Philippe Cohen-Solal, berühmt geworden mit dem Gotan Project, erweist sich als eloquenter Country-Erneuerer.

Foto: SSD
Wien - Schon mit dem Schmäh, seine neue CD mit dem Knistern einer sich in das Vinyl senkenden Plattenspielernadel zu eröffnen, generiert Philippe Cohen-Solal eine Atmosphäre, aus der in Folge ein Kunststück von rarer Schönheit entsteht. Das musikalische Spiel mit Raum, der Stille zwischen den Tönen, langsam verschwindenden Echos oder dem Zirpen von Grillen rund um ein virtuelles nächtliches Lagerfeuer, Cohen-Solal beherrscht es perfekt.

Nachdem er als Chef des Gotan Project argentinischen Tango mit Clubsounds zu einer verführerischen Welteroberungsformel anreicherte, die sich millionenfach verkaufte, zog es den Franzosen nun auf ein ganz anderes Terrain: Der Mittvierziger ging nach Nashville, um dort mit einer Reihe einschlägiger Musiker die Moonshine Sessions (Vertrieb: Soul Seduction) einzuspielen - ein astreines Countryalbum. Und doch ist es etwas neben der Spur ausgefallen.

Gefragt nach dem Beweggrund, sich dieser doch recht weit von seinem angestammten Feld entfernten Musik zu widmen, meint Solal, er sei von den Geschichten, die im Country erzählt werden, so angetan. Demnach versagt er sich die nicht zu gering vorhandenen Kuhbuben-Klischees und baut stattdessen auf narrative Qualitäten. Und eine betörende Produktion, die man im Country so noch nicht gehört hat!

Nicht dass die verschiedenen Spielarten traditionellen Countrys keinen Groove besäßen. Aber was Cohen-Solal aus dem Genre rausholt, ohne es komplett auseinanderzunehmen, ist ein Meisterwerk an Einfühlsamkeit, wie man es bestenfalls noch bei Ennio Morricone findet. Das offensichtlichste Merkmal neben der beeindruckenden Arbeit im Rhythmusbereich ist die Zeit, die er sich für die Songs nimmt.

Diese Großzügigkeit verleiht Zeilen wie "You're always alone when you're in pain" eine Überzeugungskraft, wie sie anderen Country-Erneuerern wie etwa Lambchop schon lange nicht mehr zu vermitteln gelingt. Eine Reihe von in den USA bekannten Gastsängern wie Jim Lauderdale, Ronnie Bowman oder David Onley, der über Seven Guns & Seven Holes sinniert, lässt er den Mondschein anheulen und spielt dazu abgebremsten Bluegrass: Die Fidel tönt herb statt süßlich, das Banjo notenfaul statt geschwätzig. Da bleibt Zeit für ein paar Zwischeneinlagen.

Eiernde Sex Pistols

Rosie Flores, eine Szenegröße und firm in allem, was zwischen San Antonio und Nashville gespielt wird, croont sich charmant durch eine wie ein altes Gartentürl eiernde Version von Pretty Vacant von den Sex Pistols. Sogar Dancing Queen von Abba wird in die Satteltasche gepackt und erlebt eine überzeugende Transformation in die Prärie.

Cohen-Solal nennt als Vorbilder für die Moonshine Sessions Alben wie Harvest von Neil Young. Das ist nicht zu hoch gegriffen. Auch ihm gelingt bei der schwierigen Gratwanderung zwischen Pflege und Erneuerung eines zutiefst konservativen Genres ein subtiles Meisterwerk, das die Neigungsgruppe in sanftem Sturm nehmen sollte, aber auch Country-Skeptiker oder Neulinge überzeugen könnte. (Karl Fluch /DER STANDARD, Printausgabe, 29.10.2007)