultur zu verstehen und zu schätzen. Wenn man keinen Respekt für seinen Nachbarn hat, kann man auch nicht mit ihm zusammenleben."

Rajko Grlic dagegen bezeichnet das skandinavische Modell als wegweisend für die Zukunft der ex-jugoslawischen Republiken. Finnland, Dänemark, Schweden und Norwegen blicken auf eine schwierige, von Kriegen und Feindseligkeiten geprägte, gemeinsame Geschichte zurück. Dennoch haben sie in den letzten Jahrzehnten viele Mechanismen entwickelt, um gemeinsame Unternehmungen, Maßnahmen und ihre Kulturpolitik aufeinander abzustimmen.

Per Svenson vom Schwedischen Kunstrat drückt das so aus: „Die kulturelle Zusammenarbeit zwischen den nordischen Staaten ist wichtig, weil wir so viele Gemeinsamkeiten haben. Wir vertreten kleine Sprachen am Rande Europas, wir teilen Geschichte und Traditionen – und natürlich ist es wichtig, gute Beziehungen zu den Nachbarn zu haben."

Damit ist auch Saha Hannu, sein Kollege vom Finnischen Kunstrat, einverstanden: „Die gegenwärtigen Kulturkooperationen zwischen den nordischen Ländern sind sehr gut aufeinander abgestimmt, mit regelmäßigen Treffen der Bildungs- und Kulturminister, vielen Fonds für kulturelle Aktivitäten und einer sehr aktiven, direkten Zusammenarbeit zwischen Künstlern und Kulturinstitutionen." Nach Hannu ist „diese Kooperation nicht nur wichtig, sondern völlig normal“.

Für Cvijanovic ist das nordische Beispiel ein Hoffnungsschimmer, da die Länder Skandinaviens „ähnliche geschichtliche Erfahrungen wie die Balkanländer haben". Er ergänzt: „Ich sehe das auch für uns als Modell, denn auch wir haben viele Länder auf kleinem Raum."

Grlic teilt diese Ansicht: „Es gibt große Ähnlichkeiten mit den skandinavischen Ländern. Es ist schwierig, einen dänischen Film zu finden, der nicht mit schwedischer oder norwegischer Beteiligung gedreht wurde. Ungeachtet ihres Reichtums, versuchen sich kleinere Staaten miteinander zu verbünden und den von den so genannten gefühlsmäßigen Übereinstimmungen geprägten geografischen Raum als gemeinsamen Markt zu begreifen.“

Noch nicht zum nordischen Modell bereit

Die Nachfolgestaaten des ehemaligen Jugoslawien haben noch einen weiten Weg vor sich, ehe sie die elementaren Grundlagen für ein solches Niveau der Kooperation erreichen. Das Recht am geistigen Eigentum zum Beispiel steht in der gesamten Region noch zur Verhandlung an, während die Piraterie weiterhin ein ernsthaftes Problem darstellt.

Skandinavien hat für diese Fälle länderübergreifende Verordnungen entwickelt, die vom Staat, Zivilgesellschaft, Fachverbänden und privaten Stiftungen gemeinsam ausgearbeitet wurden. Dazu kommt die Frage der Dezentralisierung. Viele nordische Kommunen verfügen über ähnlich hohe Budgets für Kulturprojekte wie der Staat. Die Balkanländer sind weit von solchen Regelungen entfernt.

Tomas Bokstad vom Schwedischen Kulturministerium ist der Meinung, dass das nordische Modell der kulturellen Kooperation nichts Besonderes ist. "Wenn man das neue System der Kulturförderung in den skandinavischen Ländern genauer betrachtet, sieht man, dass es durchaus auf andere Teile Europas und darüber hinaus übertragbar ist", sagt er.

Ein wesentliches Moment des erfolgreichen schwedischen Kooperationskurses ist, so Per Svenson, eine Politik, die nicht eine „schwedische Kultur" per se in den Mittelpunkt stellt: „Die nationale Kulturpolitik unterstreicht die Bedeutung des Internationalismus und der Verschiedenheit.“ Deswegen funktioniere, trotz der konfliktreichen Vergangenheit, „die Zusammenarbeit zwischen Schweden und Dänemark perfekt, sowohl innerhalb der gemeinsamen nordischen Kulturpolitik wie auch anderswo."

Obwohl zwischen Kroatien, Bosnien und Herzegowina und Serbien bereits einige kulturelle Kontakte entstanden sind, besteht kein Zweifel, dass auch die Regierungen und Fachverbände das natürliche gegenseitige Interesse und die linguistischen Übereinstimmungen zum Anlaß nehmen sollten, die Kräfte des Marktes zu unterstützen.

Ohne eine derartige Unterstützung, so Milena Dragicevic-Sesic, bleibt die Zusammenarbeit „individuellen Initiativen" überlassen, die „trotz ihrer Nachhaltigkeit kaum etwas am Gesamtbild ändern können."

Sie bleibt jedoch optimistisch, dass der Prozess der Zusammenarbeit an Geschwindigkeit gewinnen und schließlich helfen wird, die Wunden des Krieges zu heilen, mit denen die Region auf Abstand von Europa gehalten wird. Sogar Skeptiker heben die Schlüsselposition der Kultur hervor, wenn es um die allgemeine Überwindung starrer Haltungen geht. Ehemaligen Feinden sowie Opfern auf beiden Seiten bietet sie ausreichend Gelegenheit, Ängste und Vorurteile im Spiegel des jeweils anderen zu mäßigen.

„Objektiv gesagt, glaube ich, dass die Kultur eine positive Rolle im Versöhnungsprozess spielen kann. Das gehört sicherlich auch zu den wichtigsten Aufgaben der Kultur“, sagt Vitomira Loncar. „Vielleicht können unsere Kinder, die nicht mit unserer bitteren Erfahrung belastet sind, in dieser Hinsicht eine andere Perspektive entwickeln.“ (Davor Konjikusic)