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Klaus Wowereit: "Berlin ist arm, aber sexy!"

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Christian Ude: "Münchens Kaufkraft hätten andere Großstädte auch gerne!"

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STANDARD: Herr Ude, Ihr Berliner Amtskollege bezeichnet Berlin gern einmal als "arm, aber sexy". Wie würden Sie denn Ihr München beschreiben? Christian Ude: (lacht). Eine gewisse erotische Ausstrahlung würde ich auch München nicht absprechen. Klaus Wowereit: Erotisch? Ude: Aber ja, es ist eine Stadt barocker Lebensfreude, dabei vielleicht ein wenig züchtiger als Berlin. Finanzprobleme haben wir natürlich auch, aber so arm wie Berlin sind wir zum Glück nicht. Wowereit: Unsere finanzielle Situation hat sich – Gott sei Dank – etwas verbessert. Wir haben zwar immer noch sechzig Milliarden Schulden, doch wenigstens können wir jetzt einen ausgeglichenen Haushalt präsentieren. Aber Geld ist nicht alles. Berlin ist reich an Ideen und kreativen Menschen. Das macht die Stadt so sexy und so attraktiv für junge Leute. In Berlin heißt es ja immer, in München sei nichts los. Ude: Das sehe ich ganz gelassen. Man kann ja nicht überall der Primus sein. Es ist doch klar, dass die Hauptstadt Berlin größer, politisch bedeutender und publizistisch interessanter ist. Natürlich spielen sich in Berlin, wo Ost und West nach einer langen Zeit der Teilung in Austausch treten, die interessanteren gesellschaftlichen Vorgänge ab. Junge Künstler gehen gerne nach Berlin, weil dort ein Atelier anzumieten ungleich billiger ist als bei uns. In München ist jeder Quadratmeter umkämpft, es gibt keine leerstehenden Gebäude. Aber deshalb kommt keine Alarmstimmung auf. Ich gönne Berlin diese Aufmerksamkeit. München hat dafür andere Qualitäten, um die wir beneidet werden. Unsere Arbeitslosenzahlen, unsere Kriminalitätsraten und unsere Kaufkraft pro Person hätten andere Großstädte auch gerne. Wowereit: Da hast du recht.

STANDARD:Sie geben sich so harmonisch. Dabei besteht zwischen Berlin und München eine geschichtlich gewachsene Rivalität.

Ude: Das will ich gar nicht bestreiten. Unsere Konkurrenz reicht zurück bis zu Ludwig Thomas Theaterkomödie "Die Lokalbahn". Da macht sich der bayrische Bauer über die Sommerfrischler aus Berlin lustig, und umgekehrt die Berliner über die Sepplhosenbayern ...
Wowereit: Ich glaube, dass die Bayern und die Preußen sich heute besser verstehen. Natürlich gibt es zwischen München und Berlin einen Wettbewerb, etwa, wenn wir uns um die Ansiedlung von Unternehmen bemühen. Dabei darf man nicht vergessen, dass Berlin einen Nachholbedarf hat. Diese Stadt war jahrzehntelang vom Rest abgeschnitten. München ist ähnlich wie Frankfurt ein Teilungsgewinnler.
Ude: Stimmt. Deshalb werden wir auch nicht nervös, wenn sich nun einiges wieder in der Hauptstadt Deutschlands ansiedelt.
Wowereit: Ohne die deutsche Teilung wäre Siemens nicht in München. In jeder Jubiläumsveranstaltung feiert das Unternehmen seine Gründung in Berlin. Das ist schön. Es gibt auch noch Produktion in Berlin, aber das ist natürlich weniger als die Zentrale hier. Wenn am Gründungsstandort noch mehr geschähe, hätte ich nichts dagegen.

Olympische Spiele

STANDARD:Zuletzt sind sich München und Berlin bei der Bewerbung um die Olympische Spiele in die Quere gekommen: München hat sich dabei als Bewerber in den Vordergrund gerückt und Berlin damit die Aussichten auf die Sommerspiele verbaut.
Ude: Ja, Klaus, da hast du zwischenzeitlich mal richtig gemosert. Aber jetzt hast du die Kurve wieder gekriegt!
Wowereit: Ich habe nicht gemosert, sondern immer gesagt, dass wir euch unterstützen. Aber ich kann natürlich nicht jubeln, wenn der Chef des Deutschen Olympischen Sportbundes, Thomas Bach, hier die Städte aus eigenen politischen Interessen gegeneinander ausspielt. Und ihr wart ja ein Teil davon.
Ude: Die Theorie kenn ich. Es mag dem Dosb gelegen kommen, dass es dann keine Sommerspielekonkurrenzen gibt. Aber das ist ja nicht der Grund, warum die Wintersportverbände seit Jahren hinter den Winterspielen her sind wie der Teufel hinter der armen Seele.
Wowereit: Die Frage ist, ob ihr sie bekommt. Das werden wir 2011, wenn endgültig entschieden wird, ja sehen.
Ude: Du trägst es also mit Würde.
Wowereit: Na ja, durch die Olympischen Spiele hätte Berlin ein fokussierendes Thema gehabt. Über Jahre hätten wir auf dieses Ziel hinarbeiten können. So etwas wirkt identitätsstiftend.
Ude: Und wir dagegen wären die erste Stadt, die Sommer- und Winterspiele ausrichten darf. Das würde uns schon ganz besonders aufwerten. Unser Motto für die anstehende 850-Jahr-Feier – Brücken bauen – würde auch für die Spiele gelten. Wir wollen uns der Welt als solidarische Stadtgesellschaft präsentieren. In München wäre auch ein reichhaltiges kulturelles Programm möglich, das es bei anderen Mitbewerbern so nicht gäbe. Unsere Spiele sollten kein kommerzielles, sondern ein kulturelles Gesicht haben.

STANDARD: Lassen wir einmal Olympia beiseite – welche weiteren Wünsche hätten Sie für Ihre Städte, wenn mehr Geld zur Verfügung stünde?
Wowereit:
Ude: Ich wünschte mir, mehr Areale aus dem kommerziellen Verwertungsdruck herausnehmen zu können, damit sich da Künstler und Studenten ansiedeln können bei günstigen Mieten. So wie es das zu meiner Jugend in den Sechzigerjahren hier gegeben hat. Der heutige Mangel ist die Kehrseite unseres Erfolgs.

Verkehr

STANDARD:Verkehr in der Innenstadt: Wie wollen Sie das Problem lösen? Kommt die City-Maut?
Ude: Eine Maut ist nur sinnvoll in Orten wie London, wo der Verkehr total zusammenbrach. Die Maut würde die Münchner Innenstadt für große Publikumsteile unattraktiver machen und den Einkaufszentren draußen auf der grünen Wiese in die Hände spielen. Das wäre ein Nackenschlag für die Innenstädte. Das wird es mit mir nicht geben.
Wowereit: Die Verkehrssituation bei euch möchte ich bei uns nicht haben. In München haben Familien ja im Schnitt drei Autos. Bei uns ist eine Maut nicht notwendig.
Ude: Hättest du eine ähnlich gute Arbeitsmarktsituation wie wir, dann hättest du auch so viele Staus. Diese Probleme kommen eines Tages vielleicht auch auf dich zu.

STANDARD: Auch was das Angebot an Kinderbetreuung und den Wohnungsmarkt betrifft, blicken manche Münchner mit Neid nach Berlin.
Ude: Unsere Situation hier ist tatsächlich immer noch unbefriedigend. Doch Krippenplätze sind und waren in meiner ganzen Amtszeit ein Investitionsschwerpunkt. Wir haben fast so viele Krippenplätze wie das restliche Bayern zusammen, aber eben noch nicht genug.
Wowereit: Stimmt es, dass man sich in München schon um einen Krippenplatz kümmern muss, bevor man überhaupt daran denkt, ein Kind zu zeugen?
Ude: Aufgrund des erfreulichen Geburtenüberschusses in München und der vielen Jobs für Frauen hier haben wir eine steigende Nachfrage, sodass wir mit dem Ausbau kaum mehr hinterherkommen. Zur Entspannung des Wohnungsmarkts haben wir das größte kommunale Wohnungsprogramm aufgelegt, das es derzeit in Deutschland gibt, mit einem Volumen von 625 Millionen Euro.
Wowereit: Bei uns ist es genau umgekehrt. Wir hätten locker Platz für Hunderttausende, ohne dass das zu infrastrukturellen Problemen führen würde. Es stehen 150.000 Wohnungen leer. Das ist aber auch eine Chance: Berlin hat großes Wachstumspotenzial.
Ude: Sprunghaftes Bevölkerungswachstum wäre bei uns problematisch. Wir wollen ja keine Trabantenstädte in den Grüngürtel setzen. Die Vorzüge Münchens haben mit der bescheidenen Größe zu tun: viel Grün, Seen, Natur im Umland. Das zu zersiedeln würde bedeuten, dass wir an dem Ast sägen, auf dem wir sitzen. Ich sehe uns vor einer anderen Aufgabe stehen: Wir müssen noch stärker als bisher Wachstumsbranchen wie die Zukunftstechnologien dazu bringen, sich bei uns anzusiedeln, um die Verluste an Arbeitsplätzen der alten Industrien auszugleichen. Uns geht es nicht so sehr um Quantität, sondern um Lebensqualität.

STANDARD: Dazu gehört zum Beispiel die Renaturierung der Isar. Von solchen Schönheitsmaßnahmen können Städte wie Berlin nur träumen, oder?
Wowereit: Die Spree ist in Ordnung, die braucht nicht renaturiert zu werden ... Ude: Na ja, reinspringen würde ich nicht.
Wowereit: Natürlich hat man zum Wasser in Berlin nicht so einen freien Zugang. Da wurde in der Vergangenheit viel von der Industrie zugebaut. Bei uns muss man sich das Wasser kreativ erobern. So haben wir jetzt Strände aufgeschüttet entlang des Flusses. Ude: Ich finde die Spree dennoch einen der großen Vorzüge Berlins. Ein Fluss, der an seinen Ufern tolle Spaziergehmöglichkeiten bietet mit viel Baumbestand, und der vor allem befahrbar ist. Bei uns ist ja nur ein bisserl Floßfahren im Sommer möglich.

Voneinander abkupfern

STANDARD: Die Strände hat sich Berlin von Paris abgeschaut. Gibt es eigentlich auch etwas, das München und Berlin voneinander abgekupfert haben? Wowereit: Die Tradition der Biergärten beispielsweise, die man hier bei uns auch findet. Wir hatten lange Zeiten, wo vor dem Restaurant oder Café nicht ein Tisch stand. Heute können Sie am Ku’damm über kein Trottoir mehr gehen, ohne dass Sie über einen Tisch fallen. Ude: München hat sich von Berlin abgeschaut, dass viele Kneipen im Wohnquartier mit langen Öffnungszeiten kein Problem sein müssen, wenn sie nur richtig gestreut sind. Das konnte man sich in einer sperrstundengläubigen Stadt wie München lange Zeit nicht vorstellen. STANDARD: Herr Ude, Sie wurden einmal als "Karl Valentin der Kommunalpolitik" bezeichnet ... Wowereit: Zu Recht. Er ist ja ein begnadeter Kabarettist. STANDARD: ... die Frage wäre aber auch: Was ist dann Herr Wowereit? Ude: Ich finde, er verkörpert die positiven Chancen Berlins. Man könnte angesichts seiner Schuldenlast ja in Depression verfallen oder Kargheit predigen. Trotz alledem eine gute Laune zu verbreiten und das Image der Stadt aufzumöbeln, das ist eine Gabe. Jeder denkt ja bei Berlin eher an Fanmeile und Lebensfreude als an Finanznot. Woher nimmst du eigentlich diese unerschütterliche gute Laune, Klaus? Wowereit: Die kann man nicht lernen. Die muss man haben. Das ist einfach mein Naturell. Wenn man bei der sehr schwierigen wirtschaftliche Lage, die hier herrschte, als ich antrat, auch noch als das laufende Elend aufgetreten wäre, hätte man diese Tendenz noch weiter verstärkt. Wenn man vom eigenen Produkt nicht überzeugt ist, dann wird es ein anderer nicht kaufen wollen. Das heißt nicht, dass ich leichtfertig Probleme verdränge. Aber man muss doch den Menschen Optimismus vorleben, sonst geht es doch nicht vorwärts. STANDARD: Zum Schluss noch einmal Hand aufs Herz: Was nervt Sie an der Stadt des anderen? Ude: Ich muss zugeben: Berlin ist mir zu weitläufig. Es hat kein Stadtherz. Von einer wichtigen Adresse zur anderen läuft man sich die Hacken ab. Das ist eine Dimension, mit der ein Münchner aus seiner beschaulichen erzherzöglichen Residenzstadt so seine Probleme hat. Wowereit: Mir wäre München zu kommod. Natürlich würde sich jeder Bürgermeister Münchner Zustände wünschen, aber zu viel Perfektion kann schnell langweilig werden. STANDARD: Könnten Sie sich dennoch vorstellen, irgendwann einmal in die Stadt des anderen zu ziehen? Wowereit: Wenn ich beruflich eine andere Entwicklung gehabt hätte, wäre München selbstverständlich eine Stadt gewesen, die ich mir als Lebensort hätte vorstellen können. Ude: Ich kann mir ein Leben woanders als in München nicht vorstellen und das hat nichts mit Lokalpatriotismus zu tun. Ich habe immer in dieser Stadt gelebt – als Schüler, Student, Journalist, Anwalt und jetzt seit achtzehn Jahren als Bürgermeister –, und diese Verwurzelung werde ich nicht mehr aufgeben. Aber nun habe ich eine Situation, die ich optimal finde. Als Präsident des Deutschen Städtetags bin ich jeden Monat einige Tage in Berlin und kann diese spannende Stadt im Auge behalten. STANDARD: Herr Wowereit, was wünschen Sie München zum 850. Geburtstag im nächsten Jahr? Wowereit: Alles Gute natürlich. Und vielleicht ein bisschen mehr Sexyness. (Von Thomas Bärnthaler und Sebastian Wehlings; DER STANDARD Album, Print-Ausgabe