Wer ist schuld? Nach dem Misshandlungstod des kleinen Luca ist das derzeit die am häufigsten gestellte Frage. Die Antwort scheint den meisten klar zu sein: Die Behörden waren's, weil sie ärztliche Warnungen in den Wind geschlagen, Auflagen nicht richtig kontrolliert haben. Schon untersucht die Staatsanwaltschaft - richtig und wichtig - , schon rüstet in Niederösterreich ein Landesverantwortlicher zur Gegenwehr, gibt neue Anordnungen heraus: Eine Auflage an Problemeltern allein reicht nicht aus, es muss gegebenenfalls nachtelefoniert werden. Mit Verlaub: Das müsste doch selbstverständlich sein. Die Sache riecht sehr nach Scheinaktivität, nach einem hektischen, aber ratlosen Versuch, zumindest irgendeine Handlung zu setzen.

Vielleicht wäre es stattdessen besser, sich die Ratlosigkeit vorerst einmal einzugestehen, um sich des Problems in vollem Umfang bewusst zu werden: Da setzen Erwachsene mit schweren Gewaltproblemen offenbar alles daran, "normal" und "harmlos" zu wirken - und es gelingt ihnen, diesen Schein Sozialarbeitern gegenüber aufrechtzuerhalten. Da stellen Ärzte an einem Kleinkind Verletzungen fest, die durchaus auf Misshandlungen zurückgeführt werden können. Doch zu dem scharfen Einschnitt des Kindesentzugs ringen sich die Zuständigen dann doch nicht durch. Wohl aus Angst, einen Fehler zu machen und sich später Vorwürfe gefallen lassen zu müssen, voreilig gehandelt zu haben.

Die Entscheidungsgrundlagen also sind unsicher, die Risiken für das betroffene Kind immens - wie man am Fall Luca sieht. Was außer gründlicherer Betreuung von Problemeltern könnte hier helfen? Dass das mehr Posten, mehr Geld kosten würde, ist klar. Aber nur so kann die Frage beantwortet werden, die in die Zukunft weist: Was hätte Luca das Leben retten können? (Irene Brickner/ DER STANDARD Printausgabe 12.11.2007)