Die typischen Holzbalkone in La Palma.

Foto: Tourismus La Palma

Es ist früher Winter und mild. Rupert-Arthur Dillmann sitzt auf der Terrasse seines alten Hauses über den Dächern von Santa Cruz, der Hauptstadt der kanarischen Insel La Palma, und lacht. Er erzählt von seiner Zeit als Hotelier in Berlin und dem Moment, als er mit seinem Partner Thomas vor dreizehn Jahren eher zufällig auf der Insel ankam. Was ihnen besonders gefiel: Es war das Klima, überraschenderweise gerade deshalb, weil es so ähnlich wie in Deutschland sei – "auch mal Regen." Santa Cruz, an der Ostseite der Insel La Palma gelegen, ist eine Stadt, die nicht permanent im Sonnenlicht liegen muss.

Zimt, zweistöckig

Rupert Dillmanns Haus steht im San-Sebastian-Viertel, das die Palmeros "Barrio de la Canela" ("Zimtviertel") nennen. Die meisten Häuser dieses Viertels weisen die typische Architektur für Santa Cruz auf, die an Kuba oder die karibischen Inseln erinnert: Zweistöckige Häuser mit weiß getünchten Lehmwänden – dekoriert mit Holzbalkonen und Holzgeländern. Gerade diese "Balcones" galten auf La Palma schon immer als Zeichen des Wohlstands. Sie reichen oft bis unters Vordach und bieten ganz nach arabischem Vorbild einen Sichtschutz zur Straße.

Noch vor ein paar Jahren drehten die meisten Einwohner des Barrio de la Canela in ihren Patios selber Puros, die palmerischen Zigarren. Einige ältere Herrschaften gehen dieser Tätigkeit heute noch nach. Überhaupt haben gerade Kuba und Venezuela für die Palmeros große Bedeutung. "Es gibt hier kaum eine Familie, die keine Verwandten oder Bekannten auf Kuba hat", erzählt Rupert Dillmann. Viele Palmeros wanderten in mehreren Emigrationswellen nach Kuba aus und arbeiteten dort als Tabakpflanzer oder verdienten sich mit anderen Jobs ihren Lebensunterhalt. Nach Kuba emigrierte Palmeros gehörten zu den ersten Tabakpflanzern der damals noch spanischen Kolonie. Von dort brachten sie Musik, Lebensart und den Rum nach La Palma.

Wie aus dem Drehbuch

Einer der alten Puro-Dreher ist Don Antonio Gonzáles, genannt "Monkey". Den Spitznamen hat er vielleicht auch wegen seiner buschigen Augenbrauen bekommen. Antonio liebt Puros und hat sein Leben der palmerischen Zigarre gewidmet. Schon morgens trifft man Don Antonio auf seiner Finca "El Sitio" im Ort San Isidro oberhalb von Santa Cruz mit dem Puro-Stummel im Mundwinkel an. Sein Großvater wanderte 1880 nach Kuba aus, sein Vater 1920. Damals reichte das Geld, das man auf La Palma verdienen konnte, nicht aus, um eine Familie zu ernähren. Deswegen arbeiteten sowohl der Großvater als auch der Vater auf Kuba als "Vegeros", also Tabakpflanzer, auf einer kubanischen Tabakplantage.

Antonio, immer vornehm gestylt mit rosa Hemd und dunkelgrauer Bundfaltenhose, hat mit 18 Jahren seine erste Zigarrenfabrik gegründet. Das Handwerk des Zigarrendrehens bekam er vom Vater schon als Bub mit. "Die Spanier haben auf Kuba die Kunst des Zigarrendrehens perfektioniert", behauptet er. Seine Mutter ist in Kuba geboren, und obwohl er selbst die Insel nur aus Erzählungen der Eltern kennt, scheint er perfekt informiert zu sein.

Ab und zu rollt Antonio nun noch für Besucher Zigarren nach kubanischem Vorbild in seinem Puro-Laden auf der Finca. Seine kleinen, dicken, kurzen Hände bewegen sich geschickt, wenn er die Tabakblätter zurechtgelegt hat und das Deckblatt schnell und eng um das Gemisch wickelt.

Alter Kuba-Rap

Nicht weit weg von Don Antonios Finca in Richtung Süden befindet sich Villa de Mazo. Dort ist das nächste Inseloriginal zu finden: Don Bernardo Gutierrez Triana, der älteste Verseador La Palmas. Er entdeckte schon als Bub sein Talent, aus dem Stegreif in Reimen zu sprechen.

Beim "Festival Internacional de Punto Cubano", das jedes Jahr in der zweiten Septemberwoche auf La Palma in Ort Tijarafe auf der Westseite der Insel stattfindet, kann man sich von der Kunst der Verseadores überzeugen: Dann treten je zwei Verseadores auf, die in wechselseitigen Sprechgesängen – das Reimschema heißt "Décimo" – ironisch über sich oder andere Personen frotzeln. Die Verseadores beherrschen die Kunst der Reimimprovisation perfekt, die Tradition dieser Sprechgesänge im typischen "Punto Cubano"-Rhythmus stammt natürlich ebenfalls aus Kuba.

Das Kuba-Feeling auf La Palma hat aber auch Jorge Manso von der Musikgruppe Cuarto Son angestachelt, indem er die kubanischen Wochen, die "Jornadas", in Santa Cruz zu organisieren begann. Diese Hommage an die Insel Kuba findet nun immer Anfang November in der Casa Salazar, einem repräsentativen Profanbau aus dem Jahr 1650 in Santa Cruz statt. Dabei treten kubanische Literaten auf, es finden Diskussionen zum Thema Kuba statt, und natürlich kommt auch die kubanische Musik nicht zu kurz.

In Bezug auf lateinamerikanische Musik fühlt man sich in Santa Cruz tatsächlich Amerika näher als einer spanischen Insel: Während der Jornadas, aber auch sonst am Wochenende, das auf La Palma bereits am Donnerstagabend beginnt, treten Musikgruppen wie Cuarto Son oder ONG (organización no gubernamental) in der Bodeguita del Medio in Santa Cruz auf. Und die wurde nicht zufällig nach einer der berühmtesten Bars in Havanna benannt – vorgetragen wird dort ein Mix aus kubanischer und kanarischer Musik.

"Es ist einfach eine gewisse Lässigkeit, die hier zu spüren ist, und die macht für mich das Kuba-Feeling aus", sagt Rupert Dillmann und fährt mit einem kräftigen Pinselstrich über sein gerade fertiggewordenes Acrylbild. Wenn er nicht Bettwäsche in die Waschmaschine stopft oder gerade Pflanzenreste in riesige Säcke entsorgt, entspannt er sich an seiner Staffelei und malt dynamische, kräftige Bilder. "Man nimmt auf La Palma einfach alles nicht so ernst und genießt das Leben intensiv", sagt er, "und das ist das wirklich Angenehme an diesem Ort." (Bettina Louise Haase/Der Standard/Printausgabe/16./17.11.2007)