Paul Sevelda ist Mitglied im Medizinischen Beirat der Österreichischen Initiative gegen Gebärmutterhalskrebs, Präsident der Österreichischen Krebshilfe und Vorstand der Abteilung für Gynäkologie & Geburtshilfe am Krankenhaus Hietzing in Lainz.

Informationen:

Österreichische Initiative gegen Gebärmutterhalskrebs
Die Initiative hat sich zum Ziel gesetzt, die Anzahl der Gebärmutterhalskrebsfälle in Österreich nachhaltig zu senken.

Foto: derStandard.at/Simon Graf
derStandard.at: Seit ein paar Wochen gibt es einen zweiten Impfstoff gegen Gebährmutterhalskrebs. Können Sie die Impfung empfehlen?

Sevelda: Ja, auch der zweite Impfstoff hat bezüglich der HPV Stämme 16 und 18, die für 70 Prozent der Gebärmutterhalskrebsfälle verantwortlich sind, eine praktisch 100-prozentige Wirksamkeit in Bezug auf Vermeidung von Krebs-Vorstufen bedingt durch diese beiden onkogenen (krebserregenden) Virusstämme.

derStandard.at: Gebärmutterhalskrebs wird zu rund 75 Prozent durch die Humanen Papillomavirenstämme (HPV) 16 und 18 verursacht. Wie viel Prozent der Männer und Frauen sind oder werden in Europa durchschnittlich im Laufe ihres Lebens mit den Viren infiziert?

Sevelda: Innerhalb eines Lebens kommen 60 bis 80 Prozent aller Männer und Frauen mit diesen beiden Virusstämmen in Kontakt. Zum Glück wird bei den allermeisten Menschen der Körper selbst mit einer solchen Besiedelung fertig und scheidet das Virus aus. Nur die persistierende (fortbestehende, Anm.) Besiedelung über mehrere Jahre kann zu Gebärmutterhalskrebs Vorstufen und letzten Endes auch zum Gebärmutterhalskrebs führen. In Österreich betrifft das pro Jahr insgesamt 500 Frauen mit Gebärmutterhalskrebs und etwa 5.000 Frauen mit Vorstufen.

derStandard.at: Kritische Stimmen sagen, dass es bis jetzt keine publizierten Phase III Studien, also klinischen Studien gibt. Ohne diese werden Medikamente aber kaum zugelassen. Warum dann die HPV-Impfstoffe? Ist die Studienlage ausreichend?

Sevelda: Diese Darstellung ist definitiv falsch. Für beide Impfstoffe gibt es prospektiv randomisierte placebokontrollierte Phase III Studien, die alle ein signifikantes Studienergebnis bezüglich der Wirksamkeit des Impfstoffes gezeigt haben. Damit ist der höchste Level an Evidenz gegeben. Bezüglich der Wirksamkeit und auch der Sicherheit ist die Studienlage nicht nur ausreichend, sondern im Vergleich zu allen anderen Impfstoffen mehr als abgesichert.

derStandard.at: Gebärmutterhalskrebs hat gegenüber anderen Krebsarten in den Industrieländern eine geringe Erkrankungs- und Sterblichkeitsrate. Durch jährliche Vorsorgeuntersuchungen (PAP Abstrich) und durch die häufigere Verwendung von Kondomen (HIV, HepatitisC) ist zusätzlich ein Rückgang zu beobachten. Warum reichen diese einfachen und sicheren präventiven Maßnahmen nicht aus?

Sevelda: Diese Maßnahmen sind eben nicht präventiv, der Krebsabstrich entdeckt zum Glück bei den allermeisten Frauen, die regelmäßig jährlich zum Krebsabstrich gehen, die Frühformen der Erkrankung. Diese können mit einer kleinen Operation zumeist geheilt werden, dennoch bedeutet ein auffälliger Krebsabstrich oder auch eine "sogenannte kleine Operation" eine enorme Belastung für die Frau.

Die Impfung verhindert die Entstehung der Vorstufen der Gebärmutterhalskrebserkrankung und ist daher tatsächlich präventiv. Das Kondom kann wohl dazu beitragen, dass die Übertragung von Humanen Papillomaviren reduziert wird, aber sie können die Übertragung nicht verhindern.

derStandard.at: Sollte jedes Mädchen bis zum 26. Lebensjahr geimpft werden?

Sevelda: Ein klares ja, es gibt derzeit nur zwei Ausnahmen: Jene Frauen, die gerade schwanger sind, sollten nach der Schwangerschaft geimpft werden und jene Frauen, die derzeit bereits einen auffälligen Krebsabstrich haben oder an Gebärmutterhalskrebs erkrankt sind, benötigen eine wirksame Therapie dieser Erkrankung. Beide Impfstoffe sind rein präventiv und nicht therapeutisch wirksam.

derStandard.at: Sollten auch Buben oder Männer geimpft werden?

Sevelda: Grundsätzlich wäre das zu empfehlen, wenn man das Ziel hat die HPV Besiedelung gänzlich auszurotten. Die Männer sind auch Überträger und daher wäre es wünschenswert, wenn durch die Impfung die Übertragungsrate reduziert werden könnte.

Realistischerweise erscheinen diese Idealvorstellung derzeit aus Kostengründen nicht realisierbar. Der individuelle Vorteil einer Impfung ist ungleich größer für die Frau und die Mädchen als für die Knaben, denn die HPV bedingten Krebserkrankungen der Männer beschränken sich auf die sehr seltenen Penis- Anal- und HNO Karzinome. Der Vierfachimpfstoff bietet wenigstens zusätzlichen Schutz vor Genitalwarzen, die bei Männern sogar häufiger vorkommen als bei Frauen.

derStandard.at: Warum ist eine Aufnahme ins Kinderimpfprogramm (kostenlose Impfung aller Mädchen zwischen 9 und 14 Jahren) sinnvoll?

Sevelda: Erstens können in diesem Alter alle in der Schule erfasst werden. Zweitens ist die Immunantwort in diesem Alter am besten, das heißt dass in diesem Alter Geimpfte den höchsten Antikörperspiegel erzielen und drittens sind in diesem Alter praktisch alle Kindern frei von HPV und damit die ideale Zielgruppe mit der am höchsten zu erwartenden Erfolgsrate.

derStandard.at: Was spricht dagegen Langzeitstudien abzuwarten, bevor eine Durchimpfung aller Mädchen gefordert wird?

Sevelda: Gebärmutterhalskrebs entwickelt sich aus den Vorstufen innerhalb von zehn Jahren zur invasiven Krebserkrankung (in das Gewebe hineinwuchernd, Anm.). Ohne diese Vorstufen gibt es keinen Gebärmutterhalskrebs. Es wäre nicht gerechtfertigt, dass wir in den Placebogruppen nun zusehen, wie diese Frauen über die Vorstufen innerhalb von zehn Jahren die invasiven Gebärmutterhalskrebserkrankung entwickeln, wenn wir heute schon wissen, dass die Impfung diese Vorstufen zu praktisch 100 Prozent verhindern kann.

Je länger wir warten, desto mehr Frauen und Mädchen können sich in dieser Zeit mit HPV infizieren und setzen sich damit diesem potenziellen Risiko aus. Auch die Sicherheit der Impfung ist innerhalb der Studien überprüft worden und es zeigt sich im Vergleich zur Placebogruppe keinerlei Unterschied, da es sich auch bei der Impfung um keinen Lebendimpfstoff handelt.

derStandard.at: Macht die Impfung bei Frauen nach dem ersten Geschlechtsverkehr Sinn? Die klinische Wirksamkeit der Impfungen bei Frauen über 26 Jahre ist noch nicht erwiesen.

Sevelda: Die Impfung ist unabhängig vom Geschlechtsverkehr zu sehen. Selbstverständlich macht die Impfung auch für jene Frauen Sinn, die bereits Geschlechtsverkehr gehabt haben. Wir wissen heute, dass die Wahrscheinlichkeit einer Frau, gerade zum Zeitpunkt der Impfung mit HPV 16 oder 18 infiziert zu sein, bei ein bis zwei Prozent liegt. Da wir allerdings heute keinerlei Therapien für die Behandlung der HPV Infektion haben, raten wir nicht zu einer Testung ob man HPV infiziert ist. Dadurch würden wir viele Frauen verunsichern und in Schrecken versetzen ohne daraus klinische Konsequenzen ziehen zu können.

derStandard.at: Die Kosten für den Impfstoff sind relativ hoch. Der Nutzen der Impfung wird vor allem in der dritten Welt gesehen. Geht es da nicht offensichtlich um verkaufsfördernde Maßnahmen der Herstellerseite in den Industriestaaten?

Sevelda: Es ist richtig, dass die Impfung vor allem in jenen Ländern einen noch größeren Effekt erzielen könnte, in denen die Gebärmutterhalskrebserkrankung immer noch die häufigste Krebserkrankung der jungen Frau darstellt wie zum Beispiel in Indien und in weiten Teilen Afrikas. Dies bedeutet aber keinesfalls dass es nicht auch in einem Land wie Österreich Sinn macht, etwas zu verhindern, was immerhin jährlich in Österreich 5 000 Frauen betrifft, nämlich Frauen mit Gebärmutterhalskrebs Vorstufen und auch 500 Frauen mit invasiven Krebserkrankungen.

Kosten-Nutzenanalysen zeigen auch, dass durch den präventiven Charakter der Impfung ein hohes Einsparungspotenzial gegeben ist neben der Vermeidung des individuellen Leidens der betroffenen Frau. (Das Interview führte Marietta Türk, derStandard.at, 24.10.2007)