Eine Frau, die sich in der Liebe zu ihrem Sohn zu verlieren droht: Julianne Moore in Tom Kalins "Savage Grace".

Foto: Viennale
Das Baby lächelt seiner Mutter erwartungsvoll entgegen. An der Ehe der Eltern wird es allerdings wenig ändern, im Gegenteil. Barbara Daly Baekeland (Julianne Moore), die aus einfachen Verhältnissen stammt, und ihr Mann, der Industrielle Brooks (Stephen Dillane), haben sich schon seit längerer Zeit nur noch Dinge zu sagen, die das Gesellschaftsleben von ihnen erfordert. Der Klassenunterschied bestimmt die Sichtweise des Mannes auf seine Frau, die er begehrt, aber gleichzeitig auch verachtet.

Für den US-Amerikaner Tom Kalin, der für seinen Debütfilm Swoon einst viel Zustimmung fand, bedeutet Savage Grace die Rückkehr ins Filmgeschäft nach 16 Jahren. Der Film basiert auf dem Buch von Natalie Robans, die darin eine Familiengeschichte verarbeitet hat, die sich tatsächlich zutrug. Sie endete fatal. 1972 ermordet Tony seine Mutter Barbara, zu der er eine inzestuöse Beziehung hegte - eine Affäre, die damals auch ob des Bekanntheitsgrads der Beteiligten einiges Aufsehen erregt hat.

Kalin und sein Drehbuchautor Howard A. Rodman splitten die Geschichte dieser äußerst ungewöhnlichen Mutter-Sohn-Beziehung in sechs Abschnitte auf, die von den späten 40er-Jahren an durch mehrere Jahrzehnte - und Kontinente - führen. Das Leben der Upperclass wird dabei aus einer Perspektive in Augenschein genommen, in der dramatisierende Mittel weitgehend ausgespart sind. Vielmehr ist dem Film eine geradezu enervierende Unaufgeregtheit zu eigen: Offensichtlich geht es Kalin darum, seine Figuren tunlichst nicht dadurch zu beschädigen, dass man ihnen mit einem moralisierenden Blick zuleibe rückt.

Savage Grace erscheint jedoch zu unentschieden in seinem Versuch, eine unterkühlte Studie von psychosexuellen Dynamiken - Tonys (Eddie Redmayne) Homosexualität sorgt innerhalb der Familie für Zerwürfnisse -, mit den Mitteln eines manieristischen Kostümfilms durchführen zu wollen. Zwischen aus dem Off vorgelesenen Briefen, visuellen Abstraktionen und abrupten Tempiwechseln - zu den eindringlicheren Momenten gehören dabei Barbaras wüste Beschimpfungen ihres Mannes - verliert der Film allmählich an Konzentration.

Das Herz des Films, das auf einer unmöglichen Liebe beruhende Band zweier Außenseitern in einer repressiven Gesellschaft, bleibt merkwürdig kalt. Am Ende mag man die Dynamik dieser extremen Beziehung besser verstehen, aber nahegekommen ist man diesen beiden Menschen deswegen nicht. (Dominik Kamalzadeh, DER STANDARD/Printausgabe, 27./28.10.2007)