Wie man allmählich die Angst verliert: Shigeki Uda und Machiko Ono in "Mogari No Mori".

Foto: Viennale
Ein Witwer, der seine Ehefrau in jungen Jahren verloren hat, lebt in einem Altenpflegeheim in Nara, einer halben Stunde von Osaka entfernt. Eine Pflegerin tritt dort in ungünstiger Verfassung ihren Dienst an: die Ende Zwanzigjährige hat bei einem Unfall Ehemann und Kind verloren. Doch jede romantische Verwirrung ist unbegründet: Wann ist es Freundschaft, wann Verliebtheit? Gibt es einen gesellschaftlichen Druck, der jedes Gefühl in eine Liebesgeschichte umwandeln will?

Das idyllische Altenheim bietet einen Ort für ein Zusammenfinden, das in einer städtischen Umgebung nicht möglich wäre. Die japanische Filmemacherin Naomi Kawase fragt nach der Verantwortung zu einem nahestehenden Menschen, und inwiefern diese von sozialen Erwartungen diktiert wird.

Standard: Frau Kawase, ist Ihr Film eine Liebesgechichte?

Kawase: Ich glaube nicht, aber westliche Zuschauer empfinden ihn als erotisch. Es geht darum, sich umeinander zu kümmern, sich nahe zu sein. Und manchmal muss man eben auch ein wenig mit seinen Gefühlen aufpassen. Wenn man gerade sehr empfindsam ist, dann will man sich vielleicht verlieben, und versteht sich selbst völlig falsch, oder die Gefühle, die man jemandem entgegenbringt. Liebe geht auch ohne Verliebtsein.

Standard: Sie haben im Sommer gedreht? Wie lange?

Kawase: Vier Wochen Drehzeit und dann acht Wochen Schnitt. Der Dreh im Sommer war recht kompliziert, da wir im Nachhinein entdeckten, dass wir die Dialoge nicht benutzen konnten. Da war die ganze Zeit dieses Geräusch von den Mücken! Was wir nicht verwenden konnten, haben in Paris nachvertont.

Standard: Der Hauptdarsteller Shigeki Uda ist sehr ausdrucksstark...

Kawase: Ich mag sein Gesicht sehr. Ich kenne ihn aus Nara, er ist eigentlich Autor und fand meine Arbeit immer sehr interessant. Also habe ich ihn in einem Restaurant einfach einmal angesprochen und gefragt, ob er in meinem Film die Hauptrolle spielen wolle. Dass er von Schauspiel keine Ahnung hat, fand ich nur noch spannender. Zu einem ersten wirklichen Gespräch musste ich ihn dann im Krankenhaus besuchen! Er war völlig abgemagert, und ich glaube, er vergisst es einfach, täglich zu essen. Er war viel zu dünn, aber beim Dreh und den täglichen Mahlzeiten hat sich das dann sehr schnell geändert.

Standard: Auf welche Weise haben Sie dann mit ihm gearbeitet?

Kawase: Das war witzig! Er wollte unbedingt "schauspielern" und hat ganz verrückte Sachen mit seinem Gesicht gemacht und viel zu sehr herumgewackelt. Aber mein Trick hat funktioniert: Wenn er rennen sollte, habe ich immer mehrere Takes gemacht, bis er nicht mehr konnte und wirklich völlig außer Atem war. Den letzten Take habe ich dann genommen. So ging das die ganze Zeit.

Standard: Warum haben Sie den Charakteren dieselben Namen wie den Schauspielern gegeben?

Kawase: Das habe ich von Anfang an so geplant, und es hat auch funktioniert. Die Schauspieler sollten sich als diese Person fühlen, sich in den Dialogen mit ihren richtigen Namen ansprechen, das war zwar auch unheimlich, aber man erkennt im Film, dass sie diese Personen wirklich "sind". Uda war das sehr unangenehm und ich musste viel mit ihm sprechen, da er sich immer wieder fragte: Bin ich das nun jetzt oder nicht? Werde ich irgendwann einmal so sein?

Standard: Einmal gibt es eine Autopanne. Machiko Ono, die weibliche Figur, reagiert sehr heftig darauf. Warum?

Kawase: Das ist der Wendepunkt des Films. Sie wird ihm in den Wald folgen und ich brauchte einen guten Grund, dass sie zuerst den Wagen verlässt und er abhauen kann! Dass sie so überreagiert, weil sie ihre Familie in einem selbstverschuldeten Autounfall verloren hat? Das könnte sein. (lacht)

Standard: Der Wald sieht recht klein aus.

Kawase: Das ist er auch. Ich wollte zeigen, dass es keinen riesigen Wald braucht, um sich zu verlaufen. Die Dunkelheit reicht und die herrlichen Bäume. Die beiden wollen auch gar nicht hinaus finden. Zumindest in dem Moment nicht. Alles sehr symbolisch, nicht war? Und sehr japanisch! (lacht)

Standard: Was lernen die beiden denn voneinander?

Kawase: Sie haben wieder Vertrauen zu jemanden, öffnen sich völlig und sind in der Lage, ihre Gefühle zu zeigen, auf ihre ganz eigene Art und Weise. Es gibt keine Angst vor Missverständnissen zwischen den beiden, und so verlieren sie ihre Angst.

Standard: Braucht es dazu einen Ort der Abgeschiedenheit?

Kawase: Die beiden sollen nur mit sich selbst konfrontiert sein und völlig aus ihrem Alltag gelöst sein. Das macht Freundschaften und Beziehungen ja so schwierig. Es ist immer auch das soziale Umfeld, das auf eine Freundschaft oder Liebe reagiert. Und viele fühlen sich unter Druck gesetzt, ob ihre Beziehung vor der Öffentlichkeit Bestand hat. Genau das wollte ich zeigen.

(Claudia Siefen, DER STANDARD/Printausgabe, 20.10.2007)