"Wir hatten im Jugendgerichtshof nie mehr als ein bis zwei Mann in der Zelle. Jetzt in der Josefstadt sind sie zu sechst, zum Teil noch mehr. Sie sind stundenlang alleine und es spielt sich einiges ab."

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"Jugendliche auf die richtige Bahn bringen." Das soll die Aufgabe des neuen Jugendgerichtshofes sein, sagt Udo Jesionek, der ehemalige Präsident des Jugendgerichtshofes, im Interview mit derStandard.at.

2002 wurde der Jugendgerichtshof unter Minister Dieter Böhmdorfer abgeschafft, die jetzige Justizministerin Maria Berger will ihn ab Ende 2010 wieder einführen. Jesionek bewertet das positiv: "Wenn man sich um die Jugendlichen kümmert, kann man viel bewirken." Die Fragen stellte Rosa Winkler-Hermaden.

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derStandard.at: Sie sind sicher froh darüber, dass es spätestens Ende 2010 den neuen Jugendgerichtshof geben soll. Warum ist ein eigener Gerichtshof für Jugendliche so wichtig?

Jesionek: Der Vorteil des Jugendgerichtshofes ist, dass man im Team versuchen kann - wir hatten zuletzt 16 Richter, 10 Sozialarbeiter, 4 Psychologen, 2 Pädagogen - Probleme vernünftig anzugehen.

Zwischen Juristen und Sozialarbeitern gibt es normalerweise immer Reibungen. Im Jugendgerichtshof war es nicht so. Dort arbeitet man zusammen, geht zusammen Mittagessen, macht zusammen Betriebsausflüge. Die Richter akzeptieren die Fachkompetenz der Sozialarbeiter und die Sozialarbeiter akzeptieren die Entscheidungskompetenz der Richter.

derStandard.at: Wie kann eine solche Zusammenarbeit konkret aussehen?

Jesionek: Ich bringe ein Beispiel: Ein 16-Jähriges Mädchen wird eingeliefert, schwer drogenabhängig, beteiligt an Raubüberfällen. Normalerweise würde sie eingesperrt werden. Aus. Aber was macht der Jugendgerichtshof? Man setzt sich zusammen und überlegt: Wie kann man es schaffen, dass sie von den Drogen wegkommt? Wo kann man sie unterbringen? Gibt es im Grünen Kreis (Anm.: Verein zur Rehabilitation von suchtkranken Personen) einen Platz? Das alles wird organisiert und man kann dem Mädchen sagen, du sparst dir die Haft, wenn du freiwillig zwei Jahre zum Grünen Kreis gehst.

derStandard.at: Jugendliche werden momentan also zu oft ins Gefängnis gesteckt?

Jesionek: 95 Prozent der Jugendlichen, die vor Gericht kommen, haben irgendwelche Probleme. Man muss sie wieder auf die richtige Bahn bringen. In schwerwiegenden Fällen müssen sie eine Zeit lang sitzen, das ist klar. Da kann man nichts machen.

derStandard.at: Was machen die Jugendrichter bei der Rechtssprechung anders als die "normalen" Richter?

Jesionek: In jeder Branche gibt es Spezialisten. Jugendrichter haben intensive Fortbildungen und müssen sich für die Jugendlichen interessieren. Kenntnisse aus Psychologie, Psychiatrie und Pädagogik sind Vorrausetzung. Das steht sogar im Gesetz.

derStandard.at: Wie schlimm ist die jetzige Situation für jugendliche Straftäter?

Jesionek: Wir hatten im Jugendgerichtshof nie mehr als ein bis zwei Mann in der Zelle. Jetzt in der Josefstadt sind sie zu sechst, zum Teil noch mehr. Sie sind stundenlang alleine und es spielt sich einiges ab. Die jungen Straftäter sitzen mit sehr schweren Burschen zusammen in einer Zelle. Vergewaltigungen stehen auf der Tagesordnung.

Uns ist es im Jugendgerichtshof gelungen, viele Jugendliche zum Hauptschulabschluss zu bringen. Ohne einen positiven Pflichtschulabschluss hat man ja keine Chance auf eine Lehrstelle.

Wenn man sich um die Jugendlichen kümmert und auch genügend Lehrer hat, kann man viel bewirken. Wir haben einige Häftlinge bis zu Matura gebracht.

derStandard.at: 2002 sind Sie vor Ihrem "zerstörten Lebenswerk" gestanden, als der Jugendgerichtshof unter Justizminister Böhmdorfer abgeschafft wurde. Argumentiert wurde mit Einsparungen.

Jesionek: Böhmdorfer hat aber nicht nur den Jugendgerichtshof kaputt gemacht, er hat die Bewährungshilfe eingeschränkt, er hat in den Anstalten Psychiater, Psychologen abgezogen - weil es zu teuer für ihn war.

Er wollte sparen - aber auf Kosten der Jugend. Man kann auch jedes Kinderspital zusperren und die Kinder auf die Chirurgie legen. Natürlich ist ein Kinderspital teurer, aber sinnvoll.

derStandard.at: Ich merke, Sie sind nicht sehr gut auf den damaligen Justizminister Böhmdorfer zu sprechen. Was halten Sie von der jetzigen Justizministerin Maria Berger?

Jesionek: Maria Berger ist sehr engagiert und kommt vom Fach, sie ist Juristin. Sie kontaktiert sehr viele Leute bevor sie Entscheidungen trifft und traut sich auch gegen den öffentlichen Wind vernünftige Sachen durchzusetzen.

derStandard.at: Was werfen Sie in der Diskussion um die Ab- und jetzt wieder Anschaffung des Jugendgerichtshofes der ÖVP vor?

Jesionek: Ich werfe keiner Partei etwas vor, aber ich habe den Eindruck, dass die ÖVP manchmal Probleme damit hat, zuzugeben, dass es ein Fehler war, den Jugendgerichtshof abzuschaffen. Jetzt ist die ÖVP offenbar dafür. Über die organisatorischen Uneinigkeiten kann man noch sprechen. Wichtig ist, dass die Einheit da ist. (derStandard.at, 29.11.2007)