Gian Maria Cervo: Fädenzieher, Intendant, Autor.

Foto: Quartieri
In der italienischen Theaterlandschaft ist es nicht leicht, sich zu positionieren: Viele der großen Bühnen seien tot, das Interessante finde vorrangig im Off-Bereich statt, der einem wiederum durch den "Bigottismus der Verwaltungen" vergällt würde. Der aus Neapel gebürtige Theaterautor Gian Maria Cervo gründete, der Klagen unwillig, daher 1997 sein jährlich in Viterbo (Latium) angesiedeltes Theaterfestival "Quartieri dell’arte", schuf also – wenn man es so übersetzen will – selbst eine Unterkunft für seine Theater-Kunst.

Ausgegangen ist Cervo damals von einem Festival für Dramatik. Dabei werden die formalen Grenzen sehr locker gesetzt:Das Festival dauert zwei Monate und wird durch Veranstaltungen unter dem Jahr und unzählige Theaterprojekte im Dunstkreis der "Quartieri" ergänzt. Die Vorteile des Festivalformats sind ausschlaggebend: Man müsse keine stabile Saison besetzen, könne anstelle der großen Titel des Elisabethanischen Theaters rare Stücke spielen: "Wir können hier eine Arbeit der Wiedererlangung von Theatertexten leisten." Zu Beginn waren das Stücke von Shakespeare und Marlowe.

Inneritalienische Impulse in Richtung eines textuellen, dramaturgischen Theaters unterbrachen diese Widmung zugunsten der Arbeit mit zeitgenössischer Dramatik. Zeitgleich ging Cervo 2001 als Autor in Residence ans Deutsche Schauspielhaus, holte daraufhin Jon Fosse, Roland Schimmelpfennig und Autoren von Thomas Ostermeiers "neuer" Schaubühne nach Viterbo.

Dramatik-Austausch

Mittlerweile haben sich die "Quartieri" zu einem vitalen "Umschlagplatz" aktueller Dramatik entwickelt. Eingeladen werden nicht nur Autoren aus ganz Europa, sondern auch internationale Regisseure, um an den Texten zu arbeiten. Der britische Regisseur Malcolm McKay etwa inszenierte dieses Jahr Cervos Komödie Dal naso al cielo, nach einer Novelle von Luigi Pirandello.

"Der Typ eines Projekts macht gleichzeitig seine Dimension aus", erzählt Cervo. Sehr bescheiden inszeniert wurde dieses Jahr etwa ein frühes Stück des US-Autors William Mastrosimone (A Stone Carver), um die Aufmerksamkeit ganz den, in Italien sehr berühmten, Schauspielern zu gönnen – unter ihnen Eugenio Allegri, für den Alessandro Baricco seinen Monolog Novecento geschrieben hat. Fulminant war hingegen die Inszenierung eines Gabriel-García-Márquez-Textes: Regie führte einer der Superstars des italienischen Kinos, Alessandro D’Alatri, im Juni war David Warren (Regisseur der US-Serie Desperate Housewives) zu Gast, um eine Cervo-Fassung von Carlo Goldonis Locandiera (Die Wirtin) zu inszenieren.

Betont wird bei den "Quartieri" ein Stil des Labors, zum Forschungszweck haben sie die Schnittpunkte zwischen unterschiedlichen Theater-Systemen und Kunstdisziplinen. Als "revolutionäre" Innovation ist Cervo nun bemüht, die am italienischen Theater nicht übliche Arbeitsweise mit einem Dramaturgen zu etablieren. Brigitte Auer (jetzt Dramaturgin am Wiener Schauspielhaus) brachte in einer Vortragsreihe italienischen Regisseuren die Dramaturgen-Tätigkeit näher.

Ein Motto ist auch das Erschließen immer neuer Spielstätten: Schimmelpfennigs Arabische Nacht etwa wurde in einem "Theater" aufgeführt, in dem Torquato Tasso im 16. Jahrhundert seine Arbeiten der Adelsfamilie Farnese präsentiert hatte. "Wir haben den Raum wieder geöffnet – nach fast 500 theaterlosen Jahren!"

Im Februar war Cervo mit vier "Quartieri"-Stücken übrigens im Burgtheater zu Gast: ein Theateraustausch im Rahmen von Intertext – jenem Projekt, in dessen Rahmen die Teilnehmer (etwa das Schauspiel Essen, Theater aus Prag, Manchester, Paris ...) in Zusammenkünften Theatertexte ihres Landes präsentieren. "So können wir auch feststellen, was z. B. die richtigen Texte vom italienischen für den englischen oder deutschsprachigen Markt sind: in ästhetischen Termini zwei völlig anders orientierte Systeme – schön ist, nun zu sehen, dass diese sich einander nähern."

Zum deutschsprachigen Theater plant Cervo demnächst eine Annäherung mit Heiner-Müller-Texten, die Dimiter Gotscheff inszenieren soll. (Isabella Hager aus Viterbo, DER STANDARD/Printausgabe, 23.10.2007)