Ein Österreich-Bild: Kleine Patrioten im Schutz der polizeilichen Obrigkeit bei der Staatsvertragsfeier im Belvedere am 15. Mai 1955. "Beim Haus der Geschichte geht es auch um 'Österreich im Kopf', um seine Identitäten, Widersprüche und Eigenheiten", heißt es in der "Roadmap" der Historiker-Arbeitsgruppe.

Foto: Nationalbibliothek, Bearbeitung: Kohlhuber
Am 25.Juli 1934 wurde Bundeskanzler Engelbert Dollfuß im Kanzleramt am Ballhausplatz von Nazi-Putschisten ermordet. Unter Kanzler Schüssel wurde eine kleine Andachtsstätte eingerichtet, mit Dollfuß-Bild und einer mächtigen Kerze. Es fanden auch Gedenkgottesdienste statt. Unter Kanzler Gusenbauer wurden Bild und Kerze weggeräumt. Aber für den diesjährigen Nationalfeiertag, - und nur für diesen, an dem die Besucher durch das "open house" strömen - gab Gusenbauer eine Tafel in Auftrag, mit deren Text der eher kritische Zeithistoriker Gerhard Botz beauftragt wurde. Er soll die immer noch umstrittene Figur des klerikal-konservativen Kanzlers und Diktators Dollfuß in den richtigen Kontext stellen: einerseits "Märtyrer" im Kampf gegen die Nazis und für die österreichische Eigenstaatlichkeit, andererseits Demokratiezerstörer und "Arbeitermörder".

So heikel kann jahrzehntealte Geschichte noch immer sein. Die Episode ist nicht uninteressant angesichts der Tatsache, dass sich SPÖ und ÖVP in ihrem Koalitionsabkommen 2007 unter dem Titel "Verantwortungsbewusster Umgang mit der Vergangenheit" im Grundsatz darauf geeinigt haben, ein "Haus der Geschichte der Republik Österreich" (HGÖ) zu errichten. Oder genauer, zunächst einmal ein detailliertes Konzept ausarbeiten zu lassen. Dieses Konzept, erstellt von einer Gruppe unter der Leitung der Historiker Günter Düriegl und Stefan Karner, liegt seit August vor und läuft in der Diskussion unter "Roadmap".

Die Gründung der Republik erfolgte vor fast 90 Jahren, im November 1918, als die Monarchie nach einem katastrophal verlorenen Weltkrieg auseinanderfiel. Man könnte also meinen, es sei Zeit für eine abschließende Betrachtung. Bundespräsident Heinz Fischer vertritt diese Meinung nachdrücklich. Andererseits existieren bereits zahlreiche Museen, Institutionen, Veröffentlichungen, ORF-Serien usw. über das Thema. Ein HGÖ müsste das wohl toppen.

Die Autoren der "Roadmap" hielten unter "Zielvorgaben" fest: "Die Geschichte Österreichs seit 1918 ist eine Geschichte eines langen und schwierigen historischen Lernprozesses, der schließlich zur Ausbildung einer an den Prinzipien der Demokratie und Sozialen Marktwirtschaft ausgerichteten Zivilgesellschaft geführt hat".

Das Stichwort ist "Lernprozess". Das HGÖ soll offenbar Österreichs erfolgreichen Weg aus den Verirrungen der radikalen Ideologien der ersten Hälfte des 20.Jahrhunderts beschreiben. Aber nicht so schnell: Kanzler Gusenbauer hat die "Roadmap" durch ausländische Experten "evaluieren" lassen.

Die Evaluierung liegt jetzt brandneu vor und stellt viele neue Fragen, vor allem die, was ein "Haus der Geschichte der Republik Österreich" eigentlich soll. Oder sein soll.

Am radikalsten ist Klaus Müller von der "Kmlink Museum Consultancy" in Amsterdam: "Dem vorliegenden Konzept fehlt die Bestimmung des Kernauftrags des Hauses der Geschichte ... Dabei ist die entscheidende Frage eines neuen Museums genau diese: Worin besteht seine Dringlichkeit? Was ist seine Aufgabe? ... Soll das Haus der Geschichte einen Beitrag zur Stärkung der demokratischen Kultur in Österreich leisten? Für welche Werte und Grundüberzeugungen in diesem Streit steht das Haus?" Und: "Der angestrebte innovative Platz in der internationalen europäischen Museumslandschaft ergibt sich nicht aus dem vorliegenden Konzept."

Anja Dauschek, Leiterin des Planungsstabs Stadtmuseum in Stuttgart stellt ebenfalls die skeptische Frage nach der "Innovation" des Konzepts, schlägt einen "konzeptionellen Neuanfang" vor, bemäkelt weiters ein fehlendes "mission statement" und fordert, dass "ein künftiges HGÖ sich den Fragen der Globalisierung und der Migration in Österreich stellt".

Etwas milder Prof. Georges-Henri Sotou, Zeitgeschichtler an der Sorbonne in Paris - aber auch er konstatiert in der Roadmap "einen gewissen Zwiespalt" zwischen jenen, die an ein historisches Museum vom herkömmlichen Typ denken und denen, die neue Wege gehen wollen.

Schließlich meint auch Prof. John W. Boyer von der University Chicago, dass "das Projekt noch gründlich durchdacht werden muss".

Gusenbauer hat jetzt diese "Evaluierung" an seinen Koalitionspartner Willi Molterer übergeben. Dessen Reaktion steht noch aus. Ob damit eine neue Front in der großkoalitionären Auseinandersetzung aufgemacht ist?

Im Hintergrund steht nämlich Misstrauen, ob der jeweils andere und seine Experten die Geschichte nicht in seinem Sinne (um)deuten will.

Brutal gesagt: Gusenbauer fürchtet, dass Stefan Karner, der als renommierter Wissenschaftler, aber als "Vertrauensmann" von Ex-Kanzler und Dollfuß-Fan Schüssel gilt, zu großen Einfluss im HGÖ-Komplex erhält. Dritte, wie der grüne Kultursprecher Wolfgang Zinggl, befürchten eine "großkoalitionäre Grottenbahn nach einem veralteten Museumskonzept der 80er-Jahre".

Davon abgesehen, erscheinen wichtige Fragen wirklich noch nicht ausreichend geklärt: Soll das HGÖ ein "Nationalmuseum" werden? (Nein, sagt die Roadmap): Oder ein österreichisches Identitätsmuseum? (schon eher, sagt die Roadmap). Wie haben das andere in Europa gelöst? Was sagen europäische und österreichische Museumsexperten und Historiker? (Hans Rauscher/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 25. 10. 2007)